Um 1 Uhr 53 steht es 267:116

Das heute früh im brasilianischen Abgeordnetenhaus verabschiedete Umweltflexibilisierungsgesetz 2159 untergräbt die Rechtsstaatlichkeit in Brasilien.
| von Christian.russau@fdcl.org
Um 1 Uhr 53 steht es 267:116
Symbolbild. Foto: christianrussau

Über 20 Jahre wurde in den zwei Kammern des brasilianischen Nationalkongresses darum gestritten, - nun wurde das "Generalgesetz zur Umweltlizenzierung" 2159/21 - auch als "Gesetzesprojekt der Verwüstung tituliert - am frühen Morgen um 1 Uhr 53 mit 267:116 Stimmen im Abgeordentenhaus in Brasília angenommen, nachdem es erst wenige Wochen zuvor die vorletzte Hürde im Senat genommen hatte. Umweltschützende laufen Sturm und bezeichnen dieses Gesetz 2159/21 als "größten Rückschritt in Umweltfragen seit der Militärdiktatur" und warnen, dass dieses Gesetz Brasilien auch außenpolitisch massiv schadet.

Nun hat Brasiliens mehrheitlich sehr konservativer Nationalkongress es tatsächlich durchgezogen: Das Umweltflexibilisierungsgesetz 2159 wurde am sehr frühen Morgen des 17. Juli um 1 Uhr 53 mit 267:116 Stimmen im Abgeordnetenhaus verabschiedet. Dabei wurden die wenige Wochen zuvor vom Senat vorgenommenen Änderungen analysiert (KoBra berichtete) und nun läge es im nächsten Schritt an der Lula-Regierung, das Gesetz als Ganzes oder in Teilen mit Vetos zu belegen. Zumindest das Umweltministerium unter Marina Silva hatte das Gesetz schon massiv kritisiert. Die möglichen Vetos von Präsident Lula könnten dann von Senat und Abgeordnetenhaus wieder aufgehoben werden, so dass, wie von Umweltschützenden und einigen Parteien bereits angekündigt, dann nur noch der Gang vor den Obersten Gerichtshof STF bliebe.

Vorerst gilt nun nach aktuellem Stand das sogenannte Umweltflexibilisierungsgesetz 2159, besonderes Augenmerk sollte dabei gerichtet werden auf die Punkte, laut denen Bauvorhaben jedweder Art, die zuvor wie alle Projekte im Land ein dreistufiges Umweltgenehmigungsverfahren durchlaufen mussten, nun sich selbst eine Bau- und Betriebsgenehmigung ausstellen dürfen, sofern ihr Vorhaben mutmaßlich geringe oder mittlere Umwelt- und Sozialauswirkungen hat. Und Projekte mit nachweislich großen Auswirkungen können selbst trotz eigentlich umweltpolitischer Auswirkungen, die ein solches Projekt normalerweise verhindern würden, durch die Exekutive als im nationalen strategischen Interesse bewilligt werden.

Brasiliens Umweltgruppen nannten dieses Gesetz 2159/21 den "größten Rückschritt in Umweltfragen seit der Militärdiktatur" und warnen, dass dieses Gesetz Brasilien "Zukunft bedroht". Denn zu befürchten steht, dass es einen massiven Anstieg beim "Wildwuchs" von Bau- und Infrastrukturprojekten jedweder Art geben wird und dass die sozialen und Umweltauswirkungen derselben vor allem die rurale oder urbane marginalisierte Bevölkerung treffen werden. Wenn die Mehrzahl der Unternehmen sich in Zukunft bei ihren Bauvorhaben selbst ihre Bau- und Betriebsgenehmigung erteilen und die Kontrolle derselben angesichts politisch gewollter ausgehöhlter Behörden de facto kaum angemessen stattfindet, dann ist es leicht einsichtig zu sehen, dass die Zukunft der Territorien der indigenen und weiteren traditionellen Völker und Gemeinschaften ebenso wie die der Ländereien der kleinbäuerlich-familiären Landwirtschaft massiv in ihrer Existenz bedroht sind. Und es stellt sich die Frage: wenn die Unternehmen sich in Zukunft selbst ihre Genehmigung ausstellen, Staat und Behörden aber bekanntermaßen kaum in der Lage zur angemessenen post-hoc Kontrolle sind, wo ist dann noch von einem rechtsstaatlichen Prinzip die Rede?

133 NGOs wiesen zudem in einem Brief an den brasilianischen Aussenminister Mauro Vieira mit Nachdruck darauf hin, dass Brasilien durch dieses neue Umweltflexibilisierungsgesetz 2159 bei Klima- und Umweltverhandlungen, insbesondere auf der COP30, an Glaubwürdigkeit verliert; es könnte ausländische Investitionen mit ESG-Kriterien abschrecken; es könnte die Handelsbeziehungen Brasiliens mit wichtigen Märkten wie der Europäischen Union gefährden; und es könnte dazu führen, dass das Land seine Führungsrolle in multilateralen Foren verliert, was seine Fähigkeit, den ökologischen Übergang zu verhandeln, schwächen würde.

Doch Brasiliens mehrheitlich äußerst rechter Nationalkongress lässt der Walze der Entwicklung freien Lauf, unter dem Banner des Profits.

// Christian Russau

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