Quilombolas gegen Weltraumbahnhof und für ihr Recht auf Land

Der brasilianische Staat entschuldigt sich erstmals und öffentlich bei den verbleibenden Gemeinschaften der Quilombos von Alcântara. Doch den Betroffenen und NGOs bleibt dies noch zu vage.
| von Christian.russau@fdcl.org
Quilombolas gegen Weltraumbahnhof und für ihr Recht auf Land
Symbolbild. Foto: Christian Russau

Der Fall der Quilombola-Gemeinschaften von Alcântara im Bundesstaat Maranhão wurde am 5. Januar 2022 der Gerichtsbarkeit des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte überstellt. Bei dem Fall geht es um die Nichtrespektierung der traditionellen Land- und Bodenrechte der dort seit Generationen lebenden Quilombola-Gemeinschaften, deren Gebiet seit den 1980er Jahren mit dem brasilianischen Weltraumbahnhof Alcântara und seinen 620 Quadratkilometer Fläche in direkter Landkonkurrenz steht. Am 26. und 27. April dieses Jahres fand während der 156. Sondersitzung des Gerichtshofs in Santiago, Chile, eine öffentliche Anhörung zu diesem Fall statt. Bei dieser Gelegenheit entschuldigte sich die brasilianische Regierung erstmals öffentlich: Der brasilianische Staat habe in diesem Fall das Recht auf Eigentum verletzt, weil Brasilien die Titulierung des traditionell von den Gemeinschaften besetzten Territoriums bis heute nicht gefördert beziehungsweise gar verschleppt habe.

In seiner Entschuldigung erklärt der brasilianische Staat, dass er "die 152 in diesem Fall vertretenen Gemeinschaften an als als verbleibende Quilombos anerkennt, gemäß der offiziellen Zertifizierung durch die Verwaltungsvorschrift Nr. 35, von 2004, ausgestellt von der Palmares-Stiftung." Der Staat anerkennt zudem, dass die Quilomba-Gemeinschaften von Alcântara als Völker im Lichte des Völkerrechts, insbesondere der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation zum Schutze der Rechte der indigenen Völker gelten. Daraus, so das Eingeständnis des brasilianischen Staates, ergebe sich für die ILO169-Vertragsstaaten "die allgemeine Pflicht, das Recht auf kollektives Eigentum zugunsten der traditionellen Gemeinschaften zu fördern." Artikel 25 der Amerikanischen Konvention wiederum lege den Vertragsstaaten die Pflicht auf, für rasche und wirksame innerstaatliche gerichtliche und administrative Rechtsbehelfe Sorge zu tragen, die traditionellen Gemeinschaften gegen staatliche Handlungen oder Unterlassungen, die ihre Rechte verletzen, effektiv und unmittelbar zu schützen.

Der brasilianische Staat erkennt in der Erklärung zudem an, dass er in der Vergangenheit das Recht auf Eigentum und auf gerichtlichen Schutz verletzt hat, dass er den Schutz der 152 Quilombola-Gemeinschaften von Alcântara verletzt hat. Der Staat habe "in diesem Fall das Recht auf Eigentum verletzt, weil Brasilien die Titulierung des traditionell von den Gemeinschaften besetzten Territoriums bis heute nicht gefördert hat. [...] Es gab auch eine Verletzung des Rechtsschutzes aufgrund der Verfahrensverzögerung und Ineffizienz der Justiz- und Verwaltungsorgane, die den Quilombola-Gemeinschaften von Alcântara ihr Recht auf kollektives Eigentum, an dem von ihnen besetzten Land auszuüben, bislang verwehrt hat."

Der Staat räumt auch ein, dass "der Prozess der Titulierung dieser Gebiete, der zwar komplex und mehrstufig ist, zu lange dauerte und nicht abgeschlossen ist. Die brasilianische Regierung hat bis heute nicht die notwendigen Verfahren für eine wirksame Titulierung der Territorien abgeschlossen. Diese ganze Realität zeigt, dass Brasilien nicht in der Lage war, den Gemeinschaften schnell und effektiv interne Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Aus diesem Grund und in Anbetracht der Rechtsnatur von Wiedergutmachungsmaßnahmen für Verstöße gegen das Völkerrecht durch Staaten, entschuldigt sich der brasilianische Staat öffentlich bei den verbleibenden Quilomba-Gemeinschaften von Alcântara."

Diese Entschuldigung wird von den Betroffenenvereinigungen und den sie vor dem Interamerikanischen Gerichtshof seit Jahren unterstützenden Nichtregierungsorganisationen erstmal als richtigen Schritt begrüßt, aber als unzureichend und zu vage kritisiert: "Die Antworten der Regierung, die zum ersten Mal vor den Vertretern bei der Anhörung präsentiert wurden, werden mit großen Zweifeln aufgenommen, sodass man von keinem Sieg sprechen kann. Der brasilianische Staat hat vor diesem Gericht Erklärungen abgegeben, die einen Wandel in seiner Haltung signalisieren, was sicherlich das Ergebnis des mehr als vier Jahrzehnte andauernden Kampfes hunderter Quilombola-Gemeinschaften in Alcântara ist. Diese Ankündigungen waren jedoch von grundlegenden Unsicherheiten hinsichtlich ihres tatsächlichen Inhalts begleitet, mit unpräzisen Ausdrücken, vagen Worten, die die Zukunft von Alcântara in einem Bereich großer institutioneller Unsicherheit halten."

Weiter heisst es in der zivilgesellschaftlichen Erklärung, "der Staat räumte ein, dass er das Recht auf Eigentum der Quilombola-Gemeinschaften von Alcântara verletzte, da er die Titulierung ihres Territoriums nicht durchführte, und dass er das Recht auf gerichtlichen Schutz verletzte, da er es versäumt hatte, einen schnellen und wirksamen Rechtsbehelf anzubieten. Die Verletzung des Rechts auf Eigentum im Zusammenhang mit der Zwangsumsiedlung der Quilombola-Gemeinschaften in den 1980er Jahren, als der Alcântara-Weltraumbahnhof errichtet wurde und schwere soziale, wirtschaftliche, kulturelle und ökologische Schäden verursachte, wurde jedoch nicht ordnungsgemäß anerkannt", kritisieren die Betroffenen. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten, da der Konflikt um das Land eben eine in der Entschuldigung gar nicht erwähnte Partei vergisst und welche Rolle diese in dem Konflikt fürderhin zu spielen gedenkt: das brasilianische Militär, das den Weltraumbahnhof betreibt.

// Christian Russau