Die unheimliche Welt ohne Genehmigungen

KoBra dokumentiert hier die deutschsprachige Übersetzung des Textes von Antônia Melo, Koordinatorin der Bewegung „Xingu Vivo para Sempre” aus Altamira im nordrasilianischen Bundesstaat Pará und eine der bekanntesten Verteidigerinnen der Menschenrechte und der Natur im Amazonasgebiet. Antônia Melo veröffentlichte den Text kurz vor Verabschiedung des als "Gesetzesentwurf der Zerstörung" bekannten Gesetzesentwurfes PL 2159/2021, das die Umweltgenehmigungsverfahren in Brasilien mutmaßlich flexibilisieren soll, aber laut Kritiker:innen zu Deregulierung bis hin zur Bedrohung rechtsstaatlicher Verfahren in Brasilien führen wird.
| von Christian.russau@fdcl.org
Die unheimliche Welt ohne Genehmigungen
Antônia Melo, Koordinatorin der Bewegung „Xingu Vivo para Sempre” aus Altamira im nordrasilianischen Bundesstaat Pará und eine der bekanntesten Verteidigerinnen der Menschenrechte und der Natur im Amazonasgebiet. Foto: christian russau

Das Original findet sich hier: https://xinguvivo.org.br/2025/07/o-sinistro-mundo-sem-licenca/
Zum Gesetz 2159/2021 finden bei KoBra hier oder hier weitere Hintergrundtexte zum sog. Generalgesetz zur Umweltlizenzierung" 2159/2021.

Von Antônia Melo, Koordinatorin der Bewegung „Xingu Vivo para Sempre” aus Altamira im nordrasilianischen Bundesstaat Pará und eine der bekanntesten Verteidigerinnen der Menschenrechte und der Natur im Amazonasgebiet.
"Ich muss eingestehen, dass mich die Möglichkeit äußerst erschreckt, dass der [brasilianische, Anm.d.Ü.] Nationalkongress den Gesetzentwurf PL 2.159/2021 verabschiedet – jener Gesetzesentwurf, der unter anderem die Umweltgenehmigungen schwächt. Und mich erschreckt auch die Möglichkeit, dass die [brasilianische, Anm.d.Ü.] Bundesregierung dieser Bedrohung nicht mit allen Mitteln begegnet. Ich erinnere mich, dass ich in meiner Jugend in den 1980er Jahren im Radio Nachrichten hörte über Cubatão im [Bundesstaat] São Paulo, jene Stadt, die als "Tal des Todes" tituliert wurde. Man sagte, dass aufgrund der unkontrolliert operierenden petrochemischen Industrie Kinder ohne Gehirn geboren wurden. Man sprach von einem durch den Rauch verdunkelten Himmel, man sprach von toten Bäumen, man sprach von Menschen, die ihr Haus nicht mehr verlassen konnten, ohne dass ihnen die Luft in der Lunge brannte. Das machte mir Angst. Aber ich dachte, das sei etwas Fernes, etwas, das nur in industrialisierten Städten passiert, weit weg von unserem Flussufer.

Heute jedoch bedroht genau dieser Schrecken die Existenz von uns allen, die wir in Volta Grande do Xingu in Pará leben. Das kanadische Bergbauunternehmen Belo Sun will hier die größte Goldmine des Landes in offenem Tagebau errichten. Es handelt sich um ein Projekt, das während fast 20 Jahre lang laufen soll und das zwei Krater von der vergleichsweisen Größe des Morro da Urca [kleinerer Hügel vor dem Zuckerhut in Rio de janeiro, Anm.d.Ü.] innerhalb der Agrarreformansiedlung PA Ressaca ausheben will; das Unternehmen plant zwei Berge aus Abraum, die jeweils etwa 200 Meter hoch sein werden und die eine Fläche von mehr als 300 Hektar haben sollen. Außerdem soll ein Tailing-Damm für giftige Abfälle mit einem Volumen von 35 Millionen Kubikmetern errichtet werden, in etwas mehr als einem Kilometer vom Fluss Xingu entfernt, und es sollen mehr als 470 Kubikmeter Wasser verwendet werden.

Wenn das Projekt genehmigt wird, wird es ein Albtraum sein: die ununterbrochenen Explosionen bei den Ausgrabungen, die Gewalt, die Verschmutzung, das Sterben der Tiere und des Waldes, die Staubwolken, die Austrocknung der Bäche, der Flüsse und der Grundwasserquellen – all das inmitten der ohnehin schon fast unerträglichen Auswirkungen der globalen Erwärmung, die Jahr für Jahr den Amazonas weiter austrocknet – sind eine erschreckende Aussicht.

Was uns noch vor diesem Schrecken schützt, ist die Aussetzung der Niederlassungsgenehmigung für das Unternehmen Belo Sun, erlassen durch die Gerichte. Was aber, wenn der Kongress den Gesetzentwurf PL 2.159/2021, bekannt als „PL da Devastação” (sog. Gesetzesentwurf der Verwüstung), verabschiedet, der die Umweltgenehmigungen abschafft, Selbstgenehmigungen zulässt, kumulative Auswirkungen ignoriert und das Recht auf vorherige Konsultation der traditionellen Völker und Gemeinschaften, der Indigenen und Quilombolas, außer Kraft setzen könnte? Wenn dieser Gesetzesentwurf verabschiedet wird, werden Projekte wie das des Bergbauunternehmens Belo Sun, die derzeit aufgrund von Unregelmäßigkeiten blockiert sind, als sicher genehmigt werden. Um sich eine Vorstellung davon zu machen: Der Damm von Belo Sun soll ein Sammelbecken sein aus Abfällen mit Schwermetallen, aus Zyanid und anderen Schadstoffen. Im Falle einer Leckage oder eines Bruchs könnten die Auswirkungen auf den Fluss Xingu irreversibel sein – Fische würden sterben, das Wasser würde verseucht und ganze Gemeinden würden vergiftet werden. Es wäre nicht anders als in Cubatão, wo die Kontamination durch Metalle sogar die Muttermilch vergiftete.

Ich denke viel darüber nach. Es war gerade das Fehlen von Umweltkontrollen, das Cubatão zu einem weltweiten Symbol der Zerstörung gemacht hat. Ohne strenge Gesetze, ohne die Forderung nach Umweltverträglichkeitsprüfungen und mit Industrien, die ohne behördliche Aufsicht arbeiteten, wurde diese Stadt zu einem Laboratorium der Tragödie. Der Preis dafür war die Gesundheit der Bevölkerung und Dutzende von Menschenleben. Und das begann sich erst zu ändern, als Brasilien erkannte, dass es eine robuste Umweltgesetzgebung mit klaren Regeln, mit Umweltverträglichkeitsprüfungen, mit der Sanktionierung von Verantwortlichkeit bei Verstößen und mit strengen Grenzen für Projekte mit potenziellen Auswirkungen brauchte.

Wir hier in der Volta Grande do Xingu, wo das Wasserkraftwerk Belo Monte gebaut wurde – ein Projekt, das als eines der größten Umweltverbrechen in der jüngeren Geschichte unseres Landes gilt – kennen das Leid, das durch ein großes Bauprojekt verursacht wurde, das unter zahlreichen Verstößen gegen die Umweltgesetzgebung genehmigt wurde, wir kennen dieses Leid nur zu gut. Ich denke daran, was aus uns geworden wäre, wenn der wenige Rechtsschutz, der uns gewährt wurde, nicht existiert hätte...

Ohne Genehmigung ist das, was freigegeben wird, keine Entwicklung. Es ist die Verschmutzung des Wassers, es ist die tödliche Luft, es ist die vergiftete Erde, es ist die Wiederholung von Tragödien, die wir bereits kennen. Und das geschieht mit Unterstützung dieses Kongresses, der sich entschieden hat, dem brasilianischen Volk den Rücken zuzukehren. Schließlich formulieren und verabschieden sie Gesetzesentwürfe, die die Verantwortungslosigkeit als Gesetze fassen, die die Zerstörung legalisieren und den Interessen einiger weniger dienen – während sie die gesamte Bevölkerung gefährden.

Die Lizenzierung wurde eingeführt, um zu verhindern, dass sich solche Tragödien im Land wiederholen. Aber sie wollen das, was heute noch eine Ausnahme ist, zur Regel machen: die Rechte derjenigen zu missachten, die in Gebieten wie dem unseren leben, fischen und anbauen. Das Versprechen des Fortschritts ist das gleiche wie immer: Wohlstand. Aber die Arbeitsplätze sind nur vorübergehend. Die Gewinne verschwinden. Und die Schäden bleiben: im Boden, im Wasser, in den Körpern der Kinder.

Die Geschichte von Cubatão, das so weit vom Xingu entfernt ist und eher wie ein dunkler Schatten in meiner Jugend vor meinem inneren Auge schwebte, wird für mich wieder zu einer Warnung. Sie war der Beweis dafür, was passiert, wenn Profit vor Leben kommt. Deshalb muss die Lizenzierung gestärkt und nicht abgeschafft werden. Vor allem im Amazonasgebiet, wo der Wald bereits um Hilfe schreit und die Menschen weiterhin zum Schweigen gebracht werden. Deshalb ist es dringend notwendig, dass die Bevölkerung sich erhebt, um diese Umweltkatastrophe zu verhindern, die Menschen und Tiere gleichermaßen betreffen wird. Ebenso dringend ist es, dass die Bundesregierung und alle ihre Minister, Staatssekretäre und Anwälte diesen Kampf gemeinsam mit dem Volk aufnehmen. Und wenn der Gesetzentwurf zur Zerstörung verabschiedet wird, muss Lula sein Veto einlegen. Lasst uns handeln, um unsere Gebiete und unsere Flüsse zu retten, solange noch Zeit ist.

// Übersetzung: Christian Russau

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