Gewalt von Farmern gegen Indigene Pataxó Hã-Hã-Hãe in Bahia

Bewaffnete Milizen griffen indigene Landbesetzung an, Militärpolizei war zu dem Zeitpunkt bereits vor Ort. Eine indigene Anführerin wurde erschossen.
| von Christian.russau@fdcl.org
Gewalt von Farmern gegen Indigene Pataxó Hã-Hã-Hãe in Bahia
Quelle: Webseite Indigenenmissionsrat CIMI (LInk im Text)

Vergangene Woche, am frühen Nachmittag des Sonntags, dem 21. Januar dieses Jahres, griffen mindestens 200 bewaffnete Farmer:innen das indigene Volk der Pataxó Hã-Hã-Hãe an, das sein traditionelles Gebiet Caramuru-Catarina Paraguassu in der Gemeinde Potiraguá im Südwesten Bahias kurz zuvor zurückerobert hatte, um den politischen Druck zu erhöhen, dass dieses ihnen historisch geraubte und enteignete Land als indigenes Territorium vom Staat zurückzugeben sei. Der Angriff der bewaffneten Landmiliz, die der in Brasilien immer größer werdenden und sehr gewalttätigen Bewegung "Invasão Zero" zugerechnet wird, erfolgte unter dem Vorwand einer "illegalen Enteignung" (wie die radikale Bewegung "Invasão Zero" die Landbesetzungen durch die Indigenen und/oder durch die Landlosenbewegung MST bezeichnet) sehr gewalttätig und unter dem Einsatz von Schusswaffen. Organisiert wurde die brutale Aktion der rund 200 Bewaffneten zuvor durch entsprechende WhatsApp-Gruppen. Zudem lag für die Aktion, bei der übereinstimmenden Medienberichten zufolge auch Militärpolizei vor Ort war, keine gerichtliche Entscheidung zur Rücknahme der Farm Inhuma vor, die die Pataxó Hã-Hã-Hãe am Vortag zurückerobert hatten ("retomada"), wie die Indigenen die Rückgewinnung ihres traditionellen Landes bezeichnen. Die Militärpolizei des Bundesstaates Bahia war Medienberichten zufolge zeitgleich mit den Landbesitzenden anwesend. Maria Fátima Muniz de Andrade Pataxó Hã-Hã-Hãe, bekannt als Nega, wurde bei der Rückeroberung von den bewaffneten Farmermilizionär:innen erschossen. Dies berichtet der Indigenenmissionsrat CIMI auf seiner Internetseite.

Die indigenen Pataxó Hã-Hã-Hãe vor Ort beschuldigten sowohl die Landbesitzer:innen als auch die Militärpolizei von Bahia. Der Indigenenmissionsrat CIMI zitiert auch von in den sog. sozialen Medien kursierende Fotos und Videos, auf welche zu sehen sei, dass Maria Fátima Muniz de Andrade Pataxó Hã-Hã-Hãe von Schüssen getroffen wurde und sie zu Boden fiel, umringt von Landbesitzern. Die Polizeibeamten, die die gewaltsame Aktion begleiteten, standen demnach daneben, ohne Hilfe zu leisten.

Neben der spirituellen Anführerin Maria Fátima Muniz de Andrade Pataxó Hã-Hã-Hãe befand sich der Kazike Nailton Pataxó Hã-Hã-Hãe, der ebenfalls von Schüssen getroffen wurde. Er überlebte und wurde in ein örtliches Krankenhaus gebracht. Weitere Indigene, von denen bisher drei bestätigt wurden, wurden von Schüssen getroffen, so CIMI. Darüber hinaus wurde nach indigenen Angaben einer Pataxó-Frau von einem Militärpolizisten das Schlüsselbein gebrochen, als dieser sie schlug.

Unmittelbar nach dem Mord wurde der 19-jährige Sohn eines Fazendeiros sowie ein bereits im Ruhestand befindlicher Polizist von Polizeikräften verhaftet, auf frischer Tat, wie es in Medien hieß, berichtet CIMI. Andere Medienquellen berichten von zwei Fazendeiros, die verhaftet wurden.

Laut der Zeitung Brasil de fato berichten Indigene Pataxó Hã-Hã-Hãe, dass die Militärpolizei den Weg für die bewaffnete ländliche Miliz auf das Gelände überhaupt erst freigemacht habe. Infolgedessen schossen Mitglieder der Miliz auf die anwesenden Indigenen, darunter auch auf ältere Menschen und Kinder. "Der Kommandant [der Militärpolizei] sprach mit ihnen [den Viehzüchtern] und forderte sie auf, ihre Fahrzeuge wegzufahren. Die Fahrzeuge fuhren weg. Er [der Kommandant] nahm seine Truppen und teilte sie auf. Er stellte eine Truppe auf die eine Seite und eine andere auf die andere. Und die Leute [Viehzüchter und bewaffnete Milizionäre] fuhren hindurch", sagte einer der Zeugen gegenüber Brasil de fato.

Nach Angaben der von Brasil de fato gehörten Zeug:innen gab auch die Militärpolizei selbst Schüsse ab. In einem exklusiven Gespräch mit Brasil de Fato beschrieben die Überlebenden eine "Jagd" auf Indigene, die von der Polizei und den Bauern angeführt wurde. Ein Überlebender schilderte die Situation wie folgt: "Die Polizei wies die Fahrzeuge an, uns aus dem Weg zu gehen. Dann kamen die Rancher mit den Bewaffneten herein. Dann fingen sie an, auf uns zu schießen, verletzten Kinder und alte Menschen. Und sie schossen weiter, bis sie zwei Kaziken trafen", sagte der Zeuge. Ein drittes Opfer sagte gegenüber Brasil de fato aus: "Die Polizei war praktisch ein Sicherheitsdienst für die Landbesitzer. Die Polizei hat auch geschossen und war mit ihnen [den Bauern] zusammen. Sie haben gelacht. Sie [die Polizei] haben sie [die Fazendeiros] geschützt". "Ich sagte: 'Sergeant, das können sie uns nicht antun'. Er sagte: 'Doch, das kann ich'. Und er hob sein Gewehr. Und er fing an, auf uns zu schießen, auf Frauen, Kinder, auf alle, die da waren [schreit]. Ich sah nur Menschen, die wegliefen", beschrieb eine weitere Zeugin gegenüber Brasil de fato die Situation.

Ab diesem Moment, so Brasil de fato, sich stützend auf die Zeugenaussagen, begann die "Jagd" auf die Indigenen. Die regelrechte Hetzjagd erstreckte sich demnach bis ins Innere des indigenen Gebiets Caramuru-Catarina Paraguassu. "Sie sagten: 'Lasst uns schießen, lasst uns diese Vagabunden töten'. Lasst uns alles töten. Und sie fingen an zu schießen, ich konnte nur sehen, wie die Kugeln in den Boden einschlugen", sagte ein anderer Überlebender gegenüber Brasil de fato.

Nach Angaben des Staatssekretariats für öffentliche Sicherheit von Bahia, SSP-BA, wurde der Angriff von einer Gruppe von Bauern organisiert, die sich Bewegung "Invasão Zero" nennt. Brasil de Fato sprach mit dem Gründer und Anführer von "Invasão Zero" in Bahia, Luiz Uaquim, einem Landwirt aus Ilhéus. Er sagte, er sei nicht mit Gewalttaten einverstanden und bestritt die Beteiligung von Mitgliedern seiner Organisation an den Angriffen gegen die indigene Bevölkerung und an der Tötung von Maria Fátima Muniz de Andrade Pataxó Hã-Hã-Hãe. Im Widerspruch zur Behauptung der Militärpolizei sagte Uaquim, dass Polizeibeamte sehr wohl bereits vor Ort waren, als die Fazendeiros eintrafen. Luiz Uaquim beschuldigte die Indigenen in der Region, bewaffnete Überfälle auf ländliche Grundstücke zu fördern, und forderte, dass gegen sie ermittelt werden müsse. "Die "Invasão Zero"-Bewegung wurde aufgrund eines Hilfeersuchens eines Bauern mobilisiert, eines Hilfeersuchens mit sofortiger Dringlichkeit. Und dort sind wir auf die Militärpolizei gestoßen und haben gezeigt, dass die Bewegung friedlich und geordnet ist", sagte er gegenüber Brasil de fato. 

Der Gouverneur von Bahia, Jerônimo Rodrigues von der Arbeiter:innenpartei PT, erklärte diese Woche in den Medien, dass er eine "sofortige und strenge Untersuchung der Fakten" angeordnet habe. Rodrigues sagte auch, dass er den Fall mit Präsident Lula besprochen habe und dass eine Task Force an den Ort des Konflikts geschickt worden sei. "Ich werde weiterhin bekräftigen, dass wir keine Art von Gewalt oder Einschüchterung dulden werden, egal gegen wen sie hier in Bahia gerichtet ist", sagte der Gouverneur.

// Christian Russau