Quilombola-Gemeinschaften aus Alcântara beenden Dialog mit Regierung

"Es ist inakzeptabel und weder rechtlich noch ethisch vertretbar, traditionelle Gemeinschaften im Namen eines geplanten Projekts von ihrem angestammten Land zu vertreiben", heißt es in der Erklärung der Quilombola-Gemeinschaften von Alcântara, aus der die Medien zitieren. Hintergrund ist die Absicht der brasilianischen Regierung, das Gelände von Brasiliens einzigem Weltraumbahnhof zu erweitern, um auch der Privatwirtschaft den wegen der Äquatornähe kostengünstigen Start von Rakete ins All freizumachen.
| von Christian.russau@fdcl.org
Quilombola-Gemeinschaften aus Alcântara beenden Dialog mit Regierung
Quilombola-Territorien legalisieren! Foto: christian russau

Seit 1983 schwelt auf der Halbinsel von Alcântara, gelegen gegenüber der Landeshauptstadt des Bundesstaat Maranhão, São Luís, ein Konflikt um Land. Auf der einen Seite: die Nachfahren der Sklavenherrschaft Entflohener - Quilombolas -, die dort seit Generationen größtenteils in Subsistenz leben; auf der anderen Seite der Staat Brasilien, der im Jahr 1983 auf der Halbinsel das Gelände herrichtete für den Bau von Brasiliens einzigem Weltraumbahnhof. 87 Quadratkilometer Quilombola-Gebietes enteignete der Staat damals, wies den Bewohner:innen neue Gebiete zu, damit von dort einmal Brasiliens ganzer Stolz, die Raketen, ins Weltall starten können. Die nahe am Äquator gelegene Station würde wesentliche Kostenersparnisse nach dem Start der Raketen bewirken, da insgesamt weniger Treibstoff für den Start der Raketen ins All benötigt wird. Der Trick dabei: Je mehr in Nord- oder Südpolnähe, dreht sich die Erde langsamer, in Äquatornähe beträgt die Rotation 1.630 km/h, diese Rotation wird für die Raumfahrt genutzt und bringt die entsprechende Ersparnis.

Die Quilombola-Gemeinschaften von Alcântara haben lange geklagt, durch alle Instanzen, 2022 zogen sie vor die Gerichtsbarkeit des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Den Quilombolas ging und geht es immer um den Protest gegen die Nichtrespektierung ihrer traditionellen Land- und Bodenrechte der dort seit Generationen lebenden Quilombola-Gemeinschaften. Am 26. und 27. April vergangenen Jahres fand während der 156. Sondersitzung des Gerichtshofs in Santiago, Chile, eine öffentliche Anhörung zu diesem Fall statt. Bei dieser Gelegenheit entschuldigte sich die brasilianische Regierung erstmals öffentlich: Der brasilianische Staat habe in diesem Fall das Recht auf Eigentum verletzt, weil Brasilien die Titulierung des traditionell von den Gemeinschaften besetzten Territoriums bis heute nicht gefördert beziehungsweise gar verschleppt habe. (KoBra berichtete) Ein Novum, dass der brasilianische Staat sich bei den von Großprojekten Benachteiligten, den Ausgegrenzten und Vertriebenen ausdrücklich entschuldigte. So war die Hoffnung auf Besserung da, mit der neuen Regierung Lula, die vielleicht aus ihren Erfahrungen mit Großprojekten - wie beispielsweise Belo Monte - gelernt haben könnte.

Nun aber will der brasilianische Staat Alcântara ausbauen: Das Gebiet soll von 87 Quadratkilometern auf 213 Quadratkilometer erweitert werden. Zu verlockend sind die Aussichten, einen Weltraumbahnhof als Global Player zu haben, das passt ins vor Entwicklungsfokussierung nur so strotzende Regierungsnarrativ, welches die aŕeas de sacrifício, die Opfergebiete dieser Entwicklungszentrierung, zu oft übersieht. Ende Januar dieses Jahres jedenfalls erklärten die Quilombola-Gemeinschaften von Alcântara, dass sie die Interministerielle Arbeitsgruppe GTI verlassen, deren Ziel es war, die Forderungen der Quilombola mit den Interessen der Raumfahrtbasis Alcântara dialogisch in Einklang zu bringen. Dies berichteten mehrere Medien wie Folha, G1 oder Brasil de fato übereinstimmend.

Die Gemeinschaften sagen, dass die GTI-Gruppe nie technische Studien vorgelegt habe, die die Notwendigkeit einer Ausweitung des vom Startzentrum belegten Gebiets auf das Gebiet der Quilombola begründen würden. Sie sagen auch, dass keine wirtschaftlichen Machbarkeitsstudien vorgelegt wurden, die es ihnen erlauben würden, die tatsächlichen wirtschaftlichen Vorteile zu kennen oder abzuschätzen, die sich aus der von Alcântara aus zu entwickelnden Privatisierungspolitik für den Weltraum ergeben würden, die nach Angaben der Regierung die Erweiterung der Raumfahrtbasis erfordern würde. Denn das große Business - wie auch in den USA - in der Weltraumfahrt haben in den vergangenen Jahren die nicht-staatlichen Player erkannt, Bolsonaro bot seinerzeit die Alcântara-Basis sogar direkt Elon Musk an, und Jeff Bezos & Co lassen grüßen.

Der Politikwissenschaftler Danilo Serejo aus dem Quilombo Canelatiua und Mitglied der Bewegung der von der Raumfahrtbasis Alcântara betroffenen Menschen, sagte gegenüber der Folha, dass die Gemeinschaften darauf bestehen, dass der brasilianische Staat die Bedingungen der Quilombolas erfüllen muss, damit der Dialog vorankommt. "Die erste Bedingung, die wir nicht aufgeben werden, ist die Titulierung des Quilombola-Territoriums von Alcântara, da es kein rechtliches Hindernis für die Titulierung des Territoriums gibt, da der administrative und rechtliche Prozess bereits 2008 abgeschlossen wurde und es keine Anfechtungen gegeben hat", erklärt er. Darüber hinaus fordern die Gemeinschaften, dass die Regierung die betreffenden technischen Studien vorlegt, die die Notwendigkeit der Erweiterung der Basis und ihre wirtschaftliche Tragfähigkeit belegen.

"Es ist inakzeptabel und weder rechtlich noch ethisch vertretbar, traditionelle Gemeinschaften im Namen eines geplanten Projekts von ihrem angestammten Land zu vertreiben, wenn es an Studien und realen Daten zu diesem Vorhaben fehlt. Noch inakzeptabler ist es, dass der brasilianische Staat seit mehr als drei Jahrzehnten die kollektiven Eigentumsrechte der Quilombola-Gemeinschaften von Alcântara zugunsten einer Markterwartung - der Luft- und Raumfahrt - verleugnet, die vom Militär unterstützt wird, dies aber ohne jede technische Grundlage oder öffentliche wirtschaftliche Parameter/Studien, wie auf den GTI-Treffen gezeigt wurde. Es gibt für die brasilianische Regierung keine andere Alternative als die sofortige Titulierung des Gebiets, die auf technischen, akademischen und rechtlichen Dokumenten beruht und von den staatlichen Stellen anerkannt wird", heißt es in einem weiteren Auszug aus der öffentlichen Mitteilung, in der der Austritt der Quilombolas aus der GTI angekündigt wird, aus dem die Medien zitieren.

// Christian Russau