Ein lang geforderter Meilenstein für den Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern in Brasilien

Regierung Lula veröffentlicht das Dekret Nr. 12.710 für den neuen bundesweiten Plan zum Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern in Brasilien.
| von Christian.russau@fdcl.org
Ein lang geforderter Meilenstein für den Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern in Brasilien
Titelblatt des Dekrets Nr. 12.710 für den neuen bundesweiten Plan zum Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern in Brasilien

Von Christian Russau

Am gestrigen Donnerstag, den 6. November, wurde im brasilianischen Amtsblatt Diário Oficial da União das von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva unterzeichnete Dekret Nr. 12.710 veröffentlicht, mittels dessen der Nationale Plan zum Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern eingesetzt werden soll. Laut der Regierung handelt es „sich um ein Instrument, das als Leitfaden für die Maßnahmen der Bundesverwaltung zum Schutz von Personen und Gruppen dient, die sich für die Förderung und Verteidigung der Menschenrechte einsetzen“.

Der neue bundesweiten Plan zum Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern zielt laut der brasilianischen Bundesregierung darauf ab, „die koordinierte Umsetzung von Programmen, Strategien und Initiativen zu stärken und die Zusammenarbeit zwischen Bund, Bundesstaaten, Bundesdistrikt und Gemeinden zu fördern, um Strategien und Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern umzusetzen. Zu den Zielen gehören auch die politische Koordinierung und die Förderung der Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Ausarbeitung, Umsetzung und Überwachung öffentlicher Schutzmaßnahmen“, so die Lula-Regierung anlässlich der Veröffentlichung des Plans.

Der Plan basiert laut dem Dekret auf fünf Grundsätzen:
In Art. 2 werden die Grundsätze des Nationalen Plans zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern ausgeführt:
„I – die Unverletzlichkeit der Menschenrechte;
II – soziale und demokratische Teilhabe;
III – der Schutz des Lebens und der Menschenrechte;
IV – die Ablehnung institutioneller Gewalt; und
V – die Bekämpfung von Diskriminierung.“

Art. 3 widmet sich den Zielen des Nationalen Plans zum Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern:
„I – die Stärkung der koordinierten Maßnahmen in Programmen, Politiken und Initiativen zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern;
II – die Zusammenarbeit zwischen Bund, Bundesstaaten, Bundesdistrikt und Gemeinden zur Umsetzung öffentlicher Maßnahmen und Aktionen zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern zu fördern;
III – Koordinierung von Maßnahmen zur Gewährleistung des individuellen, kollektiven und territorialen Schutzes von Menschenrechtsverteidigern; und
IV – Förderung der Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Ausarbeitung, Umsetzung und Überwachung öffentlicher Schutzmaßnahmen.“

Art. 5 erklärt das Ministerium für Menschenrechte und Staatsbürgerschaft als zuständig für:
„I – die Koordinierung der Umsetzung, Durchführung, Überwachung und Bewertung des Nationalen Plans zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern;
II – die technische und administrative Unterstützung von Schutzprogrammen auf Bundes-, Landes-, Bezirks-, Kommunal- und regionaler Ebene;
III – sektorale Politiken für den umfassenden Schutz von Menschenrechtsverteidigern zu koordinieren;
IV – die Finanztransfers an das Programm zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern, Kommunikatoren und Umweltschützern zu überwachen und die Durchführung dieses Programms gemäß den Bestimmungen des Dekrets Nr. 9.937 vom 24. Juli 2019 zu verwalten; und
V – Koordinierung des Ausschusses für die Umsetzung, Überwachung und Bewertung des Nationalen Plans zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern.“

Art. 6 weist den jeweils genannten Ministerien und Behörden diese folgenden Aufgaben zu:
„I – dem Ministerium für Agrarentwicklung und Familienlandwirtschaft, den Schutz von Menschenrechtsverteidigern auf dem Land durch Landregulierung, Zugang zu Land und Maßnahmen zur nachhaltigen ethnischen Entwicklung sowie durch die Unterstützung der Familienlandwirtschaft von Quilombola-Gemeinschaften und traditionellen Völkern und Gemeinschaften zu fördern;
II – dem Ministerium für ethnische Gleichstellung, den Schutz von Menschenrechtsverteidigern durch die Förderung der Rassengleichheit, die Bekämpfung von Rassismus, die Stärkung von Quilombolas, von traditionellen afrobrasilianischen Völkern und Gemeinschaften sowie terreiros und ciganos durch sektorübergreifende Maßnahmen zu unterstützen;
III – das Ministerium für Justiz und öffentliche Sicherheit soll die Sicherheit von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern durch integrierte Maßnahmen in den Bereichen öffentliche Sicherheit, Bekämpfung der organisierten Kriminalität, polizeiliche Ermittlungen und Förderung des Zugangs zur Justiz unterstützen;
IV – das Ministerium für Umwelt und Klimawandel soll den Schutz von Umweltaktivisten durch die Erhaltung von Ökosystemen, den Schutz der Biodiversität, des Klimas und der Wälder im Einklang mit nachhaltigen und sozial-ökologischen Grundsätzen, das für die Umsetzung von Maßnahmen zum Schutz der natürlichen Ressourcen zuständig ist, die für die Lebens- und Produktionsweisen indigener Völker, traditioneller Völker und Gemeinschaften sowie von Kleinbauern erforderlich sind, in Abstimmung mit den anderen zuständigen Ministerien;
V – das Ministerium für Frauen den Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen durch die Koordinierung von Maßnahmen zur Gleichstellung der Geschlechter, zur Bekämpfung von Diskriminierung, zu positiven Maßnahmen und zur sektorübergreifenden Zusammenarbeit zur Verteidigung der Rechte der Frauen zu unterstützen;
VI – das Ministerium für indigene Völker den Schutz indigener Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger durch territoriale Koordinierung, Konfliktprävention und -mediation, Überwachung von Bedrohungen und Schutz indigener Gebiete und kollektiver Rechte zu unterstützen; und
VII – das Sekretariat für soziale Kommunikation der Präsidentschaft der Republik soll den Schutz von Kommunikatoren und Kommunikatorinnen unterstützen, indem es zur Förderung der Meinungs- und Pressefreiheit beiträgt, Maßnahmen zur Förderung des Pluralismus und der Vielfalt in den Medien sowie zur Entwicklung des professionellen Journalismus formuliert.“

Art. 9 führt aus, dass „die Schutzmaßnahmen individuelle, kollektive, populäre und territoriale Maßnahmen umfassen, um den umfassenden Schutz von Menschenrechtsverteidigern entsprechend dem Risikokontext zu gewährleisten“. Art. 10. definiert, dass der „kollektive und populäre Schutz im Nationalen Plan zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern Vorrang hat, mit besonderem Augenmerk auf:
I – indigene Gemeinschaften;
II – Quilombolas und andere traditionelle Völker und Gemeinschaften;
III – Kommunikatoren und Umweltschützern;
IV – Verteidigern auf dem Land und in den städtischen Randgebieten; und
V – Familienbauern und -bäuerinnen.“

Sandra Carvalho vom Comitê Brasileiro de Defensoras e Defensores de Direitos Humanos betont laut der Presseerklärung anlässlich der Veröffentlichung des Dekrets die Bedeutung dieses Moments für die Verteidigung der Menschenrechte im Land: „Das Dekret ist ein sehr wichtiger Schritt, um den Schutz von Menschenrechtsverteidigern in Brasilien zu stärken und ihre grundlegende Rolle bei der Stärkung der Demokratie anzuerkennen. Als Ergebnis eines langen Kampfes der Zivilgesellschaft geht der Plan noch einen Schritt weiter, indem er auch den kollektiven Schutz priorisiert“, so Carvalho weiter. Denn dies ist eine jahrelange Forderung des 20024 gegründeten Comitê Brasileiro de Defensoras e Defensores de Direitos Humanos: Dass das Konzept der Menschenrechtsverteidiger:innen, das bisher auf Einzelpersonen beschränkt war, zu erweitern. Denn nach Einschätzung der Organisationen sei es auch Aufgabe des brasilianischen Staates, kollektive Gemeinschaften wie Landlosen-Ansiedlungen, Quilombola-Gebiete oder indigene Dörfer zu schützen, die Gewalt durch Dritte ausgesetzt sind.

„Die Veröffentlichung des Dekrets ist ein sehr wichtiger Schritt, um die Verantwortung des brasilianischen Staates gegenüber Menschenrechtsverteidigern auf die Tagesordnung zu setzen“, so Darci Frigo von der Menschenrechtsorganisation Terra de Direitos. „Wir kämpfen seit 20 Jahren dafür, dass die Politik in Bezug auf die rechtlichen Rahmenbedingungen, vor allem aber in Bezug auf die politischen Verpflichtungen des brasilianischen Staates gegenüber den Menschen, die für ihre Rechte kämpfen, viel konsequenter wird“.

Das Movimento Nacional de Direitos Humanos (MNDH Brasil) begrüßt in einer versandten Mitteilung die Veröffentlichung des Dekrets Nr. 12.710/2025 durch Präsident Lula, mit dem der Nationale Plan zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern eingeführt wird. MNDH erinnert aber auch daran, dass die Veröffentlichung des Plans zur Schaffung der nationalen Politik zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen verspätet erfolgte und dass diese Verabschiedung durch die Regierung auch nur deswegen letztlich zustande kam, weil zivilgesellschaftliche Organisationen Klagen – unter aktiver Beteiligung der Bundesstaatsanwaltschaft – vor brasilianischen Bundesgerichten und dem Interamerikanischen Gerichtshof eingereicht hatten. Und MNDH erinnert an die wichtige Arbeit von Vertreter:innen zivilgesellschaftlicher Organisationen und öffentlicher Einrichtungen, die in der Technischen Arbeitsgruppe Sales Pimenta (siehe u.a. dazu hier) zusammengekommen sind, „denen wir unsere Anerkennung für den umfassenden und konsequenten Prozess aussprechen“.

MNDH Brasilien erklärte nun:

„dass der Kampf für Menschenrechte das wichtigste Vermächtnis ist, das durch das Engagement von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern geschaffen wurde. Organisation und Kampf sind es, die Rechte schaffen. Sie sind es, die die Forderungen nach ihrer Umsetzung, nach Wiedergutmachung von Verstößen und nach Rechenschaftspflicht derjenigen, die sie verletzen, aufrechterhalten und die Schaffung neuer Rechte fördern. Es sind die Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger, die durch Bewegungen, Organisationen, Kollektive und auf vielfältigste Weise die Menschenrechte zu einer Aktionsagenda machen, damit sie in den Alltag jedes Einzelnen und aller Menschen Einzug halten. Für Menschenrechte zu kämpfen ist ein Recht, und für den Kampf für Menschenrechte geschützt zu werden, ist ebenfalls ein Recht. Ein Land, das die Menschenrechte schützt, muss auch diejenigen schützen, die für Menschenrechte kämpfen. Es ist inakzeptabel, dass Brasilien weiterhin ein gefährlicher Ort für Menschen ist, die für ihre Rechte kämpfen, und dass die Schutzmaßnahmen noch immer unzureichend sind, um ihr Leben zu schützen.
Die Einführung des Nationalen Plans ist ein wichtiger Schritt im Engagement des Staates für Schutzmaßnahmen. Es ist jedoch von grundlegender Bedeutung, dass dieser Plan auch wirksam umgesetzt wird, mit der die Gewährleistung von Haushaltsmitteln, konkreten Maßnahmen, Strategien, Programmen und Aktionen, die auf die Bedürfnisse derjenigen abgestimmt sind, die Schutz benötigen, und vor allem in der Lage sind, die strukturellen Ursachen des Risikos zu bekämpfen, darunter Straflosigkeit, Ungleichheit, Rassismus, Konzentration von Land und Territorien, Patriarchat und alle Formen von Gewalt, Unterdrückung und Diskriminierung.“