Giftpaket PL 1459/22 im Senat beschlossen, soziale Bewegungen fordern Veto von Präsident Lula

Nachdem im Dezember vergangenen Jahres Brasiliens Abgeordnetenkammer mit ihrer konservativen "ruralista"-Mehrheit das in den Medien und bei sozialen Bewegungen als "Giftpaket" titulierte Gesetzesprojekt zur umfassenden "Flexibilisierung" der Freigabe von Agrarchemikalien verabschiedet hatte, war es nun am 28. November Brasiliens Senat, der das Giftpaket im Plenum letztgültig verabschiedete. Brasiliens soziale Bewegungen fordern Präsident Lula auf, dagegen sein Veto einzulegen. Sollte er dies tun, könnte der Nationalkongress in gemeinsamer Sitzung von Abgeordentenkammer und Senat dieses Veto wiederum mit einfacher Mehrheit kippen. Dann wäre die letzte Möglichkeit, das Giftpaket zu verhindern, der Oberste Gerichtshof STF.
| von Christian.russau@fdcl.org
Giftpaket PL 1459/22 im Senat beschlossen, soziale Bewegungen fordern Veto von Präsident Lula
"ACHTUNG: Gift!" Foto: Christian Russau

Am 28. November billigte das Plenum dem brasilianischen Senats den Gesetzentwurf PL 1.459/22, der das Verfahren zur Freigabe von Pestiziden in Brasilien - im Sinne der Befürwortenden - vereinfacht und beschleunigt. Der Gesetzentwurf ändert die Regeln für die Zulassung und Vermarktung von Pestiziden und sieht für die Registrierung neuer Pestizide kürzere Fristen vor und die behördlich-ministerielle Entscheidung über die Agrarchemikalien werden dem (agrobusinessfreundlichen) Agrarministerium übertragen. Die einzige Gegenstimme im Senat kam von der Senatorin Zenaide Maia von der PSD aus dem Bundesstaat Rio Grande do Norte.

Die Gesetzesvorlage des "Pacote do Veneno" ("Giftpaket") der PL 1459/2022 würde die Grundlagenbestimmung über Produktion, Lagerung, Verwendung und Entsorgung von Agrarchemikalien in Brasilien neu definieren. Kritiker:innen sind sich sicher, die Folge wären: noch mehr Flexibilisierung und noch mehr Pestizide auf Brasiliens Äckern. Gesetzesvorhaben in Brasilien brauchen oft viele Jahre, bevor sie durch alle Instanzen sind, bei dem Giftpaket sind aber schon ziemlich viele Instanzen durchschritten worden - erst als PL 526/99 des damaligen Senators und (noch immer Sojakönigs) Blairo Maggi, dann als PL 6299/2002 in der Abgeordnetenkammer und nun im Senat als die erwähnte PL 1459/2022. Auch aus dem Ausland wird dieser Kampf nah verfolgt, sowohl Abgeordnete des EU-Parlaments wie auch 21 bundesdeutsche Abgeordnete hatten parteiübergreifend einen Brief an die Präsidenten des Senats und mehrere Ausschussvorsitzende in Brasília gesandt, um ihre Besorgnisse über das "Giftpaket" zum Ausdruck zu bringen.

In einer Erklärung erklärt die Campanha Permanente Contra os Agrotóxicos e Pela Vida, dass Brasilien die Gelegenheit verpasst habe, eine nachhaltige Landwirtschaft zu fördern, und sich stattdessen für den Rückschritt in Form eines Gesetzes entschieden habe, das sogar Schlupflöcher für die Zulassung von krebserregenden Pestiziden lässt. "Einmal mehr zeigt die Fraktion ihren archaischen Charakter, indem sie ein Gesetz zur Verteidigung ihrer eigenen Interessen verabschiedet, das nichts mit dem Willen der Gesellschaft und den Bedürfnissen einer Welt zu tun hat, die sich in einem völligen ökologischen Kollaps befindet", erklärte die Campanha Permanente Contra os Agrotóxicos e Pela Vida.

Das Giftpaket stößt auf die Ablehnung von fast zwei Millionen Brasilianern und mehr als 300 Organisationen und öffentlichen Einrichtungen wie Fiocruz, Inca, Anvisa und Ibama, die 2018 eine Petition gegen den Vorschlag unterzeichnet haben, berichtet Brasil de fato.

Bárbara Loureiro von der Landlosenbewegung MST wies darauf hin, dass "eine Koexistenz mit Agrargiften in unseren Gebieten nicht möglich ist, vor allem, weil die Auswirkungen der verwendeten Agrargifte nicht auf den Ort beschränkt sind, an dem sie ausgebracht werden, sondern auch die umliegenden ländlichen Gemeinden, die Nachbarstädte, die Bäche, die Flüsse, das Wasser und die Lebensmittel, die die Bevölkerung erreichen, betreffen". Der Wissenschaftler Rubens Onofre Nodari, Professor an der Bundesuniversität von Santa Catarina (UFSC), warnte vor einem weiteren gefährlichen Vorschlag, der in dem Gesetzentwurf enthalten ist: die Konzentration aller Befugnisse über Pestizide im Landwirtschaftsministerium, das in der Regel vom Agrobusiness kontrolliert wird, den Hauptinteressenten für die Genehmigung des Giftpakets. Diese Änderung steht im expliziten Widerspruch zu der seit 1989 bestehenden Dreiteilung, bei der die Ministerien für Umwelt und Gesundheit an den Bewertungen zur Freigabe oder Verbot von Agrarchemikalien eigentlich gleichberechtigt beteiligt sind. Die mit den Ministerien verbundenen Einrichtungen wie Ibama und Anvisa, die in den letzten Jahren durch wiederholte Haushaltskürzungen geschwächt wurden, bleiben somit von der Kontrolle der in der Landwirtschaft verwendeten Schadstoffe ausgeschlossen, berichtet Brasil de fato.

"Unter Missachtung aller bereits gesammelten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die schwerwiegenden Auswirkungen des intensiven Einsatzes von Agrargiften auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit hat die Landwirtschaftsfraktion des Bundessenats heute Nachmittag das berüchtigte Giftgesetz verabschiedet. Damit wird Brasilien eine erhebliche Lockerung der bestehenden Vorschriften für Forschung, Experimente, Produktion, Kommerzialisierung, Import, Export, Verpackung und endgültige Entsorgung von Pestiziden erleben", sagt der Universitätsprofessor Marcos Pedlowski von der Universidade Estadual do Norte Fluminense in Campos dos Goytacazes im Bundesstaat Rio de Janeiro. "Was noch nicht richtig analysiert wurde, ist die wahrscheinliche Umwandlung Brasiliens in eine Art Industriepark für Pestizide, die in anderen Teilen der Welt verboten sind, weil sie schwere Krankheiten, einschließlich verschiedener Krebsarten, verursachen können. Diese Erleichterung der Produktion von Pestiziden mit bekanntermaßen krebserregendem Potenzial steht im Einklang mit den Bemühungen um die Annahme des Handelsabkommens zwischen dem Mercosur und der Europäischen Union. Es sei daran erinnert, dass europäische multinationale Konzerne wie Bayer und BASF mit wachsendem Widerstand gegen einige ihrer 'Verkaufsschlager' wie Glyphosat konfrontiert sind und nun in der Lage sein werden, die Produktion dieser Gifte auf brasilianisches Gebiet zu verlagern, insbesondere wenn das Handelsabkommen unterzeichnet wird", so Pedlowski.

// Christian Russau