Asphaltschneise durch Amazonien

Die BR-319 zwischen Manaus und Porto Velho soll doch durchgängig asphaltiert werden und so die noch 400 Kilometer vorhandene Erdpiste zwischen Manaus und Porto Velho ersetzen. Klimaaktivist:innen, Umweltschützer:innen und Menschenrechtsverteidiger:innen äußerst besorgt.
| von Christian.russau@fdcl.org
Asphaltschneise durch Amazonien
Asphaltierung in Amazonien (Symbolbild). Hier: Asphaltausbesserung der Transamazônica bei Altamira. Foto christianrussau [2016]

Auf 882 Kilometern erstreckt sich die BR-319 zwischen der Landeshauptstadt des Bundesstaates Amazonas, Manaus, bis nach Porto Velho, der Landeshauptstadt des Bundesstaates Rondônia. 450 Kilometer dieser Bundesstraße sind alsphaltiert, aber ungefähr auf halber Strecke befindet sich ein Teilstück von 400 Kilometern, das nicht asphaltiert ist. Seit Langem gibt es darüber in Brasilien Streit, zwischen Befürworter:innen der Asphaltierung, die sich davon Entwicklung für die Region und eine Erschließung des wirtschaftlichen Potentials versprechen - Klimaaktivist:innen, Umweltschützer:innen und Menschenrechtsverteidiger:innen sehen darin ein Einfallstor für Waldrodung und mehr CO2, weiterer Ausweitung der Agrargrenzen und Mißachtung der Rechte der von der Straße negativ betroffenen indigenen, von denen einige auch im Umfeld der Straße als in freiwilliger Isolation Lebende gelten.

Vor wenigen Tagen (am 15. Juli dieses Jahres) kündigte die Bundesumweltministerin Marina Silva laut Medienberichten (z.B. hier und hier) die Einsetzung einer interministeriellen Kommission an, die eine strategische Umweltverträglichkeitsprüfung zur Asphaltierung der BR-319 an. An der Initiative seien ihr Ministerium für Umwelt und Klimawandel und das Verkehrsministerium unter dem Minister Renan Filho beteiligt, wobei die allgemeine Koordinierung vom Präsidialamt übernommen werde. Das Umweltministerium sei demnach für die exekutive Koordinierung zuständig und werde laut den Medienberichten an zwei Hauptfronten arbeiten: Einerseits werde der Rahmen für eine Umweltverträglichkeitsprüfung für den gesamten Einflussbereich der Autobahn festgelegt, um sicherzustellen, dass die Entscheidungen über die Arbeiten auf der Grundlage technischer Studien getroffen werden, wobei sowohl die ökologischen Grenzen der Region respektiert und negative Auswirkungen auf das Amazonas-Gebiet vermieden werden sollen. Andererseits gehe es um die Einsetzung eines Verwaltungsmodells für das von der Straße abgedeckte Gebiet, das demnach künftig einen 100 km breiten Streifen umfasst - 50 km auf beiden Seiten der BR-319. Dieses Gebiet umfasst etwa 42 Millionen Hektar, darunter auch indigenes Land, Naturschutzgebiete und noch nichtdemarkierte indigene Territorien.

Die NGO Observatório do Clima warnt vor dem Großprojekt: Die Entwaldung in der Region könnte bis zu viermal höher sein als ohne das Projekt und werde bis zum Jahr 2050 acht Milliarden Tonnen CO2 mehr erzeugen, so das Observatório do Clima - brisanterweise unter Berufung auf Untersuchungen des Bundesumweltministeriums. Bei einem Gerichtstermin zur Frage der Umweltgenehmigung zur Asphaltierung der BR-319 Anfang Juli dieses Jahres hatte Paulo Busse, Jurist beim Observatório do Clima, zudem gesagt, dass die bloße Erwartung der Asphaltierung, die durch die vorläufige Genehmigung hervorgerufen wird, bereits jetzt Auswirkungen auf die Umwelt habe. "Das Anlegen mehrerer nicht genehmigter Straßenabzweigungen, die an die Hauptstrecke der BR-319 anschließen sollen, sobald diese fertig ist, zeigt, dass Akteure, die an Grundstücksspekulationen in der Region interessiert sind, wie z.B. Landräuber und Umweltverbrecher, bereits mit der Eröffnung dieser Straßen begonnen haben", erklärte er.

Historische Erfahrungen in Amazonien zeigen, dass 80 Prozent der illegalen Entwaldungen entlang eines dreißig Kilometer breten Streifens entlang asphaltierter Straßen stattfindet - und dass diese als Einfallstor für Ausweitung der Agrargrenze genutzt werden. Bedroht sind dadurch zum einen die in der Region lebenden Indigenen, die oft noch um die abschließende Demarkierung ihrer Territorien kämpfen, aber auch der allgemeine, großflächige Druck auf die Landflächen zum weiteren Ausbau von agrarwirtschaftlicher Fläche - meist für Soja, Zuckerrohr, Mais, Eukalyptus u.a. - erhöht die Landkonflikte. Hinzu kommt im Fall der geplanten Asphaltierung der BR-319: es wird von mindestens fünf in freiwilliger Isolation lebenden indigenen Völkern im Einflussgebiet der BR-319 ausgegangen. Die BR-319 wurde zudem in den vergangenen Tagen vor und nach der Verabschiedung des sog. Umweltflexibilisierungsgesetzes 2159/21 durch den Nationalkongress (KoBra berichtete) als eines der vom dem Gesetz profitierenden Großprojekte benannt, das dann vereinfacht als "im strategischen nationalen Interesse" genehmigt werden könnte - trotz der bekannten Umwelt- und menschenrechtlichen Auswirkungen.  

Die BR-319 durchquert eines der größten noch erhaltenen Regenwaldgebiete des Landes, das indigenes Land (19 % der Fläche), Naturschutzgebiete (32,8 %), Siedlungen, nicht zugewiesenes öffentliches Land und private Gebiete mit wenig oder gar keiner Landregulierung umfasst. Die erste Ausschreibung zum Bau der Straße erfolgte ohne vorherige Umweltverträglichkeitsprüfung noch unter dem Militärregime von Artur da Costa e Silva im Jahre 1968, eröffnet wurde die BR-319 im Jahre 1976.

// Christian Russau

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