Historischer Generalstreik in Brasilien

Am 28. April streikten nach Gewerkschaftsangaben 35 - 40 Millionen Brasilianer*innen. Das ist eine der größten Mobilisierungen in der Geschichte Brasiliens.
| von Fabian Kern
Historischer Generalstreik in Brasilien
Fotos: Marianna Cartaxo (flickr.com - CC BY-SA 2.0)

Viele der deutschsprachigen Medien (SPON, ZDF) schlossen sich bequem der brasilianischen Mainstream Berichterstattung an und berichteten von Gewalt und Unruhen in Brasilien im Zuge des Generalstreiks.

Die historische Dimension des Generalstreiks wird in dieser Berichterstattung entweder bewusst ausgespart oder ist den Redakteur*innen schlichtweg entgangen. Angesichts der skandalösen Umstände in der brasilianischen Politik ist es fast schon ein Wunder, dass es bei einigen angezündeten Bussen in Rio de Janeiro und kaputten Schaufenstern in São Paulo geblieben ist.

Die durch ein äußerst umstrittenes Amtsenthebungsverfahren an die Macht gekommene Regierung von Michel Temer steht massiv in der Kritik. Gegen acht der derzeitigen Minister aus dem Kabinett von Temer wird wegen Korruption im Lava-Jato Prozess ermittelt. Das Kabinett musste seit seiner Einberufung vor einem knappen Jahr bereits mehrfach wegen Korruptionsermittlungen umgebildet werden. Auch der Präsident selbst steht wegen der illegalen Vergabe öffentlicher Bauaufträge in der Kritik.

Diese für viele Brasilianer*innen illegitime Regierung trat mit dem Versprechen an, die Wirtschaftskrise im Land zu bekämpfen. Das bisherige Ergebnis dieser Politik ist eine Rekordarbeitslosigkeit von 13,4 %, von der insbesondere Schwarze und Frauen betroffen sind.

Mit dem ersten Generalstreik seit 21 Jahren versuchen sich die Brasilianer*innen gegen eine neoliberale Arbeitsmarktreform sowie massive Kürzungen der Rentenbezüge zu wehren. Die Regierung Temer plant zum Beispiel das Renteneintrittsalter auf 65 Jahre zu erhöhen und erst ab 49 Jahren Beitragszahlung würden Altersbezüge in voller Höhe bezahlt. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass die durchschnittliche Lebenserwartung in Brasilien mit rund 74 Jahren deutlich geringer ist als in Deutschland. Für Landarbeiter*innen oder die marginalisierte Bevölkerung im urbanen Raum bedeutet diese Reform deshalb eine sichere Altersarmut. Das Einfrieren der Staatsausgaben für die nächsten 20 Jahre hat bereits alle institutionellen Hürden überwunden und wurde in die Verfassung geschrieben. Von den Kürzungen werden vor allem das Gesundheits- und das Bildungssystem betroffen sein.

Die Zustimmungswerte der Regierung Temer pendeln sich langsam aber sicher im einstelligen Prozentbereich ein. Angesichts der enormen Unzufriedenheit mit dem politischen System Brasiliens werden die Mobilisierungen auch in naher Zukunft vermutlich nicht weniger werden.

 

Schlimmer geht immer
Wie allerdings ein Ausweg aus dem wirtschaftlichen und politischen Dilemma aussehen könnte, ist weitestgehend unklar. Vorgezogene Neuwahlen ändern nichts an der strukturellen Korruption einer ganzen Generation von Politiker*innen quer durch alle Parteien und einer monopolisierten Medienlandschaft, die den konservativen Kräften in der Gesellschaft die Stange hält.

Der ultrakonservative Politiker Jair Bolsonario rückte bei einer Umfrage von DataFolha vom 30/04/17 auf den zweiten Platz der potentiellen Präsidentschaftskandidat*innen vor. Der homophobe Verteidiger der Diktatur verspricht unverblümt, dass er bei einem Wahlerfolg keinen Quadratzentimeter Brasiliens als Territorium für Indigene oder Quilombolas (Nachfahren entflohner Sklaven) ausweisen würde.

Zwar führt der ehemalige Präsident Lula die Umfragen deutlich an, aber eine Kandidatur Lulas könnte durch Gerichte verhindert werden, die gegen ihn wegen Korruption ermitteln.

 

Weitere Berichterstattung zum Generalstreik: