Neue Klage gegen Staudammfirma Belo Monte wegen durch Turbinen zerhackte Fische

Bundesstaatsanwaltschaft wirft Norte Energia vorsätzlich fahrlässige Tötung von insgesamt rund 30 Tonnen Fisches im Zeitraum 2015 bis 2019 vor.
| von Christian.russau@fdcl.org
Neue Klage gegen Staudammfirma Belo Monte wegen durch Turbinen zerhackte Fische
Einfahrt zum Stauwerk Belo Monte. Foto: christianrussau

Die Bundesstaatsanwalt hat die Staudammbetreiberin des Wasserkraftwerks Belo Monte, Norte Energia, wegen vorsätzlich fahrlässiger Tötung von insgesamt rund 30 Tonnen Fisches im Zeitraum 2015 bis 2019 angeklagt und fordert vor Gericht eine Strafzahlung von 69 Millionen Reais (derzeit umgerechnet 11,2 Millionen Euro). Die Staatsanwaltschaft stützt sich bei ihrer Klage auf Strafbefehle und technische Analysen der brasilianischen Umweltbehörde Ibama, die diese zwischen 2015 und 2019 ausgestellt hatte. In jenem Zeitraum habe die Staudammfirma Norte Energia wider besseren Wissens keine der notwendigen von der Umweltbehörde Ibama geforderten Maßnahmen ergriffen, um das Fischsterben zu verhindern. So sei es trotz Auflagen der Umweltbehörde sowie Zusagen seitens Norte Energia bis November 2019 versäumt worden, vor den Turbinenzuflussschächten Schutzgitter anzubringen, die die Fische davor bewahrt hätten, in die Nähe der Turbinenschächte zu kommen. Vielmehr seien dadurch die Fische regelrecht angesaugt und durch die Turbinen zerhackt worden (KoBra berichtete), dies sei zudem in der ökologisch geschützten Laichzeit, piracema, der Fische geschehen, obwohl genau davor in der Umweltfolgenstudie EIA-RIMA gewarnt worden war. "Da es sich um ein Unternehmen handelt, das auf die Ausbeutung einer wirtschaftlichen Tätigkeit abzielt", so die Staatsanwaltschaft in ihre Anklage die von dem Internetportal G1 zitiert wird, sei "die Erzielung von Gewinnen ein eindeutiges Ziel dieser Tätigkeit, so dass davon ausgegangen werden kann, dass die Umweltschäden zum Zwecke der Erzielung von finanziellen Vorteilen verursacht wurden." Wegen des Fischsterbens im November 2015, bei dem 16 Tonnen Fisch durch die Turbinen von Belo Monte getötet wurde, hatte die Umweltbehörde bereits damals einen ersten Strafbefehl von 27 Millionen Reais gegen die Staudammbetreiberin verhängt. Nun werden sich die zuständigen Gerichte mit dieser erneuten Klage beschäftigen müssen.

Beim zweiten großen Fischsterben bei Belo Monte im Jahr 2018 war bekannt geworden, dass die 18 jeweils 611-MW-Leistungproduzierenden Turbinen die Fische regelrecht ansaugen, sodass diese in Kontakt mit den Rotorblättern geraten und dort Gefahr laufen, regelrecht zerhackt zu werden. Laut einem damaligen Zeitungsbericht geschehe dies vor allem beim Anlaufen der Turbinen, aber auch im normalen Testbetrieb. Vor allem seien Wanderfische gefährdet, da diese zur Laichzeit den Betonriegel im Xingu-Fluss durchqueren müssen. Nach dem damals durch Ibama zunächst ausgesprochenen Embargo versuchte die Betreiberfirma als erstes durch Lufteinpumpung nahe an den Turbinen, die Fische im Vorfeld mittels Luftblasen abzuschrecken. Dies fruchtete laut dem Zeitungsbericht aber ebensowenig wie der Versuch, Taucher:innen hinunterzuschicken, die die Fische nahe der Rotorblätter und der Ansaugstellen zu verjagen versuchten. Norte Energia teilte damals mit, sie wollen weitere technische Möglichkeiten anwenden, um dem Problem Herr zu werden. Die bis zu 18 Turbinen stammen zum Teil auch aus der Fertigung von VoithHydro, einem Joint-Venture der Firmen Voith und Siemens.

Bereits kurz nach der testweise Inbetriebnahme der ersten Turbinen im April 2016 wiesen die Anwohner auf massenhaftes Fischsterben hin. Die Umweltbehörde Ibama konstatierte damals 16,2 Tonnen toter Fische und verhängte eine Millionenstrafe gegen Norte Energia. Doch das Problem war bereits früher bekannt, vor allem den Flussanwohnern und Fischern, die entlang des Xingus seit Generationen fischen. "Wir lebten vom Fischfang, nun ist da nichts mehr", berichteten die Flussanwohner bereits 2011, da sich im Fluss wegen der Bauarbeiten für den Kofferdamm die Fischbestände bereits verringerten. Im gleichen Jahr hatte ein Bundesgericht die Bauarbeiten wegen der Bedrohung der Zierfischerei vor Ort zwischenzeitig gestoppt. Der Fisch im Xingu ist nicht nur Nahrungsquelle für die lokalen Flussanwohner:innen, das Fangen und der Export von Zierfischen nach Übersee schafften Arbeit und Einkommen für Hunderte von Familien vor Ort und sicherten deren Überleben. Im Jahr 2012 hatten 800 Fischer:innen dann die Baustelle mehrtägig besetzt, um auf den starken Rückgang der Fischbestände hinzuweisen.

All dies hatte die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), die im Auftrag der Bauherrin Norte Energia erstellt wurde, so nicht vorausgesehen. Die bedrohten Schildkrötenarten fanden Eingang in die UVP, medienwirksam wurden Schildkröteneier umgesetzt, leider zeichneten die Fernsehkameras auch das unsachgemäße Verbringen der Eier, in ungeschützten Kübeln gestapelt, auf. Die UVP sah einige lokale Fischpopulationen temporär durch die Bauarbeiten beeinträchtigt, aber nicht vom Aussterben bedroht. Dabei hatte selbst die Ibama in einer Stellungnahme im November 2009 sich darüber beschwert, dass politischer Druck ausgeübt werde und dass unklar bliebe, was mit dem Fischbestand geschehen wird auf den 100 Kilometern Flusslauf des Xingu, die zu 80 Prozent trocken gelegt werden durch den Staudammbau. Nur: diese Stellungnahme wurde leider als nicht öffentlich einsehbar deklariert.

Selbst der wissenschaftlichen Fachexpertise von Wissenschaftlern wollte niemand in der Politik so recht zuhören. Der seit Jahrzehnten in Amazonien lebende und forschende US-amerikanische Wissenschaftler Philip Fearnside wies explizit auf die Bedrohung der Fische durch die Staudammbauten hin. Denn der Staudammbau behindere massiv die Migrationsbewegungen der Fische – und die lokalen Auswirkungen in der Großen Flussschleife, die bei dann nur noch 20 Prozent Wasserfluss nicht mehr dem lokalen Habitat der Fische entspräche, trügen auch ihren Teil zur Auslöschung der Populationen bei. Hinzu kämen grundsätzlich Bedrohungen bei Veränderungen von Fließ- zu Staugewässern mit vermindertem Sauerstoffgehalt in tieferen Wasserschichten. Ähnliche Schlussfolgerungen hatte im Jahr 2009 ein 40-köpfiges Team aus Wissenschaftler:innen von Universitäten über Belo Monte gezogen. Die Wissenschaftler:innen kritisierten die unvollständigen und mit heißer Nadel gestrickten Umweltstudien scharf, wiesen auf die Widersprüche der Studien hin und mahnten, dass die sozialen Folgen und Konsequenzen für die Umwelt durch das Staudammprojekt Belo Monte schwerwiegend sein würden. Laut ihrer Analyse sind durch Belo Monte schätzungsweise 100 Fischarten bedroht. Bislang sind 26 Fischarten bekannt, die nur am Xingu vorkommen. Würden aber alle im Amazonasgebiet geplanten Dämme gebaut werden, so die Wissenschaftler:innen, würde dies sogar die Vernichtung von bis zu 1.000 Fischarten bedeuten.

// christian russau