"Wie würden Sie reagieren, wenn eine Baufirma daher kommt und die Münchener Frauenkirche mit Bulldozern einreißt?"

"Die MunichRE und Brasilien" - das war vergangene Woche eines der zentralen Themen auf der Jahreshauptversammlung des weltgrößten Rückversicherers in München.
| von KoBra
"Wie würden Sie reagieren, wenn eine Baufirma daher kommt und die Münchener Frauenkirche mit Bulldozern einreißt?"
Verena Glass (Photo: GegenStrömung)

Die Kritischen Aktionäre hatten gemeinsam mit mehreren Partnerorganisationen aus Brasilien wie Xingu Vivo para Sempre und urgewald, GegenStrömung, ProREGENWALD aus Deutschland auf die problematischen Rückversicherungen des Münchener Konzerns hingewiesen: Die MunichRE gibt Rückversicherungen für die Staudämme Belo Monte, Teles Pires und Santo Antonio, für WM und Olympia (dort zudem für den Bau des Olympischen Dorfes, dessen Bau die Existenz der Vila Autódromo und ihrer Bewohner*innen bedroht) und besitzt obendrein 15.000 Hektar Eukalyptusplantagen[*1] in Brasilien, besitzt weltweit (Besitz-)Anteile an 100.000 Hektar Land[*2], hat Petrobras' Erdölexploration rückversichert - und sieht allgemein den Klimawandel weniger als Bedrohung, sondern als Steigerungspotential bei Versicherungspolicen an.

Die Kritischen Aktionäre verlasen zudem einen Brief, den der katholische Bischof von Altamira und "Alternativer Friedensnobelpreisträger", Erwin Kräutler, an die Verantwortlichen bei der MunichRE verfasst hatte.

KoBra dokumentiert hier die Rede von Verena Glass vom Widerstandsbündnis Xingu Vivo para Sempre:

 

Rede von Verena Glass (Xingu Vivo para Sempre, Brasilien) auf der Hauptversammlung der MunichRE am 23. April 2015 in München

ES GILT DAS GESPROCHENE WORT.

"Geehrte Damen und Herren,

Mein Name ist Verena Glass und ich bin Brasilianerin. Ich spreche ein wenig deutsch und werde versuchen, mich Ihnen verständlich zu machen in Ihrer Sprache. Deshalb bitte ich Sie um Verständnis für mögliche Fehler. Ich möchte Ihnen erzählen von den großen Wasserkraftwerken, die im Herzen Amazoniens gebaut werden und die von der MunichRE rückversichert werden.

Ich lebe nicht in Amazonien. Ich wohne in São Paulo, hunderte von Kilometern vom Regenwald entfernt. Aber ich arbeite seit über 10 Jahren mit der Bevölkerung Amazoniens zusammen. Ich bin Teil von der Bewegung Movimento Xingu Vivo para Sempre, die die stärkste Widerstandsgruppe gegen den Bau des Staudamms Belo Monte ist, jener Staudamm, den Sie rückversichern und der für einen Teil der Gewinne der Firma und somit auch der Aktionäre verantwortlich ist.

Ich war bereits vor zwei Jahren hier und habe Ihnen, werte Aktionäre, über die schlimme Situation rund um den Staudamm Belo Monte berichtet. Aktuell spitzt sich die Situation vor Ort immer weiter zu, so dass ich mich entschieden habe, nochmals hierher zu kommen, und Sie dringend auffordere, sich endlich spürbar einzumischen und Verantwortung zu übernehmen.

Um anzufangen, sage ich Ihnen, dass zu Beginn dieses Jahres bekannt wurde, dass Belo Monte Teil eines der größten Korruptionsskandale der Geschichte meines Landes ist. Diese Korruptionsvorwürfe betreffen unter anderem den damaligen Minister für Bergbau und Energie, Edison Lobão. Um an die Bauaufträge für den Staudamm Belo Monte zu kommen, haben die Baufirmen mehr als 30 Millionen Euro Schmiergeld gezahlt an die Parteien, die an der Regierung sind. Die gleiche Regierung garantiert der MunichRE, dass es bei Belo Monte keine sozialen oder Umweltprobleme gebe. Genau dieses Argument bringt die Firma MunichRE immer wieder, um ihre Beteiligung an dem Vorhaben zu rechtfertigen.

Also, vergessen wir nicht: Belo Monte, das Bauvorhaben, das in Brasilien am meisten Gerichtsprozesse hat wegen Verstößen gegen Umwelt- und Sozialgesetze, wird gebaut, weil es Korruption von Regierungsmitgliedern gab.

Ich frage Sie, Herr von Bomhard: Inwiefern ist Ihnen bekannt, dass einige Bauunternehmen Schmiergelder gezahlt haben, um an Bauaufträge für Belo Monte zu kommen? Welche Konsequenzen gedenkt die MunichRE daraus konkret (und für andere laufende sowie kommende Rückversicherungen in Brasilien) zu ziehen?

Belo Monte ist das teuerste aller je in Brasilien gebauten Bauprojekte. Trotz der mehr als 10 Milliarden Euro ist das Bauprojekt nicht in der vorgesehenen Zeit fertig geworden und der zeitliche Verzug kann für die beteiligten Firmen Millionenstrafen bedeuten. Aber was bedeutet das alles für die Bevölkerung, die am Fluss Xingu und in den nahen Dörfer und Städten leben?

Es bedeutet 2 Sachen: Viele der Maßnahmen, die die enormen Auswirkungen von Belo Monte auf Mensch und Natur ausgleichen sollten, wurden in den verstrichenen Jahren nicht getan: Es gibt keine angemessene Gesundheitsversorgung vor Ort, keine Abwasserversorgung, nicht den versprochenen Wohnraum, die Bildung vor Ort ist einzige Misere – all das macht aus der Region eine Hölle des Elends und der Gewalt. 2014 wurden 14 minderjährige Mädchen in der Stadt Altamira vergewaltigt, 108 Frauen wurden laut polizeilichen Anzeigen schwer mißhandelt. Nun soll der Zeitplan des Baus zur Fertigstellung des Wasserkraftwerks beschleunigt werden, indem die Baufirmen im Hauruck die Häuser der betroffenen Menschen abreißen, die Bewohner zwangsgeräumt und die letzten im Fluss verbliebenen Inseln zerstört. All dies geschieht ohne hinreichende Entschädigungen und ohne die Beachtung der gesetzlich eigentlich garantierten Rechte der betroffenen Bevölkerung. Ganze Stadtviertel werden mit Bulldozern plattgemacht. Es sind vor allem die Frauen und Kinder, die auf die Straße gesetzt werden, sich selbst überlassen. Dort sitzen die Kinder im klatschnassen Lehm, weil es jetzt Regenzeit ist in Amazonien. Das alles ist so schlimm, dass als Pflichtverteidiger des Bundes (von der Defensoria Pública da União) eine Notfallgruppe von Anwälten nach Altamira entsandt wurden. Diese Notfallgruppe von Anwälten sah sich binnen kürzester Zeit mehr als 1.000 Einzelklagen der ärmsten Bevölkerungsschicht vor Ort gegenüber.

Jahr für Jahr hören Sie hier auf der Hauptversammlung Berichte über die ganze Brutalität von Belo Monte gegen den Regenwald und seine Völker. Aber die MunichRe ist nicht nur nicht interessiert an der Kritik, sondern obendrein hat sie sich auch an weiteren Staudämmen beteiligt – so am Staudamm Teles Pires im Bundesstaat Mato Grosso. Also auch von dort her stammt ein Teil des Gewinnes, den Sie machen.

Am Teles Pires haben die Baufirmen einen riesigen Wasserfall gesprengt: Dieser Wasserfall heißt Sete Quedas. Für die Indigenen Kayabi, Apyaka und Munduruku ist Sete Quedas ihr heiligster Ort. Wie würden Sie reagieren, wenn eine Baufirma daher kommt und die Münchener Frauenkirche mit Bulldozern einreißt?

Die Baugenehmigungen wurden mehrfach auf dem Rechtsweg vor Gericht gestoppt, weil die Studien zu den Folgen des Baus auf die indigenen Bevölkerungen nie durchgeführt wurden und nie die Konsultation der Indigenen gemacht wurde, die von der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zwingend vorgeschrieben wird. Und im Jahr 2012 hat die Regierung dort die Bundespolizei hingeschickt, um Proteste zu unterbinden. Dabei wurde ein indigener Munduruku brutal ermordet mit einem Schuss in den Rücken. Der Polizist wurde nie vor Gericht gestellt.

Aber ich wollte Ihnen berichten, was auch die Folge der Zerstörung des Heiligen Ortes – des Wasserfalls Sete Quedas – für die Munduruku war: Viele sind in tiefe Depressionen gestürzt. Sete Quedas ist für die dort lebenden Indigenen eine wichtige kulturelle Stätte, ihr Heiligtum. wo sie ihre Götter verehren können. Sete Quedas hat eben mindestens einen so hohen Stellenwert für die Indigenen dort wie für Sie Katholiken hier die Münchener Frauenkirche!!!! Und Sie sichern diese Zerstörung mit einer Rückversicherung ab!

Ich frage Sie: In Ihren Richtlinien sagen Sie, dass Sie bei Rückversicherungen auch den Aspekt “Kulturelle Erbstätten” prüfen und berücksichtigen. Warum führte die Prüfung von Teles-Pires dann nicht konsequenterweise zu einem “Nein”?

Als bei Teles Pires das Staubecken geflutet wurde, wurde kilometerweise Vegetation zerstört und Tausende Fische starben. Dies brachte den Betreibern eine weitere Justizklage ein. Zudem müssen wir Sie an dieser Stelle daran erinnern, dass die neusten Zahlen von 2015 zur Waldrodung in Amazonien einen Anstieg von 280% nachweisen, geschuldet vor allem dem Bau von Staudämmen. Daran sollten wir uns erinnern, wenn wir das nächste Mal mit Freunden über den Klimawandel reden.

Wir, die wir in den Städten wohnen, weit weg von Amazonien, müssen wir unser Wohlergehen auf dem Leid anderer aufbauen? Wie würden Sie reagiern, wenn eines Tages jemand daherkommt und Ihre Kirche mit einem Bulldozer plattmacht, Ihre Kirche, in die Sie Sonntags zum Gottesdienst gehen? Und als hätte Sie das nicht schon genug aufgebracht, kommen Sie nach Hause und Ihr Wohnhaus wurde ebenfalls dem Erdboden gleichgemacht, ohne dass es angemessene Verhandlungen oder Entschädigungen gegeben hätte? Und wenn dann unsere Straße aufgerissen wurde, der kleine Supermarkt an der Ecke total demoliert und abgerissen wurde, der Park nebenan abgeholzt wurde und dort nun ein Staudamm gebaut werden würde, und dann kommt da jemand Offizielles daher und sagt Ihnen, ja, das müsse so sein, weil weit, weit weg, da wohnen Leute und die brauchen Strom zum Aufladen ihrer Handys und Laptops?

Als ich klein war, hat mich meine Oma aus Innsbruck ein Kinderlied gelehrt, das ungefähr so ging: “Es regnet, Gott segnet, die Erde wird nass. Wir sitzen im Trocknen, was schadet uns das?”

Ich habe mich letztlich viel an dieses Liedchen erinnert. Wir sitzen im Trocknen, essen gut, haben schöne Ferien, fahren tolle Autos, wunderbar. Aber leider sind Kinder und Menschen anderswo obdachlos und schlafen im Schlamm, und das auch, weil Sie sich als Rückversicherer nicht genug eingemischt haben, um das zu verhindern. Weil Sie vielleicht nicht genug geprüft und nachgefragt haben, wie die Situation vor Ort wirklich ist. Bitte fangen Sie endlich an, etwas dagegen zu tun! Tun Sie es bitte schon heute, hier und jetzt auf dieser Aktionärsversammlung!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit."

 

[*1] Zum Themenkomplex "Eukalyptusplantagen und Investments der MunichRE": Die MunichRE erklärte auf der Aktionärsversammlung am 23. April 2015 in München, an den Eukalyptusplantagen der Caravelas Florestal S.A. in Mato Grosso und Bahia keinen gezeichneten Anteil zu besitzen, da diese nicht über FIA Timber Partners II L.P., sondern über einen anderen, nicht von MunichRE gezeichneten Fonds der FIA Timber Partners liefe. Gleichwohl bestätigte die MunichRE den (Anteils-)Besitz an insgesamt 15.000 Hektar Eukalyptusplantagen allein in Brasilien.

[*2] Die MunichRE bestätigte auf der Aktionärsversammlung am 23. April 2015 in München, weltweit (Besitz-)Anteile an Landflächen in Höhe von 100.000 Hektar zu haben: 32% in Nordamerika, 44% Asien, Ozeanien und Australien, 16% in Südamerika, Afrika 5% und 3% in Europa.