Bundesstaatsanwaltschaft fordert Ausschreibungsstopp für Bahnlinie Ferrogrão

Bundesstaatsanwaltschaft MPF fordert den Stopp des Ausschreibungsverfahrens für die "Soja"-Bahnlinie Ferrogrão.
| von Christian.russau@fdcl.org
Bundesstaatsanwaltschaft fordert Ausschreibungsstopp für Bahnlinie Ferrogrão
Es gibt schon jetzt Bahnlinien in Brasilien zum Transport von Rohstoffen, die massiv die Rechte der lokalen Bevölkerung verletzten. Foto: Bahnlinie von Carajás. Foto: christianrussau

Die Bundesstaatsanwaltschaft hat am Montag laut Presseberichten bekannt gegeben, den Stopp des Ausschreibungsverfahrens für die Bahnlinien Ferrogrão zu fordern. Die zum Transport von vor allem Soja aus der Boomregion Sinop im Bundesstaat Mato Grosso an die Flusshäfen im Bundesstaat Pará vorgesehene Bahnlinie würde nach Erkenntnissen der Bundesstaatsanwaltschaft 48 von der Verfassung geschützte indigene Territorien durchschneiden und somit die verbrieften Rechte der Indigenen verletzen.
Gemäss der bei der Bundesstaatsanwaltschaft eingereichten Anzeige gegen die das Projekt vorantreibende Bundesregierung, weigere sich die Bundesregierung, Konsultationen mit den betroffenen Völkern durchzuführen, selbst nachdem sie sich verpflichtet hat, das Recht auf vorherige, freie und informierte Konsultation gemäß dem Übereinkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu respektieren. Die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft wurde eingereicht im Namen des Instituto Socioambiental (ISA), der Iakiô-Vereinigung, des Volkes der Panará, der Xingu-Vereinigung für indigenes Land (Atix), des Raoni-Instituts, des Volkes der Kayapó, und des Kabu-Instituts sowie im Namen des Volkes der Kayapó Mekragnotireo,
"Die Legitimität der Ansprüche indigener Völker und traditioneller Gemeinschaften auf die Erfüllung ihrer Rechte auf Konsultation und freie Zustimmung muss dringend angegangen werden", heißt es in einem Auszug aus der Anzeige, aus dem die Presse zitiert.
Im Jahr 2017 hatte die brasilianische Staatsagentur für Landtransport ANTT auf einer formal im Rahmen des Bewilligungsprozesses vorgeschriebenen Anhörung sich dazu verpflichtet, die erforderlichen Konsultationen der vom Bahnprojekt betroffenen indigenen Völker durchzuführen. Entgegen der damals auch schriftlich fixierten Erklärung der Behörde sei dies aber bis heute nicht erfolgt, so die Bundesstaatsanwaltschaft. Dennoch haben die zuständigen Behörden den staatlichen Genehmigungsprozess weiter vorangetrieben. Laut Presseberichten plant Brasília, die vorläufige Betriebsgenehmingung bereits Anfang 2021 zu erteilen. Deswegen hat nun die Bundesstaatsanwaltschaft eine Dringlichkeitsbehandlung zur Klärung der Frage des Weiterbaus des Bahnproektes beim brasilianischen Bundesrechnungshof beantragt, um einen Stopp der diesbezüglichen Behördenarbeit zu erreichen.
Das Ferrogrão-Bahnlinienprojekt ist seit Jahren eines der Lieblingsinfrastrukturprojekte von Brasília als auch der Soja-Farmer:innen in Mato Grosso. Für die derzeitige Boomregion beim Soja – dem zentralbrasilianischen Bundesstaat Mato Grosso – gibt es seit der Regierung von Dilma Rousseff Pläne für weitere Straßen-, Wasserstraßen- und Bahnbauprojekte. In der Vergangenheit wurde das Soja per LKW an die Verladeterminals der Häfen im Südosten des Landes, Santos und Paranaguá, geliefert. Als die Autobahn BR-163 auch gen Norden, Richtung Miritituba und Santarém, asphaltiert wurde, sparten sich die LKWs rund 1.000 Kilometer Strecke, im Durchschnitt eine Ersparnis von zwei Tagen. Als dritten LKW-Transportweg gibt es derzeit noch die Landesstraße MT-235, die gen Westen nach Porto Velho am Rio Madeira führt, wo das Soja bei den Terminals in Schiffe verladen wird, die die Ladung zu den Überseehäfen am Amazonas transportieren.
Für die Soja-Farmer:innen sind die Logistikkosten die entscheidende Stellschraube zur verstärkten Eroberung des Weltmarkts für brasilianisches Soja. 2014 betrug der Logistikpreis je Tonne Soja auf der Strecke Mato Grosso – Paranaguá/Santos 150 US-Dollar pro Tonne, während bei vergleichbarer Transportstrecke der Vergleichswert für US-amerikanische Farmer:innen des Mittleren Westens bei einem Viertel dessen läge, so ein damaliger Bericht bei „Bloomberg“.
Doch diese Straßen erhöhen erwiesenermaßen den Druck auf die Waldflächen in Amazonien. Márcio Santilli vom Instituto Socioambiental (ISA) sprach bereits 2017 angesichts dieses Amazonien durchziehenden Straßennetzes von dem „zerhackten Amazonien“: Diese Bundes- und Landesstraßen stellen die größte Bedrohung für den Erhalt Amazoniens dar: 80 Prozent aller Rodungen in Amazonien erfolgen Erhebungen zufolge entlang eines 30 Kilometer breiten Streifens entlang der asphaltierten Straßen.
Gebetsmühlenartig beklagen Mato Grossos Farmer:innen die Kosten der mehrtägigen LKW-Fahrten auf der BR-163 gen Südosten sowie die Wartezeiten zur Entladung an den oft ausgebuchten Atlantikhäfen von Santos und Paranaguá, was teils mehrere Wochen Stillstand bei LKW und Fahrer:in verursache. Die BR-163 gen Norden nach Miritituba sei auch immer viel befahren, die derzeitigen Entlade- und Beladekapazitäten nahezu ausgeschöpft, was alles zu Verzögerungen führe, und der Weg nach Westen über die MT-235 sei auch ein geographischer Umweg, wenn das Soja von dort auf Kähnen Richtung Nordosten am Amazonas verbracht werde. Nach Vorstellungen von Politik und Soja-Farmer:innen sollen es Wasserstraßen und Bahntrassen richten.
Infolge der Asphaltierung der Bundesstraße BR-163 gen Norden sind die Frachtkosten bereits um 34 Prozent je Tonne Soja gesunken. Bei den geplanten schiffbaren Wasserstraßen an den Flüssen Tapajós, Teles Pires und Juruena werden zukünftig gar Kostenersparnisse von weiteren 41 Prozent je Tonne Soja erhofft, was den Druck auf Landflächen in der Region noch weiter erhöhen wird.
Weitere Pläne sehen eben den Bau von Bahntrassen vor. Und hier kommt Ferrogrão ins Spiel. „Ferrogrão“ heißt einer der geplanten Süd-Nord-Bahnkorridore von Sinop in Mato Grosso nach Miritituba in Pará am Tapajós, von wo aus über den Amazonas der Atlantikanschluss an den Weltmarkt gewährleistet werden solle. „Ferrogrão“ soll den Planern zufolge dem Transport von Soja und Getreide aus Mato Grosso dienen, aber auch für Erzzüge nutzbar sein.
Egal, ob Straße, Wasserstraße oder Bahn: Im Zuge solches Infrastrukturausbaus würden dann auch die Soja-Terminals massiv ausgebaut werden, so Politik und Farmerlobby unisono: So sollen die Soja-Terminals von Santarém von 1,8 auf 8 Millionen Tonnen im Jahr, die von Porto Velho von 4 auf 7 Millionen Tonnen im Jahr und Miritituba von 3,5 auf 32 Millionen Tonnen bis Mitte der 2020er Jahre fast verzehnfacht werden. Ein Alptraum für die Savannenlandschaft des Cerrado und Amazonien sowie dessen Bewohner:innen.
All dieser Ausbau der Infrastruktur „zerhackt“ Amazonien, erhöht den Druck auf die vom Extraktivismus bedrohten Territorien und wird in Zukunft noch mehr Sojamehl in die EU und auch für Deutschlands Tiermastanlagen ermöglichen, da die Kostensenkungen das brasilianische Soja noch mehr auf dem Weltmarkt reüssieren lassen.
// christian russau