Indigene erhöhen juristisch den Druck auf Obersten Gerichtshof STF gegen Stichtagsregelung

Der Indigenendachverband APIB reicht Eilantrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Obersten Gerichtshof STF ein und mahnt ausserdordentliche Dringlichkeit im Entscheidungsverfahren des STF in Bezug auf Verfassungswidrigskeitseinstufung der Stichtagsregelung "Marco Temporal".
| von Christian.russau@fdcl.org
Indigene erhöhen juristisch den Druck auf Obersten Gerichtshof STF gegen Stichtagsregelung
Symbolbild, hier: APIB-Delegation anlässlich ihres Berlin-Besuchs im September 2019. Foto: christian russau

Am heutigen 6.Februar dieses Jahres kehrt Brasiliens Oberster Gerichtshof STF aus den Ferien zurück. Da liegt auf dem Tisch der Verfassunsgrichter:innen noch eine neue Rechtseingabe mit höchster Dringlichkeit:

Am 29. Januar dieses Jahres reichte der Dachverband der Indigenen Völker Brasiliens, APIB, einen Eilantrag auf einstweiligen Rechtsschutz ein, um die Richter:innen des Obersten Gerichtshofs STF zu zwingen, die Rechte der indigenen Völker vollumfänglich und dringlich zu schützen. Dies berichtet das Nachrichtenportal Amazônia Real auf ihrer Webseite. APIB fordert in der Eingabe an den STF außerdem, dass die Richter:innen in der Rechtsangelegenheit mit der nach ihrer Einschätzung höchsten Dringlichkeit für die Indigenen Völker Brasiliens - der vor Gericht anhängigen zwei Klagen auf Verfassungswidrigkeit der sogenannten Stichtagsregelung "Marco Temporal" - umgehend ein Urteil zu fällen habe.

Vor dem Obersten Gerichtshof liegen derzeit drei Klagen gegen das Gesetz LEI Nº 14.701, DE 20 DE OUTUBRO DE 2023, vor, das der Nationalkongress zwischen September und Oktober vorigen Jahres durch die zwei Kammern des Nationalkongresses im Hauruckverfahren getrieben hatte, als direkte Reaktion auf den Entscheid des Obersten Gerichtshofes STF vom September vergangenen Jahres, die These vom sogenannten Marco Temporal als nicht verfassungskonform zu deklarieren. Gegen das Gesetz 14.701/2023 hatte Brasiliens Präsident Lula da Silva in einigen Punkte sein Veto eingelegt. In einer gemeinsamen Sitzung am 14. Dezember kippte der Nationalkongress diese Vetos von Präsident Lula. Damit setzten die Parlamentarier die ruralistische These der Stichtagsregelung in ein Gesetz um. Die Sitzung endete mit 321 Abgeordneten gegen die Vetos und 137 dafür. Im Senat wurde mit 53:19 Stimmen ebenfalls für die Rücknahme der Vetos gestimmt. Damit ist die Stichtagsregelung "Marco Temporal" aus Sicht des Nationalkongresses Gesetz.

Gegen das Gesetz 14.701 liegen gleich drei in Sachen Stichtagsregelung "Marco Temporal" zentrale Klageschriften vor. Dabei handelt es sich um zwei Klagen zur Erklärung der Verfassungswidrigkeit (Ação Direta de Inconstitucionalidade – ADI), die von linken Parteien und mit Unterstützung durch den Indigenendachverband APIB eingereicht wurden, sowie eine Klage zur Erklärung der Verfassungskonformität (Ação Declaratória de Constitucionalidade – ADC), die von der rechten Opposition eingereicht wurde (siehe hierzu ausführlich das neue KoBra-Dossier "Indigene Landrechte: „Direitos não se negociam!“ – „Rechte sind nicht verhandelbar!“"

Der nun von APIB beim STF eingereichte Eilantrag auf einstweiligen Rechtsschutz wurde vom juristischen Koordinator von APIB, Maurício Terena, mit derzeit drei höchstkritischen Situationen begründet, deren Brisanz und Dringlichkeit ein sofortiges Handeln des STF unabdinglich machten: die Ermordung der spirituellen Anführerin Maria Fátima Muniz de Andrade Pataxó Hã-Hã-Hãe am 21. Januar im Süden von Bahia (KoBra berichtete); der Angriff auf drei Avá-Guarani-Indigene am 10. Januar, vermutlich durch private Milizen ausgeführt, die im südlichen Bundesstaat Paraná operieren; und die jüngste Invasion in das Uru-Eu-Wau-Wau-Gebiet in Rondônia.

Das Ausbleiben einer so dringlichen Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit der Stichtagsregelung lasse "allen möglichen Opportunisten Raum, in den indigenen Gebieten zu agieren und trägt zur Konsolidierung einer allgemeinen Situation bei, in der die indigenen Völker Brasiliens irreparablen Schaden erleiden und eine Wiedergutmachung schwierig ist", so Terena gegenüber Amazônia Real.

// Christian Russau