Durchaus politischer als sonst

Mit Portela und Imperatriz Leopoldinense haben sich zwei Sambaschulen dieses Jahr beim Karneval von Rio an politische Themen gewagt.
| von Christian Russau
Durchaus politischer als sonst
Imperatriz Leopoldinense. Foto: Todd Southgate

Zu Brasiliens größter Feierlichkeit, dem Karneval in Rio de Janeiro, wurde dieses Jahr ein Sieger gekürt, der 33 Jahre lang den Wettbewerb der Sambaschulen von Rio nicht mehr gewonnen hatte: die Sambaschule Portela überzeugte die Jurorinnen und Juroren am meisten. Dabei hatte diese sich im Rahmen ihres allgemein ausgewählten Flussthemas auch eines eigentlich politisch äußerst brisanten Themas gewidmet: dem Dammbruch der Bergwerksdeponie der Firma Samarco im Bundesstaat Minas Gerais vom November 2015, deren Schlammlawine 19 Menschen tötete, zwei Dörfer verwüstete und die 680 Kilometer Flusslandschaft des Rio Doce zerstörte, Tausenden Kleinfischern die Lebensgrundlage raubte und 3,5 Millionen von der regulären Trinkwasserversorgung abschnitt.

Zum Karnevalssieg trug aber wohl auch bei, dass die Siegerin Portela die Tragik des Dammbruchs und seiner Folgen für die Menschen am Fluss zeigte – was wichtig und durchaus angemessen war – , aber Portela enthielt sich weitergehender politischer Kritik: die mitverantwortlichen Firmen – die brasilianische Vale und die australische BHP Billiton – wurden ebensowenig beim Auftritt thematisiert, wie Portela auch die Rolle der Behörden zu wenig hinterfragte, die in der Kontrolle der im ganzen Land wie Pilze aus dem Boden sprießenden Bergwerksdeponien jahrelang versagt hatten. Auch die für stete Ausweitung der Bergbaulizenzen verantwortlichen Politiker als Mitverantwortliche für den Dammbruch und dessen Folgen wurden bei Portela nicht thematisiert. Insofern blieben bei kritischen Beobachtern Fragen offen, gleichwohl die Thematisierung solch sensibler Themen zunächst einmal positiv zu bewerten ist.

Auch die im Vorfeld von Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten wegen der Thematisierung des Xingu-Staudamms Belo Montes, dessen Folgen sowie der Umwelt- und sozialen Brutalität der brasilianischen Landwirtschaft hoch gelobte Sambaschule Imperatriz Leopoldinense wandelte nach Kritiken der Landwirtschaftslobby ihr ursprüngliches Motto des Wagens „Die Großbauern und ihre Pestizide“ ab und änderte es in den etwas halbgareren Satz „Der falsche Einsatz der Agrochemie“.

Die Sambaschulen argumentierten, ihr Thema sei nicht Politisches, sondern Kultur. Damit zeigte sich die Landwirtschaftslobby dann zufriedener, die zuvor noch die Agitation von „kulturellen Kommunisten“ witterte. Imperatriz Leopoldinense tanzte dennoch beeindruckend, unter dem Motto „Xingu – Der Klageruf aus dem Wald“ und im Sambódromo sah man viele der indigenen Aktivistinnen und Aktivisten, Menschenrechtler und Umweltschützer, die die Gelegenheit am Schopfe griffen, das Thema dennoch unter die Menschen zu bringen. Denn das ist etwas, was Sambaschulen mit ihren Auftritten in Rio schaffen: sie erreichen die Menschen, und diese nehmen die allegorische Themenvielfalt des Umzugs auf und reden darüber. Insofern war der Karneval dieses Mal durch Portela und Imperatriz Leopoldinense durchaus politischer als sonst.