Indigene Völker der Terra Indígena Raposa Serra do Sol erstellen ihr erstes Konsultationsprotokoll

Das Konsultationsprotokoll soll nun sicherstellen, dass Vorhaben wie Infrastruktur, Elektrifizierung, Monokulturen und andere Projekte mit den Gemeinden vorab, frei und informiert abgesprochen werden müssen. Und es definiert alle Formen, wie eine wie auch immer geartete Kontaktaufnahme von Außen durch Dritte, sei es Politik, Behörden, Firmen, Institutionen, Organisationen oder Einzelpersonen, abzulaufen habe.
| von Christian.russau@fdcl.org
Indigene Völker der Terra Indígena Raposa Serra do Sol erstellen ihr erstes Konsultationsprotokoll

Das indigene Territorium Raposa Serra do Sol besteht aus fünf indigenen Völkern, Macuxi, Wapichana, Taurepang, Patamona und Ingarikó, und umfasst eine Bevölkerung von 32.000 Indigenen, erstreckt sich auf vier verschiedene, auch ethnisch definierte Regionen, Surumu, Baixo Cotingo, Raposa und Serras, wo sich insgesamt mehr als 200 Gemeinschaften befinden. Nach sechsjähriger Arbeit wurde das Konsultationsprotokoll am 8. März dieses Jahres auf einer außerordentlichen Versammlung des indigenen Territoriums Raposa Serra do Sol vorgestellt. Es soll die Rechte, insbesondere die Rechte des und auf das Territorium der dort lebenden Indigenen sichern und schützen, es soll die Autonomie und die soziale Organisation der indigenen Völker stärken und zielt dabei darauf ab, die kulturelle Vielfalt zu respektieren und sicherzustellen, dass kollektive Entscheidungen Vorrang haben. Und, last but not least, es definiert alle Formen, wie eine wie auch immer geartete Kontaktaufnahme von Außen durch Dritte, sei es Politik, Behörden, Firmen, Institutionen, Organisationen oder Einzelpersonen, abzulaufen habe.

Die Versammlung fand im historischen indigenen Schulungs- und Kulturzentrum Raposa Serra do Sol - CIFCRSS - statt, der ehemaligen Surumu-Mission, dem Ort der ersten Tuxauas-Versammlung in den 1971er Jahren in der indigenen Gemeinde Barro in der Region Surumu, wie der Indigenenmissionsrat CIMI auf seiner Webseite berichtet. Anwesend waren demnach mehr als 47 Tuxauas (Männer und Frauen) und andere Führungskräfte der Indigenen. Vertreter:innen der Indigenenbehörde FUNAI, der Landesstaatsanwaltschaft MPE, des Staatssekretariat für indigene Völker von Roraima SEPI/RR, waren ebenfalls anwesend.

Das Protokoll umfasst dem CIMI-Bericht zufolge 59 Seiten und beinhaltet die Geschichte des Kampfes, die soziale Organisation und Verfasstheit der in der TI Raposa Serra do Sol lebenden Indigenen Völker und dokumentiert die Gesetze der indigenen Völker der TI Raposa Serra do Sol. Das Protokoll wurde auf Veranlassung der indigenen Gemeinschaften von Raposa Serra do Sol selbst erstellt, mit Unterstützung der Rechtsabteilung des Indigenen Rates von Roraima CIR sowie einer Kommission von Führungspersönlichkeiten, die den Prozess begleiten, berichtet CIMI.

Während der Zeremonie zur Veröffentlichung des Konsultationsprotokoll betonte der indigene Anwalt und Koordinator der Rechtsabteilung des CIR, Junior Nicacio, den historischen Moment, die Gesetze der indigenen Völker von Raposa Serra do Sol in einem Dokument zusammenzufassen, das dem Dialog und der Auseinandersetzung mit Staat und Regierung dient, das aber, so zitiert der CIMI-Bericht, auch die soziale Organisation der Völker stärkt: "Es ist das höchste Gesetz des indigenen Territoriums Raposa Serra do Sol, es dient sowohl nach innen als auch nach außen und zeigt, wie sich die Völker selbst organisieren. Es enthält die Verfassungsgesetze, die unser Recht auf Konsultation garantieren", betonte Junior Nicacio. Das Dokument sei ein Instrument für den Dialog und die Auseeinadersetzung mit den Regierungen von Bund, Ländern und Gemeinden. "Es ist ein wichtiges Dokument für den Dialog mit den Regierungen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene. Jedes Vorhaben, das sich auf das Leben der indigenen Völker auswirkt, muss konsultiert werden", betonte Junior Nicacio. "Raposa hat ein Gesetz, es hat immer ein Gesetz gegeben und jetzt ist es auf dem Papier, und die Organisationen müssen dieses Gesetz respektieren." Er fügte hinzu: "Bei dem Protokoll geht es nicht darum, Bauvorhaben unmöglich zu machen. Im Gegenteil, es wird dazu beitragen, die öffentliche Politik zu gestalten", fügte Júnior Nicacio hinzu.

Das Konsultationsprotokoll soll nun sicherstellen, dass Vorhaben wie Infrastruktur, Elektrifizierung, Monokulturen und andere Projekte mit den Gemeinden vorab, frei und informiert abgesprochen werden müssen. Der Vorsitzende des Lokalen Indigenen Gesundheitsrates, Dioclecio da Silva Henrique, aus der Gemeinde Barro in der Region Surumu, der Mitglied der Kommission ist, sagte bei der Entgegennahme des Materials, dass das Protokoll ihr Recht sei, gehört zu werden. "Wir haben das Recht, angehört zu werden, in der Hand. Wir müssen konsultiert werden."

Die regionale Frauenkoordinatorin Elinea de Souza sagte, das Protokoll sei ein indigenes Gesetz, ein Buch, das den Anführer:innen bei der Ausübung ihrer Arbeit Orientierung und Kraft gibt, so der CIMI-Bericht. "Dieses Buch ist ein Gesetz, an dem wir uns orientieren und das wir befolgen müssen, um nicht-indigenen Personen, die in irgendeiner Form zu uns kommen, den Zutritt zu verwehren." Paulo Ricardo, Koordinator der Raposa-Jugend, betonte laut CIMI, dass das Protokoll "ein grundlegendes Instrument zur Stärkung des Kampfes" sei, angesichts der Begehrlichkeiten von Bergbau, Agrarindustrie und anderen.

Das Konsultationsprotokoll wird als historischer Moment angesehen, da es als Referenz und Leitfaden sowohl für die Arbeit der Bundesbehörde FUNAI dienen wird, sondern auch ein Instrument ist, das den bereits in der brasilianischen Bundesverfassung und in anderen internationalen Gremien wie dem Internationalen Arbeitsübereinkommen wie der ILO 169 verankerten Rechte Indigenen zur Umsetzung verhelfen soll.

Es gibt mittlerweile eine Vielzahl an von den traditionellen Völkern und Gemeinschaften selbst erstellten Konsultationsprotokollen (siehe hierzu u.a. auch bei KoBra): von Indigenen Völkern und Gemeinschaften, von Quilombola-Völkern und Gemeinschaften, von traditionellen Völkern und Gemeinschaften, von traditionellen Gemeinschaften zur Erhaltung der Sozio-Biodiversität sowie von Indigenen, Quilombolas und anderen traditionellen Gemeinschaften zusammen erstellten Konsultationsprotokollen. Bisher am deutlichsten sichtbar wurde die Effektivität dieser selbsterstellten Konsultationsprotokolle im Falle der indigenen Juruna (traditionelle Bezeichnung Yudjá) im Indigenen Territorium Terra Indígena Paquiçamba in der Volta Grande do Xingu im Kampf gegen Brasilien künftig vielleicht größten Offenen Goldtagebau der Firma Belo Sun. Das Volk der Juruna hatte 2017 selbst ein Konsultationsprotokoll erstellt, das genau festlegt, auf welche Art und Weise jedweder von Außen sie betreffender Kontakt (einschließlich ökonomischer Aktivitäten oder auch journalistischer oder anthropologische Kontaktaufnahme) abzulaufen habe. Noch im selben Jahr wurde dieses Protokoll bei den kommunalen, bundesstaatlichen und föderalen Behörden hinterlegt. Und gleich im Dezember 2017 setzte das Justizgericht von Pará TRF1 die laufende Umweltgenehmigung für die Firma Belo Sun an der Volta Grande do Xingu aus. Das Gericht folgte darin der Einschätzung der Klage der Bundesstaatsanwaltschaft, dass die Firma aus Kanada sich in ihrem Vorgehen vor Ort nicht an die Richtlinien des bei den Behörden hinterlegten Konsultationsprotokoll der Juruna gehalten habe und somit eine Verletzung der ILO-Konvention 169 zum Schutze der Rechte der Indigene Völker vorliege. So besteht die Hoffnung, dass jedes weitere Konsultationsprotokoll den indigenen Völker und anderen traditionellen gemeinschaften Brasiliens mehr und mehr zur Durchsetzung und Wahrung ihrer Rechte verhilft.

// Christian Russau