Erste Befragung von Volkswagen wegen Militärdiktatur

Vor der Wahrheitskommission des Landesparlaments von São Paulo wurde am Freitag erstmals eine Anhörung zu den Verstrickungen von Konzernen in die Repression durch die brasilianische Militärdiktatur (1964-1985) durchgeführt.
| von Christian Russau
Erste Befragung von Volkswagen wegen Militärdiktatur
"Es gibt keine Dokumente oder irgendeine Evidenz dahingehend"?

Die Wahrheitskommission des Landesparlaments von São Paulo (Comissão da Verdade da Assembleia Legislativa de São Paulo) hat am Freitag (27.Februar) erstmals eine Anhörung zu den Verstrickungen von Konzernen in die Repression durch die brasilianische Militärdiktatur (1964-1985) durchgeführt. Auf der ersten Sitzung wurden der Vertreter des brasilianischen Konzerns Cobrasma sowie ein Vertreter der brasilianischen Niederlassung von VW do Brasil befragt. Dies berichte die staatliche Nachrichtenagentur Agência Brasil auf ihrer Internetseite.

Vor dem Gremium sagten auch ehemalige Arbeiter des Automobilkonzern aus. Diese bestätigten laut dem Agenturbericht, dass zur Zeit der brasilianischen Militärdiktatur Teile des Firmenvorstands von VW do Brasil aus Militärs bestanden. Des Weiteren berichteten die Zeugen, dass der Konzern "schwarze Listen" über seine gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiter führte und diese Informationen an die Repressionsorgane der Militärdiktatur weitergab.

Entsprechende Dokumente waren vor einigen Monaten in den Archiven des Dops gefunden wurden und von der Agentur Reuters veröffentlicht worden. Laut diesen Dokumenten führte VW schwarze Listen über die gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiter, führte in den Listen zudem aus, in welchen Betriebseinheiten die Betroffenen tätig waren und tauschte diese Information mit den Repressionsorganen aus. Zudem seien als oppositionell geltende Angestellte entlassen worden und wegen ihrer Namensnennung in den Listen später auch nahezu nirgends mehr eingestellt worden.

Weitere Dokumente belegten zudem das Ausspähen des damaligen Metallarbeitergewerkschafters und späteren Präsidenten Brasilien, Luiz Inácio Lula da Silva. Bereits vor einem Jahr hatte KoBra die Frage nach den Verstrickungen von Volkswagen gestellt. Damals ging es um die Rolle der Finanzierung des Forschungsinstitut Ipês (Instituto de Pesquisas e Estudos Sociais). Das Ipês habe, so Erkenntnisse des vormaligen brasilianischen Generalstaatsanwalt der Republik, Cláudio Fonteles, zusammen mit der Industriemobilisierungsgruppe GPMI des Industrieverbands FIESP in São Paulo (Grupo Permanente de Mobilização Industrial da Federação das Indústrias do Estado de São Paulo) als Mittelsmann zwischen Industrie und den Militärs operiert. Demnach hätten die Industrie- und Unternehmervertreter – unter ihnen auch Volkswagen – zur Zeit der Militärdiktatur diese zwei Institutionen finanziell gefördert, damit diese gemeinsam mit der Obersten Heeres Schule (Escola Superior de Guerra) einen „militärisch-industriellen Komplex“ gegen den Widerstand aufbauen. Laut einer KoBra vorliegenden Doktorarbeit hat Volkswagen do Brasil dem GPMI mündliche Zusagen über Zahlungen geäußert: „doação verbal“, so steht es in der Dissertation von Jean-Claude Eduardo Silberfeld aus dem Jahre 1984. Auch der Abschlussbericht der Nationalen Wahrheitskommission (Vol. II, S.311) kommt zu dem Schluss, dass VW zu den Firmen zählte, die "irgendeine Art aktiver Kollaboration mit der Bewegung" zum Putsch gehabt habe.

Der Abschlussbericht der Nationalen Wahrheitskommission ging aber noch weiter: Laut dem Bericht wurden Mitarbeiter auch auf dem Betriebsgelände von Volkswagen mißhandelt. Ein Betriebsangestellter sagte vor der Wahrheitskommission aus, er sei 1972 von seinem Arbeitsplatz in São Bernardo do Campo von zwei Männern mit Maschinengewehren verhaftet und noch auf dem Betriebsgelände, in den Räumen des Werkschutzes, mißhandelt worden.

Auf der Anhörung vom vergangenen Freitag erschien der Zeuge. Lucio Bellentani arbeitete zwischen 1964 und 1972 bei Volkswagen als Werkzeugmacher. Er war Mitglied der Kommunisten Partei Brasilien PCB und wurde am Arbeitsplatz verhaftet. "Wer die Verhaftung befehligte, war der [VW-Sicherheitschef Coronel] Rudge. Rudge lehnte an einer Säule, neben ihm mehrere Polizisten, da waren auch Sicherheitsleute von Volks[wagen] und sie richteten eine Maschinenpistole auf meinen Rücken. Sie brachten mich in die Personalabteilung, wo andere Agenten des Dops waren. Dort wurde ich geschlagen und verprügelt. Von dort verbrachten sie mich ins Dops, wo ich 45 Tage ohne Kontakt zur Außenwelt blieb."

Bellentani fuhr in seiner Zeugenaussage fort, dass die Agenten kurz nach seiner Verhaftung systematische Besuche bei Volkswagen abstatteten, um dort Verhaftungen vorzunehmen. "Rund 22 Verhaftungen wurden dort vorgenommen, alles dort direkt bei Volks[wagen], mit Unterstützung der Sicherheitskräfte von Volks[wagen]. Und alle, die dorthin [ins Dops] verbracht wurden, wurden einer Gegenüberstellung unterzogen und [erlitten] Foltersitzungen", so Bellentani. Bellentani erklärte zudem, die Erinnerung und Aufarbeitung des Geschehenen sei wichtig. "Es ist notwendig, dass diese Dinge bekannt werden und dass [die Firmen] wirklich bestraft werden."

Ein Vertreter von Volkswagen do Brasil war auf der Anhörung zugegen. Der leitende Manager für Rechtsangelegenheiten der Firma, Rogério Vargas, erklärte dem Agenturbericht zufolge, Volkswagen analysiere die Dokumente und befinde sich in einem Lernprozess gemeinsam mit der Wahrheitskommission. "Volks[wagen] lernt mit diesem Prozess der Öffnung. Für uns stand nie zur Debatte, hier nicht anwesend zu sein. Wir analysieren die Dokumente, um sie zu verstehen und zu kontextualisieren", so Vargas. Aber, so der VW-Vertreter, bislang seien noch keine Dokumente gefunden worden, die eine eindeutige Identifizierung der Firma als Kollaborateurin der Militärdiktatur zulasse.  "Unsere Aufgabe liegt darin, gemeinsam mit den Kommissionen - mit Respekt und ausgewogen - zu lernen, was die Position der Firma [war]." Jedoch schloss Vargas mit den Worten: "Volks[wagen] hat nicht mit den Repressionsorganen kollaboriert. Es gibt keine Dokumente oder irgendeine Evidenz dahingehend", so Vargas.

Rosa Cardoso, Mitglied der nunmehr nach Abgabe des Abschlussberichts aufgelösten Nationalen Wahrheitskommission, sagte der Presse gegenüber: "Effektiv können wir nicht wissen, was geschehen ist. Es gibt Teile der Realität, die komplett im Nebel liegen. Klar ist, dass die Mittäter dieser Geschichte diese nicht offenbaren werden. Die Militärs werden die Firmenchefs nicht beschuldigen. Diese Enthüllungen und Geständnisse sind sehr schwer [zu bekommen]. Was uns helfen würde, wäre die Belege zu finden, aber die Belege wurden durch die Firmenbosse effektiv zerstört", so Rosa Cardoso.

Der Vorsitzende der Wahrheitskommission des Landesparlaments von São Paulo, Adriano Diego, kritisierte Vargas und den Konzern scharf. "Wenn sie hierher kommen, ganz ohne Informationen, ohne die Rolle anzuerkennen, die die Unternehmen spielten, dann lachen sie uns noch immer aus", sagte er. Die Kommission werde alle Informationen und Erkenntnisse an die Staatsanwaltschaften weiterleiten, so Adriano Diego. Und "eines Tages wird Volkswagen seine perverse Kollaboration mit der Diktatur erklären", so der Abgeordnete und Vorsitzende der Wahrheitskommission der Alesp, Adriano Diogo.