Energieversorgung, Landwirtschaft und Trinkwasser im Paraná-Becken akut gefährdet

Schlimmste Dürre seit 92 Jahren im Paraná-Becken gefährdet Energieversorgung, Schiffsverkehr und Landwirtschaft in Paraguay und Zentralsüdbrasilien
| von Christian.russau@fdcl.org
Energieversorgung, Landwirtschaft und Trinkwasser im Paraná-Becken akut gefährdet
Archivbild: Staureservoir Cantareira im Großraum São Paulo. Foto: christianrussau

Schlimmste Dürre seit 92 Jahren im Paraná-Becken gefährdet Energieversorgung, Schiffsverkehr und Landwirtschaft in Paraguay und Zentralsüdbrasilien

Der Schiffsverkehr in Paraguay auf dem für den Waren- und Gütertransport zentralen Paraná-Fluss ist wegen der historischen Dürre im Großraum des Wassereinzugsgebiets des Paraná, was zu einem Niedrigstand des Flusses von 22 Zentimeter führt, nahezu zum Erliegen gekommen. Daher einigten sich Paraguay, Argentinien und Brasilien darauf, für einen geplanten Zeitraum von sieben Tagen mehr Wasser aus dem Staudamm Itaipú zu entlassen, um den Wasserstand im Paraná auf der paraguayischen Seite zumindest ein wenig zu erhöhen.

In den argentinischen Provinzen des Wassereinzugsgebiets des Paraná, Missiones und Corrientes, melden die Behörden Probleme mit der Trinkwasserversorgung wegen der Niedrigstände der Flüsse und aus Brasilien kommen erschreckende Meldungen über ebenfalls deutliche historische Niedrigstände der Flüsse und Stauseen, was neben Problemen für die Bewässerung der Landwirtschaft erneute Fragen über die Energieversorgungssicherheit von Südamerikas größtem Staate, Brasilien, aufwirft.

Im Mai hat es in weiten Teilen der brasilianischen Bundesstaaten des Paraná-Wassereinzugsebiet São Paulo, Minas Gerais, Mato Grosso do Sul und Goiás insgesamt 27 mm geregnet. Dies entspricht nur rund einem Viertel des zu dieser Jahreszeit anfallenden Durchschnittsbetrag von 98 mm. Deswegen hat das brasilianische System des nationalen Wetterdienstes Sistema Nacional de Meteorologia zum ersten Mal in seiner Geschichte für den Großraum des Paraná-Beckens den Wasser- und Dürrenotstand ausgerufen, einen Notstand, den die Nationale Wasserbehörde ANA noch einmal ausdrücklich bestätigte. 2015 wurde der Südosten des Landes von einer historischen Dürre heimgesucht, die die Trinkwasser- und Energieversorgung im Dreieck der drei Millionenmetropolen São Paulo, Rio de Janeio und Belo Horizonte bedrohte, nun trifft die laut Medienberichten schlimmste Dürre seit 92 Jahren das Paraná-Einzugsgebiet.

Dies hat Folgen für die Landwirtschaft, die Ernten bei Zuckerrohr, Kaffee, Orangen, Mais- und Sojapflanzen sind bedroht und treiben die Preise in die Höhe. Gleichzeitig steigen wegen der Dürre die Preise für Futtermittel, sodass auch die Preise für Geflügel und Schweinefleisch in die Höhe gehen, wie Marktanalyst:innen warnen.

Aber eben auch die Energiewirtschaft ist hart getroffen, dies in einem Land, dessen Anteil der Wasserkraft an der Energieversorgung zu 65 Prozent von dieser abhängt. Ende Mai 2021 lag das noch verbliebene Potential der Stromerzeugung - gemessen an dem in jedem Teilsystem verfügbaren Energiespeicher, also der potentiellen Energie, die durch das in den Stauseen gespeicherte Wasservolumen noch erzeugt werden kann - bei den Wasserkraftwerken in der Region Südost/Mitte-West nur noch bei 32,11 Prozent, weil schlicht das Wasser in den Reservoirs und Flüssen und Seen fehlt. Die Paraná-Wassereinzugszone weist somit den landsweit niedrigsten Wert aller wasserenergiewirtschaftlichen Bezugssysteme Brasiliens auf. Der Norden, der die Liste der derzeit am  sichersten versorgten Regionen anführt, hatte im Mai noch 84,47 Prozent Restkapazität, was dem 2,6-fachen des Niveaus entspricht, das im Südosten/Mitte-West registriert wurde. Das Teilsystem Nordost wies mit 63,44 Prozent seiner Restkapazität einen doppelt so hohen Wert wie der Südosten/Zentralwesten auf. Die Reservoirs des Südens lagen bei 57,46 %, was dem 1,8-fachen Wert des Subsystems Südost/Zentral-West entspricht, meldete die landesweite Behörde der Stromnetzagentur Operador Nacional do Sistema Elétrico (ONS).

Dabei ist klar, dass neben massiven Wasserverbrauchs durch Industrie und das Agrobusniness vor allem der Klimawandel und die Vernichtung großflächiger Waldsysteme zu dem gegenwärtigen Wasserstress beitragen. "Wenn das Problem der Mangel an Regen ist, müssen wir uns daran erinnern, wo dieser gebildet werden: im Wald. Ein Land, das wie Brasilien auf Wasserkraft angewiesen ist, muss alle Bäume umarmen. Wälder müssen ebenso als Infrastruktur betrachtet werden wie Turbinen oder Generatoren. Mit einem wichtigen Unterschied. Wenn eine Turbine oder ein Generator ausfällt, reparieren oder ersetzen wir sie. Aber ein zerstörter Wald ist viel schwieriger wiederherzustellen", sagt Alexandre Mansur, Direktor des Instituts O Mundo Que Queremos.

Das hat auch mit dem Problem der ausbleibenden "Fliegenden Flüsse Amazoniens" zu tun. Der Begriff der rios voadores oder flying rivers wurde von dem Meteorologen beim brasilianischen Raumforschungsinstitut INPE und Mitglied des Intergovernmental Panel on Climate Change IPCC, José Antonio Marengo Orsini, geprägt. Marengo und seine über 50 Kolleg:innen aus acht Ländern hatten 2002-2003 700 Ballone, mit Sensoren ausgestattet, in Amazonien starten lassen und konnten so die vorherrschenden Luftströmungen je Jahreszeit nachvollziehen. Das Ergebnis: In den Sommermonaten driften die in Amazonien durch Evaporation entstehenden Wolken in einer Höhe von unter dreitausend Metern und mit einer Geschwindigkeit von durchschnittlich 50 km/h zunächst gen Westen, wo sie an den Anden geblockt werden und dann gen Süden/Südosten abgelenkt werden – bevor sie über dem Südosten und Süden Brasiliens, über Uruguay, Paraguay und dem Norden Argentiniens sich abregnen. "Diese Strömungen sind wie fliegende Flüsse, die Feuchtigkeit vom Norden nach Süden tragen", erklärte damals José Marengo. Seine Forschungskollegin Carolina Vera, von der Universität von Buenos Aires ergänzte, "besonders im Sommer, da sind diese Luftströme eine der Hauptursachen für die starken Regenfälle". Denn die nach Süden treibenden Wolken erhöhen dort die Luftfeuchtigkeit, so die Forscher:innen um Marengo bereits 2003, um 20-30 Prozent, in einigen Fällen gar um 60 Prozent.

Antonio Nobre vom nationalen Forschungsinstitut für Raumfragen INPE erklärte bereits im Jahr 20095 den Zusammenhang der Wasserknappheit im Süden mit der Rodung Amazonien anders: In Amazonien verdunsten jeden Tag 20 Milliarden Tonnen Wasser. Zum Vergleich: Der weltgrößte Fluss der Welt, der Amazonas, speist täglich 19 Milliarden Tonnen Wasser in den Atlantik. Im amazonischen Regenwald bietet das vielschichtige, in die Höhe von bis zu 40 Meter reichende Blattwerk der Pflanzenwelt auf einem Quadratmeter Regenwaldbodens das Acht- bis Zehnfache an potentieller Verdunstungsfläche. Während ein Baum bis zu 300 Liter Wasser je Tag verdunsten könne, liege die Rate bei Weideland nur bei einem Achtel dieses Werts, so Nobre. Der Begriff der Fliegenden Flüsse meint demnach den Vorgang der täglichen Verdunstung zu Wolken von 20 Milliarden Tonnen Wasser durch Amazoniens Blattwerk, von dem 50 Prozent sich in Amazonien selbst wieder abregnen und zehn Milliarden Tonnen gen Westen ziehen und an den sechstausend Metern hohen Anden blockiert und von dort nach Süden getrieben werden und sich über dem Wassereinzugsgebiet auch des Großraums São Paulos abregnen. Werde die Verdunstung in Amazonien durch Inwertsetzung, sprich: Rodung der Region und Umnutzung durch industrielle Landwirtschaft gemindert, so mindert dies auch die Regenfälle für die Wassereinzugsgebiete im Süden und Südosten des Landes.

In den letzten 40 Jahren wurden in Amazonien im Durchschnitt drei Millionen Bäume je Tag gerodet. Daraus errechnet sich die erschreckende Zahl von 2.000 Bäumen je Minute oder einer Gesamtzahl von 42 Milliarden Bäumen. Versiegen die fliegenden Flüsse Amazoniens, so sitzen der Süden und Südosten Brasiliens mit seinen Millionenmetropolen, Nordargentinien ebenso wie Uruguay und Paraguay auf dem Trockenen.

Doch die Politik der Bolsonaro-Regierung setzt auf andere Antworten. Der Minister für Bergbau und Energie, Bento Albuquerque, sagte, dass die Wasserkrise, die Brasilien erlebt, auf den Mangel an Investitionen zurückzuführen sei. "Wir leben in einer Wasserkrise, schlimmer als die von 2001, und zwar wegen der fehlenden Investitionen in unsere Wassereinzugsbecken, die für die Erhaltung unserer Stauseen grundlegend sind. Mit dem Kapitalisierungsprozess werden wir in der Lage sein, neun Milliarden R$ in diese Wassereinzugsgebiete zu investieren, die für uns von grundlegender Bedeutung sind, um Bedingungen für die nachhaltige Entwicklung des Landes zu haben", erklärte der Minister. Bento Albuquerque erklärte, dass Brasilien einen wettbewerbsfähigeren Markt brauche, um die Investitionen zu tätigen, die Brasilien brauche, aber die staatliche Firma Eletrobras habe heute nicht die finanziellen Möglichkeiten, die notwendigen Beiträge für den Sektor zu leisten. "In den nächsten 10 Jahren werden wir Investitionen von etwa 370 Milliarden R$ haben. Seit 2014 hat Eletrobras an keiner Erzeugungs- und Übertragungsauktion mehr teilgenommen, weil das Unternehmen seine Investitionskapazität verloren hat." Die Lösung laut dem Minister: Privatisierung der Eletrobras.

// christian russau