Was macht Cantareira derzeit?

Sommerzeit im Südosten Brasiliens bedeutete immer Regenzeit. Was macht die Wasserkrise im Südosten Brasiliens derzeit?
| von Christian Russau
Was macht Cantareira derzeit?
Grafik Sabesp, mit freundlicher Genehmigung

Sommerzeit im Südosten Brasiliens bedeutete immer Regenzeit, so auch dieses Jahr. Noch vor einem Jahr grassierte die Angst, dass die Wasserkrise anhalten würde, die Staubecken sich nicht wieder füllen würden und der massive Wasserverlust der vergangenen Jahre nicht wieder ausgleichen lassen würde. Diesen Sommer nun hat es geregnet, die Staureservoirs sind zur Zeit durchschnittlich zu Hälfte gefüllt, laut den Angaben des Wasserversorgers Sabesp. Krise gelöst?
Das größte Wasserreservoir des Großraumes São Paulo, Cantareira, weist derzeit 49,5 Prozent seiner Kapazität aus, nachdem der Regen der vergangenen Tage den Wasserpegel um 40,8 mm ansteigen ließ. Im Februar fielen bisher (Stichtag 20. Februar) 155,6 mm Regen auf den Quadratmeter, was 76,8 Prozent des für Februar im historischen Mittel zu erwartenden Regens entspricht, so dass die Erwartungen im Februar erfüllt werden könnten. Der historische Regendurchschnitt für den Monat Februar liegt in der Großregion von São Paulo bei 199,1 mm/m2. Im Februar 2015 regnete es 322,4 mm/m2, was einen Anstieg von 62% gegenüber dem historischen Mittel für den Monat Februar entsprach. Es war damit der regenreichste Februar seit 20 Jahren. Die Regenfälle hatten Linderung gebracht, aber den Wissenschaftlern neue Probleme aufgezeigt. Denn das 6,2 Millionen Menschen in der Region von São Paulo mit Wasser versorgende System des Wasserreservoirs Cantareira erhielt nicht im gleichen Maße, wie der Regen je m2 im Februar anstieg, auch die gleichen Zuflüsse an Wasser zugespeist. Dies lag an den niederigeren Grundwasserschichten ebenso wie an den zunehmend trocken verkarsteten Böden, die das Wasser nicht aufnahmen, sondern als überschüssiges Wasser im Oberflächenabfluss in die Flüsse abdriftete und dem meer zugetrieben wurde.
Auf dem Höhepunkt der Wasserkrise vor mehr als einem Jahr war der niedrisgte Stand mit 3,3 Prozent des Gesamtfassungsvermögens gemessen worden. Weite Teile der Bevölkerung waren zeitweise von der Wasserversorgung abgeschnitten. Auch die Millionenmetropolen Rio de Janeiro und Belo Horizonte verzeichneten die schlimmste Wasserknappheit seit 80 Jahren. Die drei Metropolen schienen der neue Trockenzirkel in Brasiliens eigentlich mit genügend Wasser gesegnetem Südosten zu werden. Die Wasserkrise im brasilianischen Südosten betraf auf ihrem Höhepunkt rund 77 Millionen Menschen. Derzeit kann Cantareira nun wieder 5,7 Millionen Menschen im Großraum São Paulo mit Wasser versorgen. Im historischen Durchschnitt versorgte Cantareira aber mehr als 8 Millionen Menschen.
Die Situation hat sich zwar also durch die Sommerregenfälle etwas gebessert - aber eben nur auf den ersten Blick. Eine Wasserunterversorgung, die immer noch drei Millionen Menschen betrifft. So ist es also der zweite Blick, der erst ein differenzierteres Bild zeichnet. Denn die Pegelwerte sind noch immer historisch niedrig, und erst am 30. Dezember 2015 war der Pegel nach über 19 Monaten erstmals wieder über die stille Reserve, volume morto, des Stausees angestiegen. Und die Trockenzeit beginnt in Kürze. Auch die Fliegenden Flüsse Amazoniens sind weiterhin bedroht - und mithin Millionen von Menschen.
Hinzu kommt die Frage, welcher Zählweise man folgt. Denn die Prozentzahl Cantareiras in São Paulo ist auch Teil eines Justizzwists geworden: Behörden und Wasserversorger änderten auf dem Höhepunkt der Wasserkrise vom vorvergangenen Jahr ihre Zählmethode: Von nun an gaben sie die Prozentzahl des Verhältnisses des Gesamtvolumens in Bezug auf die täglich entnommene Wassermenge an. Prompt schien der öffentlichen Wahrnehmung, die Becken wären nun voller – warum aber kam noch immer kein Wasser aus den Leitungen? Die Staatsanwaltschaft war empört über so viel Augenwischerei durch die Behörden und den Wasserversorger Sabesp und ordnete an, dass auch die alte Zählweise publik gemacht werden müsse und obendrein noch eine dritte eingeführt werden müsse: Der Prozentsatz, den das Wasserreservoir Cantareira unter der Notfallreserve liegt. So mussten die Leser/innen auf dem Höhepunkt der Krise in den Tageszeitungen neben dem Wert von 17,9% den von 13,8% und den mit -11,4% verstehen. Oder wie derzeit den Wert von 49,5%, den von 38,3% und den von 20,2% begreifen.