In Südamerika ist eine Kontroverse über die isoliert lebenden Indianer im Amazonas-Gebiet entbrann

Vor vier Wochen erregten Bilder von einem isoliert lebenden Indianervolk im brasilianischen Amazonas-Regenwald weltweites Aufsehen. Nun hat ein Artikel in der jüngsten Ausgabe der britischen Sonntagszeitung "The Observer" eine Kontroverse über die Folgen der Berichterstattung für die Ureinwohner ausgelöst.
| von Gerhard Dilger - epd

Der "Observer" wirft José Carlos Meirelles von der brasilianischen Indianerbehörde Funai vor, er habe bei der Veröffentlichung der Fotos verschwiegen, dass es sich bei den Ureinwohnern gar nicht um einen "unentdeckten Stamm" handelt. Mit den Bildern von den rot bemalten Kriegern, die mit Pfeil und Bogen auf die Cessna der Indianerschützer zielten, habe er die Betroffenen für sein politisches Anliegen missbraucht: "Die Enthüllung, dass die Existenz des Stammes bereits feststand, wird unangenehme Fragen aufwerfen." So sei das Fotografieren ja auch eine Art des Kontaktes.

Dass vielfach berichtet wurde, Meirelles habe die Ureinwohner quasi zufällig "entdeckt", ist weder die Schuld des 60-jährigen Waldläufers noch der Hilfsorganisation Survival International, die die Fotos an europäische und nordamerikanische Agenturen weiterleitete. Das Missverständnis geht vielmehr auf die Medien zurück, die unter anderem von der Entdeckung von "Steinzeit"-Indianern berichteten.

Meirelles hingegen erklärte von Anfang an, dass er seit gut 20 Jahren im Auftrag der Funai versucht, die isoliert lebenden Ureinwohner im Bundesstaat Acre zu schützen. "Wir begleiten sie regelmäßig, allerdings aus der Entfernung", sagte er dem epd Anfang Juni. "Bei unseren viel zu seltenen Flügen über ihre Gebiete haben wir seit jeher Fotos gemacht." Die Existenz des Volkes auf den fraglichen Fotos sei bereits seit 1910 bekannt.

Nach dem "Observer"-Bericht zogen andere Medien nach. "Eine schöne Geschichte", lästerte die spanische Tageszeitung "El País" (Online) am Dienstag, "aber ein Betrug". "Indio-Entdeckung war PR-Gag", hieß es im Schweizer Fernsehen am Mittwoch. "Ein Märchen", urteilte Radio Nederland und ließ den holländischen Anthropologen Peter Jorna zu Wort kommen. Die Funai und Survival International hätten die Fotos inszeniert, unterstellt er: "Anscheinend rechtfertigt der Zweck die Mittel." Die Medien seien darauf hereingefallen, denn "die Vorstellung des edlen Wilden ist weiterhin populär". Laut Jorna verbreiteten die Indianerschützer bewusst diffuse Informationen.

Stephen Corry von Survival International lässt das nicht gelten: "Die Veröffentlichung der Fotos hat die peruanische Regierung zu einer Untersuchung gezwungen", erläutert er. "Das ist ein Riesenschritt." Noch im vergangen Oktober hatte Perus Präsident Alan García die Existenz unkontaktierter Völker bestritten und als Erfindung linker Umweltschützer abgetan, die damit die Ölförderung in Amazonien verhindern wollten.

Die fotografierten Indianer seien keine Peruaner, erklärte ein Regierungsvertreter in Lima am 9. Juni. Auch dies hatte Meirelles nie behauptet. Die selbstbewussten rot bemalten Krieger seien Brasilianer, sagte er dem epd, auch die brasilianische Regierung stehe in der Pflicht.

Andere Indianer, die etwa vor anderthalb Jahren von Peru aus über die Grenze geflohen waren, seien beim Anflug in den Wald geflohen. "Die haben in Peru schlechte Erfahrungen gemacht", vermutet Meirelles. "Bestimmt sind sie schon von Flugzeugen aus beschossen worden." Um seine These zu untermauern, hat er jetzt Fotos aus dem betreffenden Gebiet in unmittelbarer Nähe der Grenze veröffentlicht. Auf einem davon sind relativ neue Hütten an einer kleinen, frisch gerodeten Lichtung zu sehen, auf anderen junge Bananenstauden.