249 | Grenzverschiebungen

Ein Streifzug durch vernachlässigte Debatten und Räume
| von Brasilicum Redaktion
249 | Grenzverschiebungen
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Inhalt:

    • „Im Griff des Agrobusiness“ - Stadt-Land-Verhältnisse in den Cerrado-Regionen Mato Grossos
      Martin Coy

    • Städte in Amazonien
      Dieter Gawora

    • Die Migration von Venezolaner*innen nach Brasilien und ihr Kampf um Sichtbarkeit
      Stefani Rackes da Silva

    • Indigene Frauenpower zwischen Stadt und Land – Eindrücke einer Brasilienreise
      Uta Grunert

    • Blue Community – eine Initiative für Wasser als Menschenrecht und öffentliches Gut auf den Wasserforen in Brasília
      Lisa Krebs

    • Ohne Feminismus keine Agrarökologie - Interview mit Ceres Hadich von der MST
      Svea Franz und Jan Erler

    • Frau, Schwarz, aus der Favela und Parlamentarierin: Widerstand und Pleonasmus
      Marielle Franco

    • Deutsche Aktienkonzerne in Brasilien – Kritische Aktionäre fragen auf Hauptversammlungen nach
      Fabian Kern

       

      Editorial:


      Die Metropolen Rio de Janeiro und São Paulo prägen international das Bild Brasiliens. Zusammen mit Brasília gelten sie als die ökonomischen, politischen und kulturellen Zentren des Landes  – hier entstehen 80% aller Medienproduktionen, die im ganzen Land ausgestrahlt werden und den urbanen, modernen, konsumbasierten Lebensstil bis in die Gemeinden Amazoniens hineingetragen. Während diese Metropolen des Südostens ein hohes Maß an Aufmerksamkeit erfahren, wird anderen brasilianischen Millionenmetropolen, den wachsenden Mittelstädten sowie den vielfältigen anderen urbanen und ländlichen Räumen kaum Beachtung geschenkt. Ländliche Gemeinden mit stark landwirtschaftlicher Prägung liegen neben ausgedehnten Landstrichen, in denen kaum noch Menschen wohnen. Wo früher tausende Arbeiter*innen in der Zuckerrohrernte ihr kärgliches Auskommen fanden, stehen heute Eukalyptusplantagen die von großen Maschinen abgeerntet werden. Wo Mitte des 20 Jahrhunderts noch Indigene eine extensive Landwirtschaft betrieben haben oder von Fischfang und Jagd lebten, erstrecken sich heute Sojaplantagen bis an den Horizont. Die Agrarindustrie und der Ausbau von Wasserkraft im Amazonasgebiet bedrängen die kleinbäuerliche Landwirtschaft, indigene Lebensformen, und traditionelle Gemeinschaften. Die sozio-ökonomischen Realitäten spiegeln sich beispielsweise auch in der Entstehung neuer urbaner ländlicher Zentren des Agrobusiness wider, wie sie Martin Coy eindrücklich beschreibt. Dass Städte nicht isoliert von internationalen politischen Ereignissen existieren, zeigt der Beitrag von Stefani Rackes da Silva zur Situation venezolanischer Geflüchteter in Boa Vista, der Landeshauptstadt des Bundesstaates Roraimas sowie ein Beitrag von Lisa Krebs über die Initiative der Blue Communities, die derzeit in Kanada und der Schweiz entstehen und mittels Städtepartnerschaften auch brasilianische Kommunen erreichen. Die historische Prägung von Städten wird in dem Artikel von Dieter Gawora deutlich, der eine Klassifizierung von Städten im Amazonasgebiet vornimmt. Die urbanen Zentren als Sinnbild der Moderne stellt auch indigene Frauenbewegungen im Umgang mit der eigenen Identität und Lebensweise vor neue Herausforderungen: Stehen doch die urbanen Räume im Widerspruch zur traditionellen indigenen Lebensform, während diese Räume zugleich neue Möglichkeiten der Mobilisierung und Identitätsfindung bieten, z.B. was den Wandel hin zu einer nachhaltigen feministischen Agrarökologie betrifft, wie sie Ceres Hadich vom MST im Interview mit Svea Franz und Jan Erler beschreibt.
      Die großen Metropolen Brasiliens können auch in diesem Heft doch nicht ganz umgangen werden: In Brasilia fand dieses Jahr das Weltwasserforum statt, von dem Uta Grunert in diesem Heft berichtet. Rio de Janeiro wurde am 14. März trauriger Schauplatz der Ermordung der Aktivistin und Stadträtin Marielle Franco. Als Schwarze, feministische und aus der Favela stammende Politikerin steht sie für den Wandel, der tradierte von weißen Männern dominierte Machtverhältnisse in Frage stellte. Zugleich stellt die Ermordung einer bekannten Kommunalpolitikerin inmitten Millionenmetropole ein neues Ausmaß an Gewalt dar. War doch diese Methode, politische Gegner*innen zu bekämpfen, bisher den ländlichen Räumen vorbehalten. Nicht zuletzt gibt ein Beitrag von Fabian Kernen einen Überblick zur unternehmerischen Verantwortung deutscher Konzerne in Brasilien.
      Bei der Beschäftigung mit diesem sehr weiten Themenfeld der Stadt-Land-Verhältnisse haben wir gemerkt, dass wir nur einige Aspekte abdecken können. Die im Herbst anstehenden Wahlen, bei denen die oft vernachlässigte Region des Nordostens vermutlich wieder eine große Rolle spielen wird, werden in diesem Heft nicht weiter diskutiert - zu vieles liegt noch im Ungewissen. Wer den Wahlkampfverfolgen möchte, kann sich in den kommenden Monaten auf unserer Website informieren. Das Wahlergebnis diskutieren können wir dann gemeinsam am Runden Tisch Brasilien, der zwischen dem 16. - 18.11.2018 in Bonn stattfinden wird.

      die Redaktion