Renewables 2004 - eine verpasste Gelegenheit für Lateinamerika und die Karibik

Viele von uns haben Bonn mit gemischten Gefühlen verlassen – sowohl enttäuscht als auch hoffnungsvoll. Hoffnungsvoll, weil am Ende der Konferenz klar wurde, dass erneuerbare Energien nicht mehr zu stoppen sind. Leider hat Brasilien bei dieser Konferenz seine internationale Führungsrolle in der Energiepolitik über Bord geworfen.
| von Marcelo Furtado

Wir sind enttäuscht, so wie es in den Gesichtern der jungen Aktivisten am letzten Tag vor den Toren des Konferenzzentrums zum Ausdruck kam, weil die Regierungen immer noch nicht den politischen Willen haben, den Klimawandel zu stoppen. Ich war besonders enttäuscht über das niedrige Profil der lateinamerikanischen und karibischen Regierungen. Noch bei den Vorbereitungskonferenzen waren wir die einzige Region gewesen, die sich in der Plattform von Brasilia ein regionales Ausbauziel gegeben hatte und politische Zusagen für den Ausbau erneuerbarer Energien eingegangen war.

Die „Renewables 2004“ war eine goldene Gelegenheit für Lateinamerika und die karibischen Länder, der Welt zu zeigen, dass sie seit Johannesburg ihre Hausaufgaben gemacht haben.  Bonn wäre der perfekte Ort gewesen, Projekte auf den Tisch zu legen und internationale Institutionen und Regierungen dazu zu bringen, sich auf technologische Zusammenarbeit zu einigen und die Energierevolution zu finanzieren, mit der wir nachhaltige Entwicklung in unserer Region voranbringen können. Aber dies geschah nicht. Wir hatten eine Reihe isolierter, positiver Zusagen aus Mexiko, Argentinien, der Anden – Gemeinschaft, Guatemala und den zentralamerikanischen Ländern im Internationalen Aktionsprogramm. Aber ganz klar ist, dass aus Brasilien nichts kam.

Brasilien: in Johannesburg noch treibende Kraft
Während des Johannesburger Weltgipfels war Brasilien führende Kraft einer Initiative, die ein globales 10%-Ausbauziel für Erneuerbare Energien bis 2010 vorschlug: aus Sonnenenergie, Wind, nachhaltiger Biomasse, Geothermie, Wellenkraft und kleinen Wasserkraftwerken. Brasilien war treibende Kraft des Prozesses, der zur Annahme der Brasilia-Plattform im Oktober 2003 führte – ein regionales 10%-Ausbauziel für Lateinamerika und der Karibik. Brasilien hat immer eine Politik gehabt, eine erneuerbaren Energiemix für das Land zu entwickeln und damit seine progressive Klimapolitik zu unterstützen. In Bonn hat Brasilien praktisch seine internationale Führungsrolle in der Energiepolitik über Bord geworfen.
Brasilien hat sich damit in einen offenen Gegensatz zu seinen bisherigen Ankündigungen gesetzt, sich für Nachhaltige Entwicklung einzusetzen. Die in jüngster Zeit betriebene Politik, den Handel mit Kohle und angereicherten Uran auszubauen und das brasilianische Atomprogramm (einschließlich des AKW Angra 3 und eines atomgetrieben U-Bootes) wiederzubeleben, sind ein Skandal. Damit zeigt die Regierung , dass sie schmutzige, teure, überholte und gefährliche Technologien vorantreiben will statt ihre Führungsrolle beim Ausbau der Erneuerbaren fortzusetzen. Das einzige, was Brasilien in Bonn betrieben hat, war Finanzzusagen für Groß-Staudämme zu bekommen.

Wie konnte es dazu kommen?
Viele Menschen wundern sich nun, was mit Brasilien geschehen ist. Wie konnte eine derartige Veränderung seit Johannesburg passieren? Dafür gibt es keine einfache Antwort, obwohl seitdem mit der Wahl von Präsident Lula eine erhebliche Veränderung der Regierungspolitik und der Ministerialbürokratie eingetreten ist. In der Anfangszeit der neuen Regierung traf sich die neue Umweltministerin Maria Silva mit Professor José Goldemberg, dem Initiator der brasilianischen Initiative in Johannesburg. Sie brachten ihm eine klare Botschaft – Brasilien werde die brasiliansiche Führungsrolle bei erneuerbaren Energien weiter betreiben, als strategischen Teil jedes ernstzunehmenden Programms für nachhaltige Entwicklung. Diese Politik dauerte bis zur Annahme der Brasilia-Plattform im Oktober 2003. Danach ging die Umsetzung dieser Plattform an das Ministerium für Bergbau und Energie über . Für das Energieministerium drehte sich die energiepolitische Diskussion seit jeher vorwiegend um Fragen wie Kosten und Verfügbarkeit. Großwasserkraftwerke wurden als billigste Option betrachtet und die umweltpolitische Auswirkungen wurden eindeutig als zweitrangig angesehen. Zudem wurden erneuerbare Energien als modisches Spielzeug abgetan. Ohne große politische Unterstützung landeten sie so rasch in einer Nebenrolle. Es ging jetzt nur noch um zusätzliche Finanzmittel für neue Großwasserkraftwerke. Andere Energiequellen wie z.B. Wind wurden als Geschäftsidee der europäischen Industrie abgetan. Solche simplen und fehlgeleiteten Ansichten bestimmen inzwischen weitgehend die Energiepolitik der brasilianischen Bundesregierung; die Unterstützung des Umweltministeriums und der brasilianischen Gesellschaft für erneuerbare Energien wird ignoriert.

Erneuerbare Energien für nachhaltige Entwicklung
Energie ist ein Grundbedürfnis für menschliche Aktivitäten. Zugang zu sauberer, nachhaltiger Energie ist eine Grundvoraussetzung für Entwicklung und Armutsbekämpfung, für Gesundheit, Bildung und Gerechtigkeit. Daher werden wir nachhaltige Entwicklung  nur mit erneuerbaren Energien erreichen, nicht mit den hohen sozialen und ökologischen Kosten der schmutzigen Energiequellen.
Wir sind mit Hunger, Wassermangel, fehlendem Zugang zu Energie, verschmutzter Luft, Dürren und Überflutungen konfrontiert sowie mit katastrophaler Ungleichheit zwischen Länder als Resultat einer unfairen Globalisierung. Die Botschaft ist klar: wir haben keine Zeit zu verlieren, diese Trends zu stoppen und umzukehren.
Ich hoffe, dass Lateinamerika und die Karibik auch weiterhin dafür kämpfen werden, dass eine Energiewende hin zur Nachhaltigkeit in der Region stattfindet. Regierungen, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft haben hier eine einzigartige Gelegenheit, das Leben der Menschen zu verbessern und eine nachhaltige Zukunft zu erreichen. Diese Gelegenheit sollten wir nicht verpassen.