Brasiliens Senat verabschiedet im Dringlichkeitsverfahren gesetzgeberisches Dekret zur weiteren Aushöhlung der Demarkation indigener Territorien

Vordergründig stoppt das Dekret PDL 717/2024, das nun noch durch die Abgeordnetenkammer muss, "nur" die Demarkationen der Indigenen Territorien Toldo Imbu und Morro dos Cavalos, beide im Bundesstaat Santa Catarina gelegen, greift aber in seiner Formulierung auch den Wesensbestand des Artikel 2 des Dekrets 1775/96 an, so dass dadurch in der Praxis die Abschaffung des Verwaltungsverfahrens zur Demarkierung indigener Gebiete drohen könnte, so die Kritik der Indigenenmissionsrates CIMI. Der Gesetzesentwurf sei verfassungswidrig, verstoße gegen die demokratische Rechtsstaatlichkeit und verletze die Grundrechte der indigenen Völker, so CIMI. CIMI äußerte zudem schärfste Kritik an der Regierung Lula: "Die Regierung hat es aufgegeben, die Rechte der indigenen Völker im Kongress zu verteidigen, auch wenn sie [dort] in der Minderheit ist, und setzt ihre Bündnisse in der Legislative ausschließlich für makroökonomische Agenden ein", so die Kritk von CIMI.
| von Christian.russau@fdcl.org
Brasiliens Senat verabschiedet im Dringlichkeitsverfahren gesetzgeberisches Dekret zur weiteren Aushöhlung der Demarkation indigener Territorien
Indigenes Territorium. Foto: christian russau

Brasiliens Senat hat vergangene Woche, am Mittwoch, dem 28. Mai, einen Gesetzesentwurf im Dringlichkeitsverfahren zuerst in den zuständigen Kommissionen und darauf auch im Plenum verabschiedet, der in der Praxis der Abgrenzung indigener Gebiete in Brasilien, wie sie heute geregelt ist, ein Ende setzt. So sieht es die Kritik des Indigenenmissionsrates CIMI. Es handelt sich um das gesetzgeberisches Dekret PDL 717/2024, das von Senator Esperidião Amin (PP/SC) verfasst wurde, dessen Dekretvorschlag im Plenum des Senats angenommen wurde. Am Morgen desselben Tages wurde zuvor der Vorschlag bereits vom Verfassungs- und Justizausschuss des Senats gebilligt. Das gesetzgeberische Dekret PDL 717/2024 wird nun an die Abgeordnetenhaus weitergeleitet.

Der Gesetzesentwurf PDL 717/2024, der von dem Fazendeiro und Senator Esperidião Amin aus Santa Catarina im Dezember 2024 in den Senat eingebracht wurde, will zunächst die konkreten und aktuell anstehenden Homologationen und die diesbezüglichen Dekrete für die indigenen Territorien Morro dos Cavalos des Indigenen Volkes der Guarani Mbya und Toldo Imbu des Indigenen Volkes der Kaingang, beide im Bundesstaat Santa Catarina gelegen, stoppen. Zudem wird gleich in Artikel 1 aber darauf verwiesen, den Artikel 2 des Dekrets 1775/1996, der grundlegend das Verwaltungsverfahren für die Demarkierung indigener Ländereien regelt, aufzuheben. Benutzt wird dafür argumentativ: "Artikel 2 des Dekrets 1.775 vom 8. Januar 1996, der das Verwaltungsverfahren für die Demarkierung von indigenem Land und unter weitere Maßnahmen vorsieht, wurde nicht an die neuen Anforderungen an eine stärkere soziale Beteiligung und Transparenz angepasst, die damit eingeführt wurden." Und beruft sich dabei auf "die volle Wirksamkeit des Gesetzes Nr. 14.701, aus dem Jahre 2023" - der Dekretstext PDL 717/2024 verschweigt dabei aber jeglichen Hinweis darauf, dass es genau dieses Gesetz Nr. 14.701 ist, das vor dem Obersten Gerichtshof wegen Verfassungszweifeln auf seine Verfassungskonformität hin überprüft wird und es genau dieses Gesetz ist, weswegen der Oberste Richter Gilmar Mendes das seit Mitte vergangenen Jahres eingerichtete Schiedskammer zur Klärung der Fragen des Gesetzes Nr. 14.701 und der damit zusammen hängenden Frage der Stichtagsregelung Marco Temporal überhaupt erst eingesetzt hatte.

"Auf den ersten Blick scheint es, als ob die beiden Verfahren zur Abgrenzung des Landes der Kaingang und der Guarani die wichtigsten, zentralen oder ausschließlichen Ziele [Dekret PDL 717/2024] sind", warnt Cleber Buzatto vom Indigenenmissionsrat Cimi aus der Südregion Brasiliens. "Das ist in der Tat das Ziel, aber es ist wichtig zu betonen, dass dieses PDL auch den Artikel 2 des Dekrets 1775 außer Kraft setzt", so Buzatto. Der Plan, Artikel 2 des Dekrets 1775 zu kippen, sei ein weiterer Angriff des Nationalkongresses auf die Verwirklichung der territorialen Rechte der indigenen Völker. Das Dekret wurde 1996 veröffentlicht und legt das Verwaltungsverfahren für die Abgrenzung von indigenem Territorium grundlegend fest. "Und Artikel 2 ist das Herzstück, der Kern. Er ist der wichtigste Teil dieses Dekrets, was das Demarkationsverfahren angeht", wird Buzatto zitiert in einem Beitrag auf der Internetseite von CIMI. Artikel 2 des Dekrets 1775 behandelt die Phase der Identifizierung und Abgrenzung des indigenen Landes, die Landvermessung, die Zuweisungen der Bundesindigenenbehörde FUNAI in diesen Phasen und die Beteiligung der indigenen Gemeinschaft am Demarkationsprozess.

Der Dekretsentwurf der PDL 717/2024 sprach von: "Artikel 2 des Dekrets 1.775 vom 8. Januar 1996, der das Verwaltungsverfahren für die Demarkierung von indigenem Land und unter weitere Maßnahmen vorsieht, wurde nicht an die neuen Anforderungen an eine stärkere soziale Beteiligung und Transparenz angepasst", - nur wessen soziale Beteiligung meint der Dekretstext wohl?

"Dies ist der Erlass, der das Verfahren zur Abgrenzung von indigenem Land regelt, und Artikel 2 ist der Artikel, der das gesamte Verfahren detailliert beschreibt. Daher wird mit diesem Gesetzentwurf praktisch das gesamte Verfahren zur Abgrenzung von indigenem Land im Land umgestoßen. Dies wird alle indigenen Völker betreffen, nicht nur die Völker der indigenen Gebiete Toldo Imbu und Morro dos Cavalos", wird Luis Ventura, Exekutivsekretär von CIMI, in einem Beitrag bei CIMI zitiert.

Zudem müsse, so CIMI, dieser Dekretsentwurf im Zusammenhang eines groß angelegten gesetzgeberischem Angriff der konservativ dominierten zwei Kammern des brasilianischen Nationalkongresses gesehen werden: Der erste Angriff war die Verabschiedung des Gesetzes 14.701/2023, das die Stichtagsregelung Marco Temporal zum Gesetz erhob, obwohl wenige Tage vor der Hauruck-Veraschiedung des Gesetzes diese Stichtagsregelung Marco Temporal vom Obersten gerichtshof STF als verfassungswidrig erklärt wurde. Kürzlich erfolgte ein weiterer Angriff mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfs 2159/2021 im Bundessenat, der die de-facto-Abschaffung der Umweltgenehmigung vorsieht. Und schließlich nun mit der beschleunigten Verabschiedung des PDL 717/2024 im Senat.

Der Senat hatte sich vor der Debatte und Verabschiedung der PDL 717/2024 unter Verweis auf eine Dringlichkeitsabstimmung über den Gesetzentwurf geweigert, einen Dialog mit der Zivilgesellschaft darüber aufzunehmen - so berichtet es CIMI auf ihrer Internetseite. Wie hieß es im Dekretsentwurf doch gleich: "neue Anforderungen an eine stärkere soziale Beteiligung und Transparenz"? Die Verabschiedung des Dekretsentwurfs im Senat jedenfalls ging ohne Debatte durch alle Verfahren und ignorierte dabei die Bundesverfassung und internationale Menschenrechtsinstrumente, so die Kritik von CIMI.

Und CIMI spart nicht mit Kritik an der Regierung Lula: "Es bestätigt sich, dass die indigenen Völker und die brasilianische Gesellschaft in der notwendigen gesetzgeberischen Auseinandersetzung zur Gewährleistung der grundlegenden Menschenrechte nicht mehr auf diese Regierung zählen können. Die herrschende Basis im Kongress, die sich aus Parlamentarier:innen verschiedener Parteien zusammensetzt, stimmt systematisch gegen die Rechte der Indigenen. Und die Senator:innen aus der Partei des Präsidenten sind in einem entscheidenden Moment wieder einmal untergetaucht. [...] Die Regierung hat es aufgegeben, die Rechte der indigenen Völker im Kongress zu verteidigen, auch wenn sie in der Minderheit ist, und setzt ihre Bündnisse in der Legislative ausschließlich für makroökonomische Agenden ein."

// Christian Russau

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