Aktion "KoBra hilft": Rechtsnachhilfe für FRAPORT in brasilianischem Recht

FRAPORT weigert sich für die Umsiedlung der Vila Nazaré in Porto Alegre zu zahlen - KoBra macht den Faktencheck: FRAPORT muss zahlen, so steht es im Konzessionsvertrag. So sorry!
| von Christian Russau
Aktion "KoBra hilft": Rechtsnachhilfe für FRAPORT in brasilianischem Recht
Nazaré vereint im Kampf. Cartoon Latuff

Der deutsche Konzern FRAPORT erklärte am 7. Juni 2019, für die Kosten der Umsiedlung der Bewohnerinnen und Bewohner der Vila Nazaré, Porto Alegre, im südlichsten Bundesstaats Brasilien, Rio Grande do Sul, nicht aufkommen zu müssen. Fraport erklärte dies in Antwort auf die Rechtsmitteilung der brasilianischen Bundesstaatsanwaltschaft und Bundesombudstelle, die die deutsche Firma vor wenigen Tagen noch einmal mit Nachdruck daran erinnert hatte, für die Umsiedlungskosten der - laut Zahlen der Bundesstaatsanwaltschaft - 1.300 Familien vollumfänglich rechtsverantwortlich zu sein und dass keine Umsiedlung der Bewohnerinnen und Bewohner gegen deren Willen vorgenommen werden dürfe (KoBra berichtete). Der FRAPORT-Sprecher in Porto Alegre, Leonardo Carnielle, erklärte, seine Firma habe "der Bundesstaatsanwaltschaft erklärt, dass es in dem durch uns unterzeichneten Vertrag keine diesbezügliche Verpflichtung gibt. Es existiert die Verpflichtung, das Flughafengelände freizuräumen", so Carnielle. Die FRAPORT-Brasil-Vorsitzende Andrea Pal erklärte, FRAPORT werde nicht die in der Rechtsmitteilung der Bundesstaatsanwaltschaft genannten 146 Millionen Reais (derzeit umgerechnet 33 Millionen Euro) für die Umsiedlung der Bewohnerinnen und Bewohner zahlen. Wenn nötig, werde Fraport deswegen vor Gericht ziehen. "Mit Vergnügen", erklärte FRAPORT-Brasil-CEO Andrea Pal laut dem Pressebericht werde diese Frage vor Gericht geklärt werden, "denn dann gibt es endlich Gerechtigkeit! Die Dokumente sind diesbezüglich sehr klar". Der brasilianische Pressebericht verkniff sich nicht anzumerken, dass FRAPORT-Brasil-CEO Andrea Pal in einer Sprachmischung aus Portugiesisch und Spanisch sprach.

"Mit Vergnügen" hilft die KoBra gerne der Fraport in Sprachfragen nach! Wir haben den Konzessionsvertrag zwischen der Brasilianischen Luftfahrtbehörde Anac und der FRAPORT studiert und die Aussagen von Fraport einem Faktencheck unterzogen, den wir mit noch viel "mehr Vergnügen" hier darbieten. Dabei konzentrieren wir uns auf die zwei wesentlichen Fragen: 1) Sind die Bewohnerinnen und Bewohner der Vila Nazaré dort illegal, wie wiederholt von FRAPORT behauptet, ein Argument, was die Firma gerne gebraucht, um Rechtsansprüche (und somit auch die Kostenfrage) zu deligitimieren, 2) Wer ist für die Kosten der Umsiedlung der Bewohnerinnen und Bewohner der Vila Nazaré rechtlich verantwortlich?

1) Sind die Bewohnerinnen und Bewohner der Vila Nazaré dort illegal, wie wiederholt von FRAPORT behauptet, ein Argument, was die Firma gerne gebraucht, um Rechtsansprüche (und somit auch die Kostenfrage) zu deligitimieren?
FRAPORT-CEO Stefan Schulte hatte 2018 auf kritische Nachfragen behauptet, die in der Vila Nazaré wohnenden Menschen seien dort "illegal", was Herrn Stefan Schulte auch dieses Jahr wieder vorgeworfen wurde, er aber angesichts der deutlichen Belege, die auch eine Woche später in Brasilien von der Bundesstaatsanwaltschaft noch einmal vorgelegt wurden, nicht einmal zu wiederholen wagte: schliesslich wohnen die Menschen dort seit über 60 Jahren.

Artikel 183 der Brasilianischen Verfassung ist klar und deutlich: "Wer fünf Jahre lang ununterbrochen und ohne Widerspruch bis zu zweihundertfünfzig Quadratmeter Wohnraum in einem städtischen Gebiet besitzt und es für seine Wohnung oder seine Familie nutzt, erhält den Besitz, so er nicht schon Eigentümer eines anderen städtischen oder ländlichen Eigentums ist." Also, Faktencheck 1 ist klar: Die Bewohnerinnen und Bewohner der Vila Nazaré wohnen dort seit Jahrzehnten, haben dadurch von der Brasilianischen Verfassung garantierte Rechtstitel. Daraus ergibt sich der Rechtsanspruch auf angemessene Entschädigungen und voller Rechtsschutz.

2) Wer ist für die Kosten der Umsiedlung der Bewohnerinnen und Bewohner der Vila Nazaré rechtlich verantwortlich?
"Die Dokumente sind diesbezüglich sehr klar", sagte FRAPORT-CEO Andrea Pal. Na, gucken wir doch mal in die Dokumente: Im Konzessionsvertrag zwischen der brasilianischen Luftfahrtbehörde Anac und FRAPORT (CONTRATO DE CONCESSÃO PARA AMPLIAÇÃO, MANUTENÇÃO E EXPLORAÇÃO DO AEROPORTO DE PORTO ALEGRE - SALGADO FILHO) steht unter Artikel 2.5: Mögliche Räumungen von Flächen auf dem Flughafengelände, die sich im Besitz oder in Nutzung durch Dritte befinden, seien sie vor oder nach der Unterzeichnung des Vertrags zustandegekommen, stehen in voller Verantwortung der Konzessionärin."  Artikel 2.5 des Konzessionsvertrag deckt sich also mit der Aussage des FRAPORT-Sprechers in Porto Alegre, Leonardo Carnielle: "Es existiert die Verpflichtung, das Flughafengelände freizuräumen". Artikel 3.1.50 im Kapitel VIII – "Über die Verpflichtungen" führt den Punkt der Freimachung des Geländes noch einmal weiter aus: "Die Gesamtheit des Flughafenbereichs zu wahren, einschließlich der Durchführung der für die Räumung Dritter des Flughafengeländes notwendigen Maßnahmen" ist integrale Verpflichtung der Konzessionärin, also FRAPORT.
Bei gutem Willen könnte man meinen, die FRAPORT-Verantwortlichen hätten nur bis dahin gelesen und gingen deshalb davon aus, dass die ganze Geschichte nicht so teuer für sie werden würde. Nur, leider leider, liebe FRAPORT, gibt es noch im Kapitel II – "Von den Risiken der Konzessionärin" den Artikel 5.4.24.: zu den Risiken der Konzessionärin zählen demnach unter anderem auch die "Kosten, die sich aus den Räumungen auf dem Flughafengelände gemäß Artikel 3.1.50 ergeben, sowie mögliche Umsiedlungen und Verlagerungen".

Da ist die portugiesische Sprache, liebe Andrea Pal, so eindeutig wie die deutsche: "custos decorrentes das desocupações do sítio aeroportuário referidas no item 3.1.50, bem como de eventuais reassentamentos e realocações".


Faktencheck Nummer 2 ist also auch klar: FRAPORT muss die Kosten der Umsiedlungen aller Bewohnerinnen und Bewohner der Vila Nazaré tragen, was laut Bundesstaatsanwaltschaft 1.300 Familien, laut den Betroffenen 1.500 Familien sind. Und "Kosten tragen" heisst in dem Fall auch die Kosten für den Bau der neuen Häuser und Wohnungen zu tragen. Und laut Bundesstaatsanwaltschaft beläuft sich dieser Betrag auf 146 Millionen Reais.

Viel Spaß bei der Überweisung, liebe FRAPORT!


Es grüßt Dich, Deine KoBra.

 

// christian russau