VW do Brasil und die Militärdiktatur

Was hat Volkswagen do Brasil während der Zeit der brasilianischen Militärdiktatur getan – oder nicht getan?
| von Christian Russau
VW do Brasil und die Militärdiktatur
Photo: FDCL-Archiv

Volkswagen ist seit 1953 in Brasilien mit VW do Brasil präsent und ist der größte Fahrzeughersteller im Land, zählt man die VW-Töchter MAN und Scania hinzu. Rund 20 Millionen Fahrzeuge wurden in den vergangenen Jahrzehnten dort vom VW-Konglomerat gebaut. In den vergangenen Monaten kamen vermehrt Fragen auf, was hat Volkswagen do Brasil während der Zeit der brasilianischen Militärdiktatur getan – oder nicht getan?

VW do Brasil sollte noch in diesem Jahre vor der Nationalen Wahrheitskommission (CNV) zu der VW-Verstrickung in die Militärdiktatur in Brasilien aussagen. Dazu ist es bislang nicht gekommen. Die Zeit wird knapp, denn die Phase der Zeugenbefragung im Rahmen der CNV nähert sich ihrem Ende. Da die CNV über ihr Vorgehen im Einzelfall keine Verlautbarung trifft, blieb bis Redaktionsschluss unklar, ob VW do Brasil nun noch zur Aussage geladen werden soll oder nicht.

Worum geht es? Der Generalstaatsanwalt der Republik und Mitglied der Wahrheitskommission, Cláudio Fonteles, hatte vergangenes Jahr in den Archiven des vormaligen Geheimdienstes Brasilien, Serviço Nacional de Informações (SNI), Dokumente gefunden, die die Zusammenarbeit von Industrie und Unternehmern mit den brasilianischen Repressionsorganen nahelegten. Den als Verschlusssache deklarierten Dokumenten sei laut Fonteles zu entnehmen, dass als Mittelsmänner für die Industrie das Forschungsinstitut Ipês (Instituto de Pesquisas e Estudos Sociais) und die Industriemobilisierungsgruppe GPMI des Industrieverbands FIESP in São Paulo (Grupo Permanente de Mobilização Industrial da Federação das Indústrias do Estado de São Paulo) fungierten. Die Industrie- und Unternehmervertreter – unter ihnen auch Volkswagen sowie die heutige VW-Tochter Scania – hätten zur Zeit der Militärdiktatur (1964-1985) diese zwei Institutionen finanziell gefördert, damit diese gemeinsam mit der Obersten Heeres Schule (Escola Superior de Guerra) einen „militärisch-industriellen Komplex“ gegen den Widerstand aufbauen. Laut einer der Redaktion vorliegenden Doktorarbeit hat Volkswagen do Brasil dem GPMI mündliche Zusagen über Zahlungen geäußert: „doação verbal“, so steht es in der Dissertation.(1) Jüngsten brasilianischen Medienberichten zufolge haben die in Brasilien ansässigen ausländischen Autobauer auch dem Ipês Spendengelder überreicht.(2)

Die Tageszeitung Jornal do Brasil zitiert zudem aus Akten der Geheimpolizei Deops, nach denen VW do Brasil in den 1970er Jahren Diktaturspitzel in die Gewerkschaftsversammlungen seiner Arbeiter einschleuste und Informationen über seine Angestellten an die Geheimpolizei der Diktatur weiterreichte. Der Fall des Lkw-Bauers, der heutigen VW-Tochter Scania, reichte sogar noch weiter: Dem JB-Bericht zufolge entließ Scania im Juli 1978 223 Streikende, um sie sofort durchleuchten zu lassen und diese Infos – zumindest in einem Fall – direkt an die Geheimpolizei weiterzugeben. VW tat dem Bericht zufolge das Gleiche im August 1978 mit drei seiner Angestellten, die von der Polizei wegen Mitgliedschaft in einer sozialistischen Bewegung verhaftet worden waren.

Auf der Jahreshauptversammlung der Aktionäre forderten wir Volkswagen auf, diese Vorgänge umgehend zu untersuchen und aufzuklären, nicht zuletzt angesichts des 50. Jahrestages des brasilianischen Militärputsches. Unsere Forderung, die wir in unserem Gegenantrag auf Nicht-Entlastung des Vorstands stellten lautete: „Volkswagen muss sich seiner historischen Verantwortung stellen und sich dazu bekennen.“

Dokumentation der Rede auf der VW-Aktionärsversammlung und Mitschrift der Antworten, 13. Mai 2014, Hannover. Die dem Vorstand diesbezüglich gestellten Fragen lauteten:

Haben Sie Kenntnis jedweder Art über Zusammenarbeit von Volkswagen do Brasil mit der brasilianischen Militärdiktatur? Falls nein, was gedenken Sie zu tun, um bei den diesbezüglichen Informationsdefiziten Abhilfe zu leisten?
Haben Sie Kenntnis jedweder Art über GPMI, Ipês, Deops, Dops, DOI-CODI oder andere der von mir angesprochenen Institutionen der brasilianischen Militärdiktatur und/oder können Sie es kategorisch ausschließen, dass leitende Mitarbeiter von Volkswagen do Brasil mit einer jener Institutionen der Militärdiktatur zusammen gearbeitet oder diesen zugearbeitet haben?
Können Sie es kategorisch ausschließen, dass leitende Mitarbeiter von Volkswagen do Brasil Geldspenden oder Sachspenden an die genannten Institutionen geleistet haben und wären Sie bereit, dies an Eides statt zu erklären?


Antworten Michael Macht(3): Diese Fragen beträfen Vorgänge, die sehr lange zurücklägen. VW sei in Fragen der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit einer der ersten Konzerne gewesen, die sich dieser Verantwortung gestellt habe und dies eine Historikerkommission hat untersuchen lassen. Dies sei seither bindender Maßstab für alle VW-Töchter weltweit. Sollte die Nationale Wahrheitskommission in Brasilien Indizien dafür finden, dass Mitarbeiter des VW-Konzerns in Brasilien mit der dortigen Militärdiktatur kooperiert haben sollten und es dort zu Vergehen gekommen sei, dann sei VW der letzte Konzern, der sich nicht an der Aufklärung desselben beteiligen würde. Es läge zwar lange zurück, dennoch sei Volkswagen bestrebt, die aufkommenden Fragekreise zu klären. Sollte die Nationale Wahrheitskommission in Brasilien Belege für Menschenrechtsverletzungen aufdecken, an denen Volkswagen do Brasil und/oder ihre Mitarbeiter beteiligt waren, dann werde Volkswagen für Aufklärung sorgen.

Das brasilianische Internetportal Operamundi griff die Vorgänge auf der VW-Aktionärsversammlung und die Fragen nach den potentiellen Verstrickungen VWs mit der brasilianischen Militärdiktatur in einem Vorbericht und einem Nachbericht auf.(4)

VW muss die Vorgänge über die Verstrickungen von VW do Brasil mit der brasilianischen Militärdiktatur aufklären: Wenn es stimmt, dass bei VW heute weder Zeitzeugen aus der Zeit, die Aussagen darüber tätigen könnten, beschäftigt sind, noch Unterlagen (10 Jahre Aufbewahrungsfrist etc.) darüber bestehen, dann steht VW selbst um so mehr in der Verantwortung, eine unabhängige Historikerkommission einzusetzen, die sich der Erforschung des Sachverhalts widmet. In Brasilien lagern zerstreut in verschiedenen Archiven Tonnen an Material, das gesichtet werden müsste. Für kleine, ehrenamtlich arbeitende brasilianische Menschenrechtsgruppen eine wahre Herkulesaufgabe. Bundespräsident Gauck hatte anlässlich seines Staatsbesuchs in Brasilien im vergangenen Jahr zugesichert, dass Deutschland seine Archive diesbezüglich zur Verfügung stellen und öffnen werde. Die brasilianischen Menschenrechtsgruppen warten noch heute auf die Einlösung des Versprechen des deutschen Bundespräsidenten. VW könnte beispielsweise die von VW einzusetzende Historikerkommission die Akten des Auswärtigen Amts untersuchen lassen, ob es dort vielleicht - wenn es stimmt, dass VW selbst keine diesbezüglichen Akten mehr hat - in den Akten Indizien und Hinweise auf Verstrickungen - oder auch die Nicht-Verstrickungen - von VW mit der brasilianischen Militärdiktatur gebe. VW selbst müsste ein Interesse daran haben, dass diese Fragen abschließend geklärt werden.

// Christian Russau

1) Silberfeld, Jean-Claude Eduardo. “O Grupo Permanente de Mobilização Industrial da Federação das Indústrias do Estado de São Paulo: 1964-1967”. Dissertação de mestrado apresentada à Pontifícia Universidade Católica de São Paulo, 1984.
2) Multinacionais alemãs se beneficiaram do golpe de 1964: Mercedes, Volks, Bayer, Siemens e Mannesman foram algumas das empresas que financiaram e se beneficiaram com a ditadura. Américo Gomes, 23.Sept.2013; siehe auch http://operamundi.uol.com.br/conteudo/noticias/35219/envolvimento+da+volkswagen+com+ditadura+brasileira+sera+questionado+por+acionistas+nesta+terca.shtml
3) Michael Macht ist Produktionsvorstand von VW. Mitschriften der Antworten erfolgten durch Vertreter_innen des Dachverbands der kritischen Aktionäre. Daher ist bei den hier nach besten Wissen und Gewissen wiedergegebenen Antworten bitte zu beachten: es gilt das gesprochene Wort. Aus redaktionellen Gründen wurde die indirekte Rede im Konjunktiv verwendet.
4) Envolvimento da Volkswagen com ditadura brasileira será questionado por acionistas nesta terça, Vitor Sion e Felipe Amorim | São Paulo - 13/05/2014 – 06h00; Volkswagen diz que esclarecerá eventuais suspeitas sobre violação de direitos humanos durante ditadura, Vitor Sion | São Paulo - 13/05/2014 – 18h25. Auch der Weser-Kurier und die Sächsische Zeitung griffen das Thema auf, die Neue Presse aus Hannover recherchiert das Thema derzeit.

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Quelle: Weltfriedensdienst. Nunca Mais Brasilientage - Dokumentation. Juli 2014