Auf den Weg gebracht: das Bundesprogramm zur Reduzierung der Agrargifte

Am 30. Juni hat Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva das Bundesprogramm zur Reduzierung der Agrargifte unterzeichnet. Zivilgesellschaft feiert dies, hat aber konkrete Forderungen und begleitet künftig die Umsetzung des Programmes weiterhin kritisch.
| von Christian.russau@fdcl.org
Auf den Weg gebracht: das Bundesprogramm zur Reduzierung der Agrargifte
Foto: christianrussau

Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva unterzeichnete am 30. Juni dieses Jahres ein Dekret zur Einführung des Nationalen Programms zur Reduzierung von Agrargiften: Pronara. Die Maßnahme "schaffe Mechanismen zur schrittweisen Verringerung des Einsatzes von Pestiziden, insbesondere derjenigen, die als sehr gefährlich für die Umwelt und die menschliche Gesundheit gelten, und zur Förderung nachhaltiger Produktionsmodelle, die die Souveränität der Bevölkerung sowie die Lebensmittel- und Ernährungssicherheit gewährleisten", ließ die Regierung auf ihrer Webseite verlautbaren. Pronara sei "ein Meilenstein in der Umweltpolitik des Landes, der die landwirtschaftliche Produktion mit Nachhaltigkeit und öffentlicher Gesundheit in Einklang bringt", so die Lula-Regierung. Das neue Programm sei eng verknüpft mit der nationalen Politik für Agrarökologie und ökologische Produktion (PNAPO), die bereits durch das Dekret Nr. 7.794 von 2012 eingeführt wurde. Neben der schrittweisen Reduzierung von Pestiziden gehörten zu den "zentralen Aktionen der Maßnahme die Förderung des agrarökologischen Übergangs mit technischer und finanzieller Unterstützung, die Verstärkung der Überwachung von Rückständen in Lebensmitteln, Wasser und Boden, die Förderung von Bio-Dünger und nachhaltigen Alternativen sowie die Schulung von Landwirten und Gesundheitsexperten", so die Regierung.

Auch die Campanha Permanente Contra os Agrotóxicos e Pela Vida feiert die Unterzeichnung des Pronara-Dekrets, betont aber die auch künftig unerläßliche kritische Begleitung desselben:

"Der 30. Juni ist zweifelsohne ein historischer Tag im Kampf gegen Agrargifte. Das Dekret für das Nationale Programm zur Reduzierung von Agrargiften (Pronara), das seit 2014 auf der Tagesordnung stand, wurde endlich von Präsident Lula unterzeichnet - das Ergebnis eines langen Kampfes in dieser Zeit. Angesichts der Vorherrschaft der Agrarindustrie im Kongress wurde Pronara immer als Möglichkeit für die Exekutive gesehen, einen Plan und konkrete Maßnahmen zur Reduzierung des Einsatzes von Agrargiften in Brasilien zu entwickeln. Es sei daran erinnert, dass der Einsatz von Agrargiften in Brasilien von 2000 bis 2023 um 365 % gestiegen ist, d. h. um durchschnittlich 6,9 % pro Jahr - viel mehr als das BIP oder andere Wirtschaftsindikatoren. Es ist also keine Kleinigkeit, über die Reduzierung von Agrargiften zu sprechen. Auch wenn es sich um ein Regierungsprogramm handelt und der politische Wille der Regierung vorhanden ist, haben die starke Basis der Agrarindustrie und die Landwirtschaftsfraktion in der Exekutive immer wieder versucht, Pronara zu bremsen. Im Jahr 2014 war es die damalige Landwirtschaftsministerin Kátia Abreu, die den Prozess blockierte. Das heute von Präsident Lula unterzeichnete Dokument legt die Leitlinien und Ziele des Programms sowie die Rolle der einzelnen Ministerien - SGPR, MDA, MAPA, MS, MMA und MDS - innerhalb von Pronara fest."

Das Wichtigste, so die Campanha Permanente Contra os Agrotóxicos e Pela Vida, stehe aber noch bevor:

"Im Jahr 2014 wurden mehr als hundert Maßnahmen ausgearbeitet, die im Rahmen von Pronara durchgeführt werden sollen. Von einer stärkeren Kontrolle des Einsatzes von Agrargiften in städtischen Gebieten über die Förderung der Meldung von Vergiftungen bis hin zum Aufbau eines nationalen Netzes von Analyselabors sind die Aktionen das Ergebnis der Ansammlung sozialer Bewegungen, die seit Jahrzehnten Kampagnen führen, arbeiten und die Auswirkungen von Agrargiften auf das Leben ländlicher Gemeinschaften erleben. Im Jahr 2024 überprüfte ein thematischer Unterausschuss der CNAPO die Aktionen und erstellte ein Dokument mit 174 Initiativen, die in 6 Achsen unterteilt sind. Hier liegt das Herzstück von Pronara und das Hauptziel des Programms: 'eine schrittweise und kontinuierliche Verringerung des Einsatzes von Agrargiften anzustreben, insbesondere von solchen, die sehr umweltgefährdend und extrem gesundheitsschädlich sind.' Die Tatsache, dass im Amtsblatt vom 30. Juni (dieses Jahres, Anm.d.Ü) 115 neue Agrargiftzulassungen erteilt wurden, zeigt, dass die Ziele von Pronara noch lange nicht erreicht sind. Und die 26 Milliarden an Steuererleichterungen, die die Bundesregierung allein zwischen Januar 2024 und Februar 2025 der agrochemischen Industrie (Syngenta, Corteva, BASF, UPL, Adama, FMC, Bayer, usw.) gewährt, erinnern uns daran, dass das 'Agrochemie-Anreizprogramm' immer noch so stark ist wie früher. Wir beglückwünschen die Bundesregierung zu ihren Bemühungen, die Ministerien auf die allgemeinen Ziele von Pronara und die spezifischen Zuständigkeiten der einzelnen Ministerien zu verpflichten. In den nächsten Tagen erwarten wir die Einsetzung des Pronara-Lenkungsausschusses, der in der Lage sein wird, den Dialog mit der Gesellschaft aufrechtzuerhalten und vor allem Fortschritte bei der Veröffentlichung und Umsetzung der konkreten Maßnahmen zu erzielen, die den Kern von Pronara bilden."

Am 8. Juli haben die Campanha Permanente Contra os Agrotóxicos e Pela Vida und die Fundação Oswaldo Cruz (Fiocruz) eine technische Note zum Pronara herausgegeben, in der sie u.a. Forderungen erheben auf soziale Partizipation an der Umsetzung des Pronara-Programms und in der sie klarstellen, dass die Reduzierung der Agrargifte Aufgabe sei aller drei Regierungsebenen (föderal, landesstaatlich und auf Munizipsebene). Zudem müsse Agrarökologie noch stärker gefördert werden, die kritischen Punkte des Pronara - wie Biodünger und Transgene - und deren angedachte Bedeutung innerhalb des Programms müssten von der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft mit Nachdruck weiter kritisch begleitet werden. Kritisiert wird auch der Begriff "vernünftiger Einsatz" von Agrargiften im Pronara-Text. Zudem sei es zwar richtig, im Rahmen des Pronara zunächst den Blick zu werfen auf die höchstgiftigsten Stoffe, aber es müssen alle Agrargifte zurückgefahren werden, betont die technische Note von Fiocruz und der Campanha Permanente. Der Pronara-Ansatz des Zurückfahrens steuerlicher Vergünstigungen beim Einsatz von Agrargiften wird begrüßt, muss aber auch hier alle Agrargifte betreffen.

Es ist neben diesen Punkten denn eben die Frage nach dem politischen Willen der Exekutive, das Pronara-Programm wirklich mit Leben zu füllen. Dies wird sich zeigen vor allem in den Fragen bei den gesichert eintretenden Rechts- und Politikkonflikten mit dem vom Nationalkongress Ende 2023 verabschiedeten sogenannten "Giftpaket" (siehe hierzu u.a. hier, hier und hier bei KoBra).

// Christian Russau

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