Der Indigenen-Missionsrat CIMI zieht Bilanz: Brasiliens Indigenenpolitik 2007

Auf seinem Treffen vom 3.-7.11.2007 in Luziânia, Bundesstaat Goiás, unterzog der Indigenen-Missionsrat CIMI die laufende Konjunktur im allgemein- und indigenenpolitischen Bereich einer eingehenden Analyse. Außerdem stellte er für das nächste Jahr eine Jahresplanung der Aktionen für die Indigenenvölker sowie für die nationale Gesellschaft auf.
| von CIMI

Mit Sorge stellte er in Politik, Gesellschaft und Volkswirtschaft die Fortdauer eines ausgesprochen anti-indigenen Umfelds fest.

1.    Das Programm zur Beschleunigung des Wachstums (PAC) – Paradepferd der zweiten Amtszeit der Regierung Luiz Inácio Lula da Silva – besteht aus mehreren Infrastrukturprojekten, darunter Wasserkraftwerken und Straßen, die mindestes 201 Indigenenterritorien treffen und das Leben von Indigenengemeinschaften bedrohen. Zu den bedrohten Gemeinschaften gehören 21 Indigenenvölker, die in Abgeschiedenheit leben und noch nie in Kontakt mit der nationalen Gesellschaft gekommen sind.

2.    Im brasilianischen Parlament werden anti-indigene Initiativen fortgesetzt. Als Beispiele seien die zahllosen Gesetzesvorschläge erwähnt, die pro-indigene Erklärungen rückgängig machen sollen. Hierzu gehört z.B. die Einrichtung einer Sonderkommission zur Behandlung der Gesetzesvorlage Nr. 1610 von Senator Romero Jucá zur Regelung des Erzabbaus auf Indigenengebiet. Dies ist eine Maßnahme, die der im Rahmen des Nationalen Ausschusses zur Indigenenpolitik getroffenen Übereinkunft zuwiderläuft, wonach dieses Thema im Zuge des Entwurfs eines neuen Indigenen-Statutes behandelt werden soll.

3.    Die Förderung der Produktion von Agrarbrennstoffen, darunter besonders von Ethanol, hat ein Rennen um den Kauf von Ländereien ausgelöst, welches die Möglichkeiten zur Demarkation von Indigenen-Territorien weiter einschränkt und die bereits gegebene Konfliktsituation zusätzlich verschärft.

4.    Das Volk der Guarani-Kaiowá in Mato Grosso do Sul leidet schon jetzt sehr stark unter der verweigerten Anerkennung seiner Territorien, die inzwischen vollständig besetzt sind. Gezwungenermaßen müssen nun die Indigenen auf verkleinerten und überbevölkerten Flächen zu überleben versuchen – wo Prozesse wie Desintegration ihrer Gemeinschaften, Selbsttötungen, Morde, Krankheiten, Kindersterblichkeit aus Mangelernährung, Alkoholsucht und Drogenmissbrauch herrschen.

5.    Großgrundbesitzer, Zuckerrohrunternehmer und Unternehmen des Agrobusiness halten Gebiete der Indigenen besetzt, üben auf die Zentralregierung Druck aus und versuchen, laufende Verfahren zur Demarkation von Indigenengebieten gerichtlich stoppen zu lassen.

6.    Nach wie vor werden in verschiedenen Regionen des Landes führende Vertreter der Indigenen ermordet – insgesamt 58 bis Anfang November dieses Jahres, 35 davon allein im Bundesstaat Mato Grosso do Sul.

7.    Indigenendörfer wurden vielfach auf Veranlassung von Holzunternehmern durch bewaffnete Banden angegriffen, Häuser wurden in Brand gesteckt, Menschen ermordet.

8.    Die gesundheitliche Betreuung ist in zahlreichen Regionen nach wie vor chaotisch. Dieser Umstand führte zu einer wachsenden Anzahl von Hepatitis-, Malaria-, TBC- und parasitär bedingten Krankheitsfällen.

9.    Der staatlichen Indigenenstiftung FUNAI fehlt es nach wie vor an menschlichen, materiellen und finanziellen Mitteln zur Versorgung der Indigenengemeinschaften.

Trotz dieser Situation stellen wir voller Hoffnung fest, dass die Kraft und die Fähigkeit zum Widerstand der indigenen Gemeinschaften sich aufgrund der vielfältigen Zusammenarbeit der indigenen Völker und Organisationen untereinander stärker geworden sind. Dasselbe kann von ihren Bündnissen mit sozialen Bewegungen und anderen Sektoren der nationalen Gesellschaft gesagt werden. Hierzu einige Aktionsbeispiele:

1.    Mehrfach erfolgte Zurückeroberung indigener Territorien und Entfernung von Landbesetzern aus den angestammten Gebieten in allen Regionen des Landes.
2.    Mobilisierung und Widerstand indigener Völker der Nordostregion, darunter insbesondere der Truká und der Tumbalalá, gegen die Umleitung des Flusses São Francisco.
3.    Bündnisse indigener Völker mit ländlichen sozialen Bewegungen, darunter insbesondere mit der Via Campesina („Kleinbäuerlicher Weg“), wie in dem siegreichen Kampf gegen die Besetzung indigener Ländereien von Tupinikim und Guarani im Bundesstaat Espírito Santo durch das multinationale     Unternehmen Aracruz Celulose.
4.    Aufgrund der verschiedenen Mobilisierungen indigener Gemeinschaften sah sich die staatliche Indigenenstiftung FUNAI gezwungen, die Grundbesitzverhältnisse zu diskutieren und Aussichten zur Bildung neuer Arbeitsgruppen zur Identifizierung und Demarkation indigener Gebiete bekannt zu machen.
5.    In allen Regionen des Landes haben es die indigenen Völker geschafft, soziale Räume zur Beteiligung ihrer führenden Vertreter an Erarbeitung und Begleitung öffentlicher Politiken z. B. in Bereichen wie Gesundheit und Erziehung zu erobern.
6.    Unterstützung indigener Völker durch Menschenrechts-, seelsorgerliche und kirchliche Einrichtungen zur Verteidigung ihrer verfassungsmäßigen Rechte.
7.    Mobilisierungen und Zusammenarbeit des Guarani-Volkes auf kontinentaler Ebene.

Wir sind uns bewusst, dass die Initiativen und Errungenschaften, die uns mit Hoffnung auf bessere Tage erfüllten, darauf zurückzuführen sind, dass die indigenen Völker – in ihrem Kampf gegen die von der Zentralregierung aufgezwungenen Politiken im Dienste großer Wirtschaftsgruppen – die Protagonistenrolle übernommen haben.

Wir, Missionarinnen und Missionare des Indigenen-Missionsrates CIMI, werden unserer Glaubensüberzeugung und dem Evangelium treu bleiben, indem wir weiterhin der Sache der Indigenen dienen wollen – in der Gewissheit, damit einen Beitrag zu mehr Würde im Leben und zu mehr Gerechtigkeit im Land zu leisten.