Der Schmetterlingseffekt der globalen Lebensmittelindustrie

Die Ausbreitung der imperialen Lebensweise betrifft uns Alle, auch wenn sie nicht für jeden spürbar ist. Eine Analyse der Ursachen und Wirkungen am Beispiel der weltweiten Soja-Produktion.
| von Viktoria Wölfl
Der Schmetterlingseffekt der globalen Lebensmittelindustrie
Soja, Midia NINJA

Beim Blick auf den Mittagsteller des Durchschnittsbürgers in Deutschland, darf das Stück Fleisch nicht fehlen. Was dieses Stück Fleisch aber mit der Vertreibung Indigener in Brasilien zu tun hat, ist nur den Wenigsten bewusst. Doch wenn man sich die Handelsketten der Lebensmittelproduktion etwas genauer ansieht, wird schnell klar, dass auch ihr eine imperiale Lebensweise innewohnt.

Sieht man sich beispielsweise die weltweite Produktion von Soja an, steht Brasilien mit den USA an der Spitze. Das Land entwickelte sich in den letzten Jahren zu einem der größten Soja-Exporteure weltweit, der Großteil davon landet in China, ein beachtlicher Teil aber auch in der EU. So importiert die EU jährlich knapp 33 Millionen Tonnen Sojabohnen und Sojaschrot aus Nord- und Südamerika – insgesamt also 64 Kilogramm für jeden EU-Bürger. Und indirekt landet dieses Soja tatsächlich in unserem Magen: Hierzulande werden die Soja-Importe zu einem großen Teil als eiweißreiche Futterpflanzen für die großen Nutztierbestände, für Schweine, Geflügel und Rinder, verwendet. Die jährlich größer werdende Nachfrage nach Fleischprodukten, führt so auch in Brasilien zu einer erhöhten Soja-Produktion. Dort wird nahezu die gesamte Produktionssteigerung von Soja seit Jahrzehnten durch die Rodung des Regenwaldes oer der Savanne und damit auch die Verdrängung kleinbäuerlicher, indigener oder quilombola Gemeinschaften, erzielt.

OVID

Abbildung: OVID 2016

Pestizidgeschäfte im globalen Süden? – Bayer machts vor!

Ein weiteres Problem ist aber nicht nur die stetige Ausbreitung der Agrarkonzerne durch eine imperiale Lebensweise, sondern auch der rigorose Einsatz gefährlicher Agrargifte und oft damit einhergehendes gentechnisch-manipuliertes Saatgut. Berühmtestes Beispiel ist hier der Konzern Monsanto, der erst im letzten Jahr vom deutschen Unternehmen Bayer übernommen wurde. Neben Corteva Agriscience (ehemals Dow und DuPont) und ChemChina/Syngenta, ist Bayer nun endgültig am Zenit des Saatgutmarktes und Pestizidgeschäftes angekommen. Der nun größte Agrochemie-Konzern der Welt erwirtschaftet so einen jährlichen Umsatz von 22,5 Milliarden Euro. Im globalen Süden hat das soziale, ökologische und menschenrechtliche Auswirkungen – auch hier wird die imperiale Lebensweise sichtbar. So verkauft der Konzern beispielsweise in Brasilien Produkte, die in der EU längst verbotene Wirkstoffe enthalten, darunter Carbendazim, Cyclanilid, Ethiprole, Ethoxysulfuron, Ioxynil und Thiodicarb. Der Bayer-Konzern hat also offensichtlich keine ethischen Bedenken dabei, außerhalb von Europa die Gesundheit von Bauern und Bäuerinnen sowie Landarbeiter*innen und der lokalen Bevölkerung durch den Einsatz und die Herstellung seiner Produkte zu gefährden.

„Die enorme Dunkelziffer an Pestizidvergiftungen in Brasilien ist unmittelbar mit einem zentralen Geschäftsfeld des fusionierten Pestizidgiganten verbunden. Schon heute ist Brasilien das Land mit dem größten Pestizideinsatz weltweit. 20 Prozent aller weltweit ausgebrachten Pestizide landen auf brasilianischen Äckern. Mit der Übernahme von Monsanto wird Bayer auch in Brasilien mit einem Marktanteil von 23 Prozent zum wichtigsten Pestizidhersteller“, schreibt die Kampagne Meine Landwirtschaft.

Natürlich ist im Hinblick auf den massiven Einsatz von Agrargiften und gentechnisch manipuliertem Saatgut, der Umstieg auf Bio-Fleisch ein Schritt in die richtige Richtung.Vor allem im Blick auf Brasilien wird dies deutlich: denn über 95% des dort produziertes Sojas sind gentechnisch manipuliert. Durch den Kauf von biologischen Fleischprodukten unterstützt man nicht nur eine umweltschonendere Landwirtschaft, sondern reduziert somit auch die Wahrscheinlichkeit die Abholzung des Regenwaldes und damit einhergehende Landkonflikte in Brasilien indirekt mit zu verursachen.

Fleischatlas 2018 von BUND, Heinrich-Böll-Stiftung, Le Monde Diplomatique

Abbildung: Fleischatlas 2018 von BUND, Heinrich-Böll-Stiftung, Le Monde Diplomatique

Können wir aus Fehlern lernen? – die neue GAP Reform 2020

Auch die derzeitigen Verhandlungen rund um die gemeinsame europäische Agrarpolitik (GAP), die ab 2021 in Kraft treten soll und in der auch ökologische Themen nicht zu kurz kommen sollen, fordern immer mehr Menschen den Einbezug der globalen Perspektive. Denn auch die GAP ist mitverantwortlich für die weltweite Sojaexpansion und damit einhergehenden Probleme in den Erzeugerländern. Die derzeitige Agrarpolitik bietet einfach keine Anreize für eine vielseitige landwirtschaftliche Pflanzen- und Tierproduktion, wodurch eine zunehmende Intensivierung und Spezialisierung zu beobachten ist. Die EU begünstigt den Sojahandel weiterhin, indem sie auf importiertes Futtersoja keine Zölle erhebt. Der BUND betont: „Damit bleibt die Nachfrage innerhalb der EU langfristig hoch, während die Auswirkungen agrarindustrieller Sojaplantagen auf Umwelt sowie Bürger- und Menschenrechte unter den Tisch gekehrt werden.“

Derzeit verteilt die EU jährlich rund 60 Milliarden Euro an die Landwirtschaft, der Großteil geht an Großgrundbesitzer*innen. Pro Hektar gibt es ca. 300 Euro, unabhängig davon, ob dort zukunftsfähig gewirtschaftet wird. Sinnvoller wäre es das Geld zu nutzen, um tatsächlich zukunftsfähige Betriebe zu belohnen. Den Weg in die Zukunft weisen jene Bäuerinnen und Bauern, die ihre Tiere gut halten, den ländlichen Raum lebendig machen und dabei mithelfen Umwelt und Klima zu schützen. Dies sollte auch der Leitsatz der neuen und zukunftsfähigen GAP ab 2020 sein.

Neben der GAP, gibt es aber derzeit auch Pläne für einen neuen Freihandels-Vertrag zwischen der EU und den Mercosur Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay, Venezuela), der die Exportorientierung dieser Länder weiter stärker würde. Der Regierung Bolsonaros würde dieser Vertrag in die Hände spielen und die Abholzung des Regenwaldes weiter vorantreiben. Die Position der EU scheint hier vor allem von wirtschaftlichen Interessen geprägt und beruft sich auf eine wertebasierte Handelsagenda der Europäischen Kommission. Dennoch: die Lage für die Bauern und Bäuerinnen vor Ort bleibt angespannt…

Kleinbäuer*innen sind global gesehen am Produktivsten.

Im Gegensatz zu den ständigen Behauptungen aus der Agrarlobby, dass ein Ausbau im Sinne einer technologisierten, Pestizidintensiven und eine auf genmanipuliertem Saatgut basierende Landwirtschaft gerade auch im globalen Süden wichtig sei, um den Welthunger zu bekämpfen, zeigt die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), dass die kleinbäuerliche Landwirtschaft sehr produktiv ist. So stellen in Brasilien kleinbäuerliche Betriebe im Schnitt 40% der Produktionen einiger Hauptanbauprodukte bereit und dies auf weniger als 25% der Ackerfläche. In anderen Ländern sind die Zahlen sogar noch eindeutiger. Insgesamt zeigt sich also, dass es keinen Anstieg der Lebensmittelproduktion braucht, um Hunger zu bekämpfen. Denn Hunger hängt nicht mit dem weltweiten Angebot an Nahrungsmitteln zusammen, „sondern mit Armut, Demokratiedefiziten und ungleich verteiltem Zugang zu Land, Wasser, Kapital sowie anderen Infrastrukturen und Ressourcen“, erläutert der BUND.

Auch wenn es schwer vorstellbar bleibt, wie das Stück Fleisch am Mittagsteller mit der Vertreibung der Indigenen Brasiliens zu tun hat, so ist es doch die Verantwortung von uns Allen und vor allem jener, die von der derzeitigen imperialen Lebensweise profitieren, beim nächsten Mal etwas genauer hinzusehen. Denn die Nahrungsmittelproduktion ist mittlerweile Teil eines global vernetzen Warensystems, dessen Ursache und Wirkung oft Tausenden Kilometer auseinanderliegen – ein Schmetterlingseffekt par excellence!

Fleischatlas 2018 von BUND, Heinrich-Böll-Stiftung, Le Monde Diplomatique

Abbildung: Fleischatlas 2018 von BUND, Heinrich-Böll-Stiftung, Le Monde Diplomatique

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Am Samstag, dem 18.Mai 2019 findet der ‚March against Monsanto + Syngenta‘ in Basel statt. Infos hier: http://www.marchagainstsyngenta.ch/index.php/de/