Das Volk der Xukuru in Nordostbrasilien bläst zum Gegenangriff

Im Kampf um Land und Autonomie kämpfen die Xukuru seit Jahren gegen Politiker, Grossgrundbesitzer und die Justiz. Auch in der Polícia Federal haben sie wenig Freunde. Ihr Territorium, die Serra de Ororubá, liegt im Landesinneren des Bundesstaates von Pernambuco im Nordosten Brasiliens.
| von Jan Schikora (APOINME)

Die Xukuru haben die Bewegung der indigenen Völker des Nordostens und Ostens geprägt wie kaum ein anderes Volk. Ende der Achtziger Jahre war es der Kazike der Xukuru, Xicão, der gemeinsam mit anderen indigenen Führern begann, die rund 50 verbliebenen Völker dieser Region zu mobilisieren. Ihres Landes, ihrer Sprache, ihrer Kultur und ihrer Identität beraubt, hatten viele dieser Völker zu diesem Zeitpunkt resigniert. Der Staat hatte mit seiner Vormundschafts- und Assimilierungspolitik stark dazu beigetragen. Erst die Verfassung von 1988 brachte die entscheidende Wende in der Indigenenpolitik des Landes.

Xicão wurde zum Symbol des Wiederauflebens der indigenen Völker dieser Region. Er war einer der Gründer des Indigenen Dachverbandes APOINME – der „Articulação dos Povos Indígenas do Nordeste, Minas Gerais und Espírito Santo“. Mit ihren Protesten gegen die 500-Jahr-Feiern der „Entdeckung“ Brasiliens im Jahre 2000 erlangte die indigene Bewegung, und insbesondere die des Nordostens, national wie international schlagartig Beachtung. Parallel hierzu eroberten die Xukuru in ihrer Heimat stückchenweise ihr Land zurück. Heute ist nahezu ihr gesamtes Territorium demarkiert (95%).

Das Volk wurde zum Sinnbild des erfolgreichen Kampfes der Indigenen des Nordostens um die eigene Identität und das traditionelle Land. Xicão hat dies nicht mehr erlebt. Er erlag 1998 den Kugeln eines Auftragsmörders. Denn den regionalen Landbesitzern war dieser Prozess von Anfang an ein Dorn im Auge.

Was auf den Mord von Xicão folgte, war nicht etwa seine Aufklärung, sondern eine bedingungslose Verfolgung und Kriminalisierungswelle der Anführer des aufrührerischen Volkes. Bis heute wurden neben Xicão drei weitere seiner Anführer ermordet. Xicãos Nachfolger als Kazike und Sohn, Marquinhos, entkam nur knapp einem Mordanschlag, zwei seiner Begleiter kamen uns Leben.

Der Aufruhr, den dieser Anschlag im Volk hervorrief, schlug sich in spontanen Sachbeschädigungen gegen die Urheber der Tat nieder. Grund genug für die Bundespolizei, deshalb gerichtlich gegen die Indigenen vorzugehen. 35 ihrer Anführer wurden überwiegend willkürlich mit diversen Anklagen überschüttet. Die Ermittlungen in Sachen des Doppelmordes bzw. des Mordanschlags führten hingegen zu der absurden These, die Indigenen haben sich im Streit gegenseitig ums Leben gebracht.

Dieses Vorgehen war in keiner Weise neu. Auch bei der Ermordung Xicãos wurde zunächst suggeriert, seine eigene Ehefrau habe im Komplott mit anderen Führern, seinen Tod eingefädelt. Als sich diese These als nicht haltbar erwies, und langsam Licht ins Dunkel zu kommen schien, verstarb der bis dahin einzig identifizierte Tatverdächtige, ein Landbesitzer der Region, auf mysteriöse Weise während der U-Haft. Selbstmord, hiess es offiziell.

Der Auftragsmörder wurde zeitnah in einem der angrenzenden Bundesstaaten tot aufgefunden. Die Ermittlungen wurden daraufhin eingestellt. Wohl auch, weil einige große Fische in die Sache verwickelt waren, so sagen zumindest die Xukuru und ihre Alliierten.

Als Chico Quelé, ein weiterer Anführer der Xukuru, 2001 ermordet wurde, sollen wieder interne Machtkämpfe der Grund für die Tat gewesen sein und Angehörige des Volkes die Schuldigen. Ermittlungen wurden eingeleitet und betrafen u.a. den stellvertretenden Kaziken und heutigen Koordinator von APOINME, Zé de Santa. Die Verhandlung konnte von den Anwälten der Indigenen bis heute verhindert werden.

Doch damit nicht genug. Auch im letzten Jahr kam ein Xukuru ums Leben, dieser jedoch ein bekannter Gewalttäter mit krimineller Vergangenheit, der sich im Streit von seinem Volk abgewendet hatte. Abermals zögerte der ermittelnde Beamte der Polícia Federal nicht lange und machte interne Streitereien als Ursache der Tat aus. Angeklagt wurden zwei wichtige lideranças der Xukuru, die in Untersuchungshaft genommen wurden.

Einer von ihnen der indigene Lehrer und Kommunalabgeordnete Agnaldo Xukuru, der sich neben der Politik besonders im Bildungsbereich stark engagiert und einer der führenden Köpfe des Volkes ist. Zwar wurde nach jeweils rund einem Monat Haft Habeas Corpus bewilligt, so dass beide ihren Verfahren bis auf Weiteres in Freiheit entgegensehen, doch die Systematik, mit der die Anführer des Volkes mit Verfahren konfrontiert werden, erschreckt.

Ende letzten Jahres wurde deshalb anlässlich der Doppelverhaftung eine international unterstützte Protestbriefaktion gestartet, die darauf abzielte, den ermittelnden Beamten der Polícia Federal abzuziehen. Dieser darf sich als Urheber der diversen Verschwörungstheorien und Anklagen rühmen. Indigene und ihre Partner verweisen indes darauf, dass der Beamte, der nach der Widerlegung der Anklage gegen Xicãos Witwe seinerzeit zeitweilig abgezogen wurde, dann jedoch zurückkehrte, bereits seit dieser Zeit mit den lokalen Landbesitzern unter einer Decke steckt.

Derzeit beraten die Xukuru darüber, aus ihrer Serra herabzusteigen und ihrem Protest in den Straßen der Landeshauptstadt Recife Ausdruck zu verleihen. Denn die Anklagewelle stellt sie vor enorme Herausforderungen. Zum einen sind da die enormen Anwaltskosten, die das Volk nur zum Teil aus eigener Kraft aufbringen kann. Zum anderen ist eine deutliche Tendenz zu erkennen, die Xukuru in der öffentlichen Wahrnehmung von Opfern zu Tätern zu machen und so den Kampf um Anerkennung ihrer Rechte zu delegitimieren.

Nationale und internationale Unterstützung wird insofern auch weiterhin von elementarer Bedeutung für das Volk und die gesamte indigene Bewegung des Landes bleiben. Umso mehr, als Survival (Survival ist eine internationale Organisation, die weltweit indigene Völker im Kampf um ihre Rechte unterstützt, Anm. d. Red) wie kürzlich veröffentlicht, Brasilien weltweit zu den zehn Ländern zählt, die die Rechte der Indigenen am geringsten achtet.