In Brasilien leben 80.000 Kinder und Jugendliche in Heimen

Das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IPEA) schätzt, dass in Brasilien 80.000 Kinder und Jugendliche in Heimen leben anstatt bei ihren Familien.
| von Luciana Abade, Jornal do Brasil

Im Jahr 2003 führte das IPEA eine Untersuchung über die Situation in diesen Unterkünften auf nationaler Ebene durch.
Insgesamt wurden 589 Institutionen untersucht und eingestuft, die finanzielle Mittel von der Bundesregierung erhielten.
Die Ergebnisse zeigen, dass die wichtigste Ursache für die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in solchen Unterkünften die Armut ist. Dies steht im Gegensatz zum Statut für Kinder und Jugendliche, welches eindeutig feststellt, dass fehlende oder geringe materielle Mittel kein ausreichender Grund für Verlust oder Aussetzung der elterlichen Fürsorgepflicht sind.

 


 

Artikel 19 des Statutes besagt: „Alle Kinder und Jugendliche haben das Recht, in ihrer Herkunftsfamilie aufzuwachsen und eine angemessene Erziehung und Ausbildung zu erhalten. In Ausnahmefällen kommt auch eine Ersatzfamilie in Frage, wenn familiäres und soziales Zusammenleben gewährleistet sind."

 


 

Misshandlungen, Verlassen, körperliche und sexuelle Gewalt sind weitere Ursachen für die Heimunterbringung von Kindern und Jugendlichen. Obwohl das Statut für Kinder und Jugendliche feststellt, dass die Unterbringung in Unterkünften nur in Ausnahmefällen und dann nur vorübergehend erfolgen darf, zeigt die Untersuchung des IPEA, dass mehr als die Hälfte der in die Untersuchung einbezogenen Kinder und Jugendlichen (52,6%) seit mehr als zwei Jahren in solchen Heimen lebte. Von ihnen lebten wiederum 32,9% seit zwei bis fünf Jahren im Heim.
Über 13% hiervon befanden sich zwischen sechs und zehn Jahren im Heim, 6,4% lebten seit mehr als zehn Jahren in der Institution.
Nach Auffassung der Autorin der Studie, Enid Rocha, sind Unsicherheit, Aggressivität, Angstzustände und mangelndes Selbstwertgefühl einige der Eigenschaften der in Unterkünften untergebrachten Kinder und Jugendlichen.
Bei längerer Verweildauer kommen noch Verluste in der psychosozialen Entwicklung des Kindes hinzu, vor allem in seiner Fähigkeit, positive Verbindungen mit anderen Menschen einzugehen.
Kinder oder Jugendliche fassen mit gewisser Leichtigkeit Zutrauen zu Menschen, die ihnen Aufmerksamkeit entgegenbringen, oder aber sie vermeiden persönliche Beziehungen um jeden Preis aus Angst, nochmals verlassen zu werden, kommentiert die Autorin der Studie.
Die Folgen sind umso heftiger, je länger die Heimunterbringung dauert.
Alle aufgezeigten Folgen weisen auf den Irrtum der Gesellschaft hin, wenn sie annimmt, dass die in Heimen untergebrachten Kinder und Jugendlichen gut dran sind, weil sie im Gegensatz zu vielen anderen, nicht auf der Strasse leben.


Opfer von Vorurteilen
Über ihr Verlassen werden hinaus müssen die Kinder und Jugendlichen mit einem Vorurteil leben.
Der Richter am Jugendgericht von Florianópolis, Francisco Oliveira Neto, hebt hervor, dass in der Gesellschaft Schwierigkeiten bestehen, in Unterkünften untergebrachte Kinder von jugendlichen Delinquenten zu unterscheiden, die in Resozialisierungseinrichtungen leben.
Für Enid Rocha geht aus dem Befund, dass Armut die wichtigste Ursache für Unterbringung in Heimen ist, unzweifelhaft hervor, dass die Bundesregierung Familien, deren Kinder in Unterkünften untergebracht wurden, unverzüglich in Unterstützungsprogramme aufnehmen müsste, zum Beispiel in das Programm für Familienfürsorge („Bolsa Familia“). Die Gesellschaft solle - so die Autorin - mit ergänzenden und stützenden Maßnahmen beitragen, da es Pflicht des Staates sei, „Sorge für die körperliche, emotionale und kognitive Integrität jener Kinder und Jugendlicher zu tragen, die nicht mehr in ihren Familien leben.“
Die Bundesregierung legte im Oktober 2007 das Projekt „Caminho para Casa“ (der Weg nach Hause) auf, als Teil des Programmes „Wider die Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“, bekannt unter der Abkürzung PAC für Kinder.
Eines der Ziele des Programms ist die Förderung der Wiedereingliederung von Kindern und Jugendlichen in ihre Familien, aus denen sie aufgrund von Armut in Heime geholt wurden.
Allerdings wurde nach Informationen der Leiterin der Abteilung „Besondere Soziale Schutzmassnahmen“ des Ministeriums für Soziale Entwicklung, MDS, Valéria Gonelli, von den 6,6 Millionen Reais des Budgets bislang noch nichts abgerufen.
Die Ursachen für die Schwierigkeit liegen nach Äußerung der Leiterin im Fehlen einer Untersuchung sämtlicher Heime für Kinder und Jugendliche in Brasilien, die das Ministerium jedoch noch in diesem Jahr beginnen will. Die Mittelvergabe ist nach Informationen der Leiterin für Juli vorgesehen.
Die Sorge gilt nicht nur der Verteilung der finanziellen Mittel, sondern auch den schwierigen Verhältnissen in den Familien, in welche die Kinder zurückkehren sollen.

 

Übersetzung für KoBra aus dem brasilianischen Portugiesisch von Jürgen Stahn