Kein Kampf um Medaillen, sondern ums Leben

200 VertreterInnen indigener Völker und traditioneller Gemeinschaften protestieren vor der deutschen Botschaft in Brasília gegen Tod und Gewalt auch wegen Rohstoffexporten nach Deutschland.
| von Christian Russau
Kein Kampf um Medaillen, sondern ums Leben
Indigener Protestmarsch in Brasília auf dem Weg zur deutschen Botschaft. Foto: CIMI

Donnerstag, der 11. August 2016: Während in Rio de Janeiro AthletInnen aus aller Welt um die Medaillen der XXXI. Olympischen Sommerspiele kämpfen, versammelt sich 1.150 Kilometer weiter norwestlich eine Menschentraube vor dem Gebäude der deutschen Botschaft in Brasília und skandiert Sprechchöre. 200 Indigene der Pataxó Hã Hã Hã, der Tupinambá, der Kaingang, der Guarani M´bya, der Gavião, Gamela, Krikati, Macuxi, Mura, Kambeba und der Maraguá sowie Quilombolas und KleinfischerInnen aus ganz Brasilien haben sich vor der deutschen Botschaft versammelt und die Forderung ist deutlich: "Wir sind hier zur Botschaft Deutschlands gekommen, um unsere Ansicht kundzutun, dass Deutschland durch seine Importe von Produkten des brasilianischen Agrobusiness mitschuldig daran ist, dass dieser Wirtschaftssektor aggressiv unsere Rechte mißachtet und gewalttätig gegen unsere Anführer und unser Leben vorgeht." Dies schreiben die Indigenen in dem offenen Brief, den sie dem anwesenden Botschaftsvertreter übergeben, der sie im Gebäude empfängt. “Wir sind heute hier mit mehreren indigenen Delegationen, um dieses Dokument in der Botschaft Deutschlands abzugeben. Wir fordern, dass Deutschland unseren Kampf um Achtung unserer Rechte unterstützt. Denn Brasilien beliefert Deutschland heute mit vielen Produkten, die dorthin exportiert werden”, sagt der indigene Kazike Nailton Pataxó Hã Hã Hãe bei der Übergabe des Briefes. Eine ähnliche Aktion hatten Indigene im Juli dieses Jahres vor den Botschaften von Portugal, Russland, der USA, den Niederlanden, Kanadas, Frankreichs und Chinas durchgeführt.

“Die indigenen Territorien sind nach wie vor nicht ausgewiesen, das Land wird weiterhin durch die Landtitelfälscher geraubt und das bringt uns viele Unannehmlichkeiten und macht uns sehr traurig", so Nailton Pataxó an diesem Donnerstag. "Es gibt viele Morde an den Gemeinschaften, viele von uns sterben, weil ihre Ernährung nicht gesichert ist", so Nailton Pataxó. "Allein gegen die Guarani Kaiowá wurden in weniger als einem Jahr 30 paramilitärische Anschläge durch bewaffnete Milizen unter Führung von Großfarmern ausgeübt, die in Morden, außergerichtlichen Räumungen und Dutzenden von durch Schußwaffen verletzten Indigenen resultierten. Laut Zahlen der Landpastorale CPT wurden allein in 2016 bisher 39 Bauern durch Vertreter des Agrobusiness ermordet", klagt der auch im Internet bei dem Indigenenmissionsrat der katholischen Bischöfe Brasiliens, CIMI, veröffentlichte Brief an.

"Wir bitten den Botschafter, dass er die Regierung Deutschlands über unseren Besuch und unsere Beweggründe und Ängste in Kenntnis setze." In dem offenen Brief schlagen die Indigenen vor, dass die deutsche Botschaft die Vertreter des Agrobusiness und der deutschen Importeure sowie die Parlamentarierfraktion des Agrobusiness zu einem Gespräch lade und ihnen die Besorgnis Deutschlands über die Verletzung der Rechte der indigenen und traditionellen Völker Brasiliens durch das Agrobusiness mitteile. "Außerdem schlagen wir vor", so der Brief, "dass Deutschland den brasilianischen Rohstoff-Exporteuren androhe, dass eine Überprüfung und Suspendierung der Export-Importverträge für Rohstoffe aus Brasilien als konkrete Maßnahme getroffen werden könne, um uns Indigene dabei zu helfen, die unerläßliche und dringende Änderungen im Gebaren und Vorgehen dieser Exportsektoren durchzusetzen, damit unsere Rechte, unsere Völker und unsere Anführer geschützt werden. Wir würden eine solche Initiative dahingehend interpretieren, dass Deutschland nicht willens ist, an der Ermordung unserer Anführer mitschuldig zu sein und kollaboriert zu haben."

Bei dem Protest vor und in der deutschen Botschaft ist auch Iracema Kaingang dabei. Sie hat einen dramatischen Appell, den sie an die deutschen Botschaftsverteter richtet. “Dieses Soja da, das sie dort anpflanzen, da gibt es das, was wir als großen Vogel [Flugzeug] bezeichnen, der dort dieses Pulver rauswirft und das auf unser Wasser fällt, das vergiftet uns. Ich arbeite mit meinen Teemischungen, meiner Medizin. Sie heilen uns, aber sie wirken nicht gegen dieses Gift da", klagte die Anführerin der Indigenen Kaingang des Indigenenterritoriums der Terra Indígena Borboleta im südlichen Bundesstaat Rio Grande do Sul die Pestizidversprühenden Großfarmer an. "Ihr also, die ihr diese Typen doch kennt, wir appellieren an Euch wegen unseres Lebens. Wir lieben das Leben sehr. Wir kämpfen für unsere Kinder." Während in Rio de Janeiro AthletInnen aus aller Welt um die Medaillen der XXXI. Olympischen Sommerspiele kämpfen, kämpfen indigene Völker und traditionelle Gemeinschaften in Brasilien um ihr Leben - so die Botschaft des indigenen Protestes vor der deutschen Vertretung in Brasília.

Deutschland ist nach China, den USA und Argentinien Brasiliens viertgrößter Handelspartner, für Deutschland wiederum liegt Brasilien derzeit an Platz 26.1 Während Deutschland vorwiegend Industriegüter nach Brasilien exportiert, ist Brasiliens Ausfuhr vornehmlich durch Rohstoffe wie Erze oder Agrarprodukte geprägt. Die Agrarwirtschaft zeichnet für ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts Brasiliens verantwortlich, aber ganze vierzig Prozent der Ausfuhren des Landes entfallen auf landwirtschaftliche Produkte. Beim Export brasilianischer Güter nach Deutschland machen neuesten Zahlen zufolge agrar- und viehwirtschaftliche Produkte 46,63 Prozent aus.2 Deutschland importiert vor allem Soja, Kaffeebohnen, Tee, Zucker und Ethanol, Palmöl, Zellulose, Rindfleisch, Orangensaft, Tabak oder Baumwolle.

1Statistisches Bundesamt: Außenhandel. Rangfolge der Handelspartner im Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 2016, S. 2.

2Diese 46,63 Prozent teilen sich auf wie folgt: Kaffee und Tee 24,54 Prozent, Abfall und Überreste der Lebensmittelindustrie 11,94 Prozent, Samen, Ölfrüchte, Getreide, Saatgut 3,53 Prozent, Fleisch und geniessbare Schlachtnebenerzeugnisse 2,62 Prozent, Tabak und verarbeitete Tabakersatzstoffe 2,02 Prozent und Zubereitungen von Fleisch, Fischen oder Krebstieren 1,98 Prozent. Siehe bilaterale Handelsstatistik Brasilien-Deutschland unter http://sistemas.mre.gov.br/kitweb/datafiles/Berlim/de/file/2016%20compl%20statistiken%20-%20Handelsbeziehungen(1).pdf