Quilombola-Landtitulierung unter Bolsonaro massiv verlangsamt

"Keinen Zentimeter Landes mehr" an Indigenen und Quilombolas hatte Jair Bolsonaro vor seiner Wahl zum Präsidenten Brasiliens angekündigt, er setzt dies erschreckend zutreffend um.
| von Christian.russau@fdcl.org
Quilombola-Landtitulierung unter Bolsonaro massiv verlangsamt
Gemeinsamer Protest von CONAQ und der Coalizão NegrA por Direitos in Schottland, Ende 2021, Foto: CONAQ (mit freundlicher Genehmigung)

In Brasilien gibt es laut Erhebungen des landesweiten Koordinierungsnetzwerks der Quilombolas CONAQ 6.300 Quilombola-Gemeinschaften in 24 der brasilianischen Bundesstaaten. In diesen Quilombola-Gemeinschaften leben 16 Millionen Menschen. Aber nicht alle diese Quilombola-Gemeinschaften wurden bereits als solche rechtsgültig und als geschützt anerkannt. Seit 1995, dem Datum der ersten Titulierung eines Quilombola-Territoriums, der Terra Quilombola Boa Vista im Bundesstaat Pará, wurden bislang erst insgesamt 273 Landtitel ausgestellt, von denen insgesamt 176 Gebiete profitieren (einige Landtitel bilden ein zusammengehörendes Territorium). Und dies obwohl die Verfassung von 1988 die Titulierung vorschreibt. Es gibt Landtitulierungen, die durch die Bundesebene vorgenommen werden, aber auch die Länder können Landtitel ausweisen.

So sind noch heute, 34 Jahre nach dem Inkrafttreten der brasilianischen Verfassung noch immer 1.816 Legalisierungsverfahren für Quilombola-Gebiete auf Bundesebene anhängig, und es werden immer mehr, da die lokalen Gemeinschaften sich vermehrt bewusst werden, dass die kollektive Landtitelanerkennung eine Chance für die Gemeinschaft ist. Der von Staats wegen vorgeschriebene Aberkennungsprozess zur Erlangung der Landtitulierung soll wie folgt ablaufen: Zuerst muss sich die lokale Quilombola-Gemeinschaft als solche selbst-erklären, Belege dafür sammeln und einholen, die die historische Verbindung der Gemeinschaft mit dem Gebiet offenbaren und sich damit an das Institut Palmares wenden, welches damit den Anerkennungsprozess einleitet, indem es die Daten an das Nationale Institut für Kolonisierung und Agrarreform (INCRA) weiterleitet, das seinerseits die Studie zur Erstellung des Technischen Berichts zur Identifizierung und Abgrenzung des Gebiets durchführen soll. Techniker:innen des Instituts werden die gesammelten Daten auswerten und den Abschlussbericht erstellen. Im Falle einer Genehmigung wird das INCRA eine Anerkennungsverordnung veröffentlichen, in der die territorialen Grenzen der Quilombola-Gemeinschaft festgelegt werden. Erst wenn die dort ggf. ansässigen Nicht-Quilombolas das Gebiet verlassen haben und den Quilombolas das Eigentumsrecht zugesprochen wird, erfolgt die Legalisierung des Territoriums. Doch selbst dies garantiert noch nicht, dass nach Titulierung von bspw. 1.000 Hektar auch die gleiche Fläche durch INCRA sofort gegen erfolgte Entschädigung der vorherigen Besitzer:innen dem kollektiven Landtitelgebiet der Quilombolas zugeschrieben wird. Oft sind es nur Teile der ihnen eigentlich zustehenden Flächen, die sie erhalten, und oft müssen die Quilombola-Gemeinschaften jahrelang auf die Umsetzung der Rechtsprechung warten.

Der INCRA-Behörde liegen derzeit 1.816 Anträge auf Anerkennung und Titulierung als Quilombola-Territorium vor. Unter der Regierung von Jair Bolsonaro hat die INCRA als zuständige Bundesbehörde aber bislang nur vier Quilombola-Gebiete (teilweise) ausgewiesen: Peruana in Óbidos (Pará), São Judas Tadeu in Bujaru (Pará), Invernada Paiol de Telha in der Reserva do Iguaçu (Paraná) und Rio dos Macacos in Simões Filhos (Bahia). In den Gebieten von Óbidos und Bujaru wurden 100 Prozent der vorgesehenen Grundstücke überschrieben, in den Gebieten von Invernada Paiol de Telha in Paraná und von Rio dos Macacos in Bahia ist die Titulierung noch nicht vollends abgeschlossen. Weitere neun Titulierungsverfahren von Quilombola-Territorien erfolgten laut einem Bericht von Amazônia Real auf Initiative landesstaatlicher Stellen der Bundesstaaten Pará, Maranhão, Tocantins und Piauí. Die Nichtregierungsorganisation Terra de Direitos errechnete bereits 2019, dass die Umsetzung der per Verfassung vorgeschriebenen Landtitulierung aller Quilombola-Gebiete an die 1.000 Jahre dauern würde, wenn es in diesem Tempo weitergehe.

Bolsonaro hatte kurz nach Amtsantritt die Zuständigkeit für die INCRA-Behörde dem Präsidialamt Casa Civil entzogen und dem Landwirtschaftsministerium eingegliedert, das von Ministerin Tereza Cristina geleitet wird. Diese ist eine Vertreterin des ruralista-Sektors und war bereits Präsidentin der parlamentarischen Front für Landwirtschaft und Viehzucht FPA.

Die Zahlen der Landtitulierungen bei Quilombola-Territorien sprechen unter der Regierung von Jair Bolsonaro also eine klare Sprache: Die Homologationen indigener Territorien ist unter Bolsonaro auf Null zurückgegangen, die Titulierungen bei Quilombola-Territorien sank auf vier Anerkennungen auf Bundesebene und die Agrarreform für Landlose stagniert in Bolsonaros Brasilien ebenfalls nahe Null. Bolsonaro macht damit seine Ankündigung, keinen Zentimeter Landes mehr für Indigene und Quilombolas, wahr, es ist ein Kampf ums Land, der in Brasilien heiß schwelt, und Bolsonaro steht deutlich auf Seiten des Agrobusiness, der Bergbau- und anderen Konzerne, der Holzfäller:innen und Grileiros sowie der garimpeiros.

// Christian Russau