„Wir werden Widerstand leisten! SURARA! SAWÊ!“

KoBra dokumentiert die deutschsprachige Übersetzung des Offenen Briefs der indigenen Frauen vom Unteren Tapajós.
| von Übersetzung: christian russau
„Wir werden Widerstand leisten! SURARA! SAWÊ!“
Treffen indigener Frauen am Unteren Tapajós. Photo Courtesy: CIMI

Offener Brief der indigenen Frauen vom Unteren Tapajós:

Aldeia Novo Gurupá, Rio Arapiuns, Santarém-Pará, 12. Januar 2019

[zur Originalquelle bitte hier]

Wir, die indigenen Frauen vom Unteren Tapajós-Fluss der Völker Arapium, Apiaká, Arara Vermelha, Borari, Jaraqui, Kumaruara, Maytapu, Munduruku, Munduruku Cara Preta, Tapajó, Tapuia, Tupayú und Tupinambá haben unser erstes großes Treffen vom 9. zum 13. Januar 2019 in indigenen Dorf Novo Gurupá, am Fluss Arapiuns im Munizip Santarém-Pará abgehalten. Wir haben uns hier mit ungefähr 200 Frauen versammelt, um unsere Widerstandsstrategien, die Verteidigung unserer Territorien sowie die Durchsetzung der Rechte der indigenen Frauen gemeinsam zu besprechen, um dergestalt unsere Erfahrungen auszutauschen sowie unsere Kultur und Spiritualität zu stärken. Im Verlauf der Tage unseres Treffens haben wir Rituale durchgeführt und Kunsthandwerk, Hausmittel gegen Krankheiten, Reinigungsmittel hergestellt und haben unsere Körper mit Jenipapo bemalt und uns um unsere Schönheit gekümmert. Etwas gemeinsam zu machen, dies ist für uns unsere Art zu existieren und Widerstand zu leisten. Es sind unsere prinzipien der Kollektivität und der Erkenntnisweitergabe an jüngere Generationen. Auf diese Art und Weise haben wir seit Jahrtausenden unsere Territorien, Gebräuche und Traditionen verteidigt. Auf dass wir unsere Beziehung zu und mit dem Wald und den Flüssen bewahren mögen! Wir hängen von der Natur ab, um physisch und spirituell weiter existieren zu können! Die verzauberten Geister, die uns schützen und dem Leben Kontinuität gewähren, hängen vom Wald und von den Flüssen ab. Wenn sie die Flüsse und den Wald töten, dann sterben sie und unsere Völker sterben mit. Deshalb sind wir äußerst besorgt über den alarmierend voranschreitenden Abbau indigenistischer Politik durch den jüngst inthronisierten Präsidenten der Republik, Jair Messias Bolsonaro. Wir wollen keine Waldrodungen! Wir wollen keine Ausbeute unserer natürlichen Ressourcen! Wir wollen keinen Sojaanbau und keine Weideviehwirtschaft auf unserem Land! Wir wollen keinen Bau von Wasserkraftwerken und Häfen an unseren Flüssen!

Gegenwärtig sind wir mehr als siebentausend Indigene. Wir leben in 64 Dörfern in 18 indigenen Territorien, alle in den Munizipien Santarém, Belterra und Aveiro, im Westen des Bundesstaats Pará. Unsere Groß-,Ur- und Ururgroßeltern erzählen uns Geschichten der Alten, die in der Region des Unteren Tapajós lebten. Wir wissen, dass unsere Vorfahren bis heute in unseren Territorien leben. Die Orte, wo sie leben, sind für uns heilig und wir hegen den höchsten Respekt für diese Orte. Wir hängen von ihnen ab, um unserer spirituellen und kulturellen Existenz Kontinuität zu geben. Unsere Ältesten haben uns gelehrt, Mutter Erde und Mutter Wasser zu respektieren und zu zu bewahren. Jeder Ort hat eine Mutter, und es ist sie, die ihn bewacht und sich um ihn kümmert. Dieses Wissen geben wir an unsere Söhne und Töchter weiter. Dergestalt erhalten wir uns lebendig und geschützt gegen alle Gewalttaten, die uns angetan werden.

Wir lassen uns nicht durch die zunehmenden Bedrohungen durch Vertreter des Staates oder von Privatleuten einschüchtern.Auf allen Ebenen gibt es Versuche, die unsere Existenz zu delegitimieren versuchen und unser angestammtes Recht auf unsere Territorien verneinen wollen. Hier nur einige Beispiele aus den muniziaplen, landesstaatlichen und bundesstaatlichen Ebenen. Die Munizipalverordnetenversammlung von Santarém hat im Dezember 2018 eine Sonderkommission zur Untersuchung der indigenen Territorien und der ethnischen Völker eingesetzt unter der Devise, dass es in der Region „falsche Indigene“ gäbe. Dies ist eine absolute Mißachtung unserer Herkunft und Erinnerung und stellt eine schwere Verletzung des verfassungsmässig garantierten Rechtes der ethnischen Selbstbestimmung dar. Im gleichen Monat hat der Bürgermeister von Santarém den Munizipalrahmenplan verabschieden lassen, in Mißachtung der Entscheidung der Munizipalkonferenz von rund 700 Bürgerinnen und Bürgern von Santarém. Unter den vorgenommenen Änderungen der von der Konferenz verabschiedeten Beschlüssen befindet sich die Einstufuung des Gebiets des Lago do Maicá als Hafenzone. In dieser Region leben Indigenas, Quilombolas und Ribeirinhos. Die Abstimmung zu diesem Punkt war die umstrittenste und heftigste, und die Bevölkerung beschloss, den Bau von Häfen an dem Lago von Maicá wegen des großen Widerstands nicht zuzulassen. Der genannte See ist ein ökologisches und sozioökonomisches Erbe der Region. Hunderte von Familien sind auf den Maica-See angewiesen, um ihren Lebensunterhalt und ihren finanziellen Lebensunterhalt aufrechtzuerhalten, vor allem durch die Fischerei. Außerdem befindet sich in der Region Maicá das indigene Territorium Munduruku-Apiaká des Santareno-Plateaus, zu dem die Arbeitsgruppe zur Identifizierung des indigenen Landes von der Bolsonaro-Regierung gestoppt wurde. Diese Region des Santareno-Plateaus wird vom Agribusiness für die Monokultur von Sojabohnen begehrt. Die SIRSAN (Sindicato Rural de Santarém), Vertreter der landwirtschaftlichen Farmer in der Santarém-Region, beauftragt Kräfte, die Führer der indigenen und der Quilombola-Bewegung zu verfolgen.

In Bezug auf die Zuständigkeiten der Landesregierung weisen wir auf den kompletten Mangel an Investitionen in die Schulbildung indigener Schulen hin, der zu prekären Arbeitsbedingungen für Lehrer, zu schlechter Qualität und zu wenig Schulmahlzeiten und zu keiner differenzierten Bildung führt. Die Regierung des Bundesstaates Pará führt keine öffentlichen Maßnahmen für die indigenen Völker des Unteren Tapajós durch. In vielen Fällen erteilt es die Erlaubnis, natürliche Ressourcen in unseren Gebieten zu nutzen, ohne uns zu konsultieren.

Wie wir bereits erklärt haben, koordiniert die Bolsonaro-Regierung mit nur 13 Tagen im Amt einen beschleunigten Abbau der indigenistischen Politik. Am ersten Tag des Mandats, am 1. Januar 2019, wurde die vorläufige Maßnahme Nr. 870 veröffentlicht, die unter anderem dem Ministerium für Agrobusiness – unter der Leitung von Tereza Cristina, die besser unter dem Name „Muse des Giftes“ bekannt ist – die Entscheidungshoheit über das Eingrenzen, Abgrenzen und Registrieren von indigenen Gebieten und die Verantwortung für die Umweltlizenzierung von Projekten, die sich auf indigene Gebiete auswirken, überträgt. Durch diese Tat ist unser Land einem hohen Risiko ausgesetzt. Deshalb bitten wir um die Unterstützung internationalen Gemeinschaft, um brasilianische Agribusiness-Produkte zu boykottieren!

Die Indigenenbehörde FUNAI wurde nicht nur geschwächt – dass sie die Hoheit über Entscheidung zu solch für uns elementar wichtigen Fragen für die Wahrung unserer Rechte abgeben musste – , sondern die FUNAI wurde an das von Damares Alves kommandierte Ministerium für Frauen, Familie und Menschenrechte übertragen. Diese ist evangelikale Pfarrerin, Verfechterin der sogenannten „Schule ohne Partei“ und der Bekämpfung der sog. Geschlechterideologie. Sie entspricht also einem Profil, das völlig anders ist als das, was wir von einem Fachmann/-frau vorstellen, der/die mit Standards für Menschenrechte, für ethnische, rassische und geschlechtliche Minderheiten arbeitet. Die Rede von Bolsonaro und seinem Team über indigene Völker ist rückwärtsgewandt und behandelt uns respektlos, unsere Geschichte, unsere Abstammung und mißachtet unser politisches-bürgerliches Handeln in Bezug auf den brasilianischen Staat. Der Präsident verglich uns mit Tieren im Zoo, die in einem Käfig gefangen seien, wenn er es mit dem Leben in unseren traditionellen Territorien vergleicht. Er macht absurde Aussagen über unsere Lebensweise und über unsere Wünsche als brasilianische Bürgerinnen. Ja, wir sind Brasilianerinnen! Wir sind Indigene! Wir wissen, was wir wollen, und wir verlangen das Recht, vom Staat zur Ausarbeitung und Umsetzung öffentlicher Richtlinien konsultiert zu werden! Wir wollen die Gesundheit indigener Frauen fördern! Wir möchten, dass in unseren Dörfern öffentliche Bildung, mit spezifischer und differenzierter Qualität angeboten wird! Wir wollen Autonomie bei der Umwelt- und Territorialbewirtschaftung unserer Länder! Wir möchten, dass unsere Kultur, Tradition und Spiritualität respektiert werden! Wir wollen, dass unsere Gebiete demarkiert sind! Unser Land ist keine Ware! Wir werden Widerstand leisten! SURARA! SAWÊ!“

Übersetzung: christianrussau

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