PT und PSOL erarbeiten zusammen mit NGOs und sozialen Bewegungen einen Gesetzesentwurf für ein brasilianisches Lieferkettengesetz

Parlamentarier:innen von PT und PSOL haben gemeinsam mit der Nichtregierungsorganisation Amigos da Terra Brasil und der Bewegung der von Staudämmen Betroffenen MAB und mit vorarbeitender Unterstützung des Centro de Direitos Humanos e Empresas der UFJF und der Friedrich-Ebert-Stiftung den Gesetzesvorschlag PL 572/2022 für ein brasilianisches Lieferkettengesetz zur Durchsetzung der Menschenrechte und zur Lieferkettenverantwortung von Unternehmen erarbeitet und in den Nationalkongress eingebracht.
| von Christian.russau@fdcl.org
PT und PSOL erarbeiten zusammen mit NGOs und sozialen Bewegungen einen Gesetzesentwurf für ein brasilianisches Lieferkettengesetz
Das ehemalige ThyssenKrupp-Stahlwerk TKCSA in Rio. Foto: christian russau

Debatten um Dringlichkeit von Lieferkettengesetzen setzen sich langsam durch
Frankreich ratifizierte 2017 das Gesetz „LOI n° 2017-399 du 27 mars 2017 relative au devoir de vigilance des sociétés mères et des entreprises donneuses d’ordre“ für eine Sorgfaltsprüfungspflicht für Mutterkonzerne und auftraggebende Unternehmen, das für alle Unternehmen mit mindestens 5.000 Angestellten (inkl. Tochterfirmen im Ausland), die ihren Hauptsitz in Frankreich haben oder für alle Unternehmen mit mindestens 10.000 Angestellten (inkl. Tochterfirmen im Ausland) gilt, die ihren Hauptsitz in Frankreich oder im Ausland haben. Deutschland verabschiedete 2021 das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“, das ab dem 1. Januar 2023 in Kraft tritt und das zunächst Unternehmen ab 3.000, von 2024 an dann Unternehmen ab 1.000 Mitarbeiter:innen erfasst. Zu dem in Deutschland verabschiedeten Lieferkettengesetz ist sich der Großteil der bundesdeutschen Zivilgesellschaft in der Bewertung weitgehend einig: es ist noch nicht weitreichend genug, aber das Gesetz ist ein Anfang, auf dem aufgebaut werden kann, um in der Weiterentwicklung zu einem robusteren Gesetz und einer verschärften Weiterentwicklung von dessen Normen zu kommen. Auch auf EU-Ebene wird die Erarbeitung eines europäischen Lieferkettengesetzes diskutiert. Und auch im UN-System wird spätestens seit 2014 im UN-Menschenrechtsrat die Debatte um den sog. Binding Treaty geführt, um dergestalt endlich zu einem einem verbindlichen UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten zu kommen.

In den Debatten um die Erarbeitung und Verabschiedung des bundesdeutschen Lieferkettengesetzes führten deutsche Nichtregierungsorganisationen auch Fälle von Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette in Brasilien zur Begründung an, warum die Verabschiedung eines deutschen Lieferkettengesetzes dringend geboten sei: exemplarisches Beispiel ist der Dammbruch des Rückhaltebeckens der Eisenerzmine Córrego do Feijão von Brumadinho, bei der 270 Menschen starben und der deutschen Firma TÜV SÜD derzeit vor Gericht in Brasilien und Deutschland vorgeworfen wird, wider besseren Wissens die Sicherheit des Damms attestiert zu haben. In den Debatten der Zivilgesellschaft ging es immer wieder um Fälle aus Brasilien – Pestizidvergiftungen, Landkonflikte, Umweltzerstörung – , was die Dringlichkeit eines bundesdeutschen Lieferkettengesetzes zur Durchsetzung von Achtung, Respekt und Gewährleistung der Menschenrechte entlang der gesamten Lieferkette deutscher Konzerne vor Augen führen sollte.

Entwurf für ein Lieferkettengesetz zur Durchsetzung des Schutzes von Menschenrechten in Brasilien

Nun legt auch Brasilien selbst ein Gesetz vor, allerdings nicht durch die von Bolsonaro geprägte Regierungsmehrheit, sondern aus Reihen der Opposition. Vier Abgeordnete der brasilianischen Abgeordnetenkammer – Áurea Carolina von der PSOL aus Minas Gerais, Fernanda Melchionna ebenfalls von der PSOL, aus Rio Grande do Sul, sowie Helder Salomão von der PT aus Espírito Santo und Carlos Veras ebenfalls von der PT, aus dem Bundesstaat Pernambuco – haben am 14. März, dem internationalen Tag des Widerstands gegen Staudämme, eine neue Gesetzesinitiative vorgestellt und zwar das Gesetz PL 572/2022, das den gesetzlichen Rahmen über Menschenrechte und Unternehmen schaffen soll („cria a lei marco nacional sobre Direitos Humanos e Empresas e estabelece diretrizes para a promoção de políticas públicas no tema“), wie es im Gesetzesentwurf heißt. Mitgewirkt an diesem ersten Gesetzesentwurf für ein umfassendes brasilianisches Lieferkettengesetz haben unter anderem die Nichtregierungsorganisation Amigos da Terra Brasil und die Bewegung der von Staudämmen Betroffenen MAB. Das Centro de Direitos Humanos e Empresas der UFJF, Homa, hat gemeinsam mit der Friedrich Ebert Stiftung Brasilien ein technisches Papier erstellt, in dem die Gründe für die Ausarbeitung dieser nun von den Parlamentarier:innen vorgelegten Gesetzesinitiative dargelegt wurden.

Warum ein Lieferkettengesetz in Brasilien?
In der Begründung für die Dringlichkeit der Verabschiedung eines solchen Lieferkettengesetzes für Brasilien schreiben die Verfasser:innen des Gesetzesentwurfes: „In Brasilien gibt es unzählige Fälle von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen. Unter diesen können wir hervorheben: der Staubregen, der auf die Anwohner:innen im Umfeld des Stahlwerkkomplexes an der Bucht von Sepetiba in Rio de janeiro niederfällt; die Zwangsräumung der Bewohner:innen verschiedener Stadtteile von Maceió in Alagoas für die Steinsalzgewinnung in der Gegend; die Brüche der Dämme der Rückhaltebecken des Bergbaus von Mariana und Brumadinho in Minas Gerais sowie von Barcarena in Pará; die Erdölverschmutzung an der Küste von Nordostbrasilien; der Fall der Bewohner:innen von Santa Cruz in Rio de Janeiro, die unter der Verschmutzung durch das Stahlwerk leiden. Diese Fälle haben eines gemeinsam: sie offenbare die enorme Schwierigkeit, die Rechenschaftspflicht von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen trotz der bestehenden nationalen Rechtsvorschriften zum Schutz der Umwelt und der Menschenrechte durchzusetzen.“
Es sei häufig der brasilianische Staat, der die Folgen des Unternehmenshandelns, welches Menschenrechte verletzt, wie soziale Sicherheit, Sozialhilfe und Gesundheit zu tragen haben, – sofern dieser überhaupt in der Lage oder willens sei, dies zu tun. Vielmehr sei es eher so, so konstatieren die Verfasser:innen des Gesetzestextes, dass „der Staat auf seine Rolle bei der Durchsetzung von Menschenrechten verzichtet“, dass der Staat letztlich so „in Komplizenschaft mit Menschenrechtsverletzungen handelt“. Viele dieser Verstöße führten dazu, dass Brasilien ständig im internationalen System zum Schutz der Menschenrechte wegen Unterlassung der Gewährleistung der Menschenrechte angeprangert werde. Die Autor:innen des Gesetzesentwurfs PL 572/2022 sehen im brasilianischen Normensystem „Regulierungslücken“ („lacunas normativas“), die es durch den vorliegenden Gesetzesentwurf zu schließen gelte. „Was den normativen Rahmen anbelangt, so gibt es zwar Rechtsvorschriften über Rechtsvorschriften über Umweltschutz, Arbeit und andere Grundrechte, dennoch gibt es erhebliche Lücken in der Regelung der im brasilianischen Hoheitsgebiet allfälligen Wiedergutmachung für die Opfer, wie die oben genannten Fälle zeigen. Ein Großteil der mangelnden Rechenschaftspflicht ist auf das Fehlen eines einheitlichen Rechtsrahmens zurückzuführen, der diese Lücken zu schließen imstande wäre und die Anwendung des Rechts durch die Justiz erleichtern würde“, so die Verfasser:innen.

Was sieht der Gesetzesentwurf vor?
Der von den vier Abgeordneten überparteilich eingebrachte Gesetzesentwurf PL 572/2022 sieht vor, dass der Staat und die Unternehmen die gemeinsame Verpflichtung haben, die Menschenrechte zu achten und nicht zu verletzen; keine Handlungen der Zusammenarbeit, Komplizenschaft, Anstiftung, Veranlassung und wirtschaftliche, finanzielle oder dienstliche Verschleierung mit anderen Körperschaften, Institutionen oder Personen zu begehen, die die Menschenrechte verletzen. Die Verpflichtungen gelten für die Organe und Einrichtungen des Staates, einschließlich der Justiz, sowie für Unternehmen und Finanzinstitute, die auf dem nationalen Hoheitsgebiet tätig sind und/oder eine grenzüberschreitende Tätigkeit ausüben. Unternehmen, die auf brasilianischem Gebiet ansässig oder wirtschaftlich tätig sind, sind für Verstöße verantwortlich, die direkt oder indirekt durch ihre Aktivitäten und ihre gesamte Produktionskette verursacht werden. Dies würde also alle Tätigkeiten umfassen, die entweder von brasilianischen Firmen im In- oder Ausland oder von ausländischen Firmen in Brasilien ausgeübt werden, so sie die noch zu bestimmende Größe als Unternehmen wie im Gesetzesrahmen dann definiert erreichen (Kleinst- und kleine Unternehmen sollen hiervon dem bisherigen Gesetzesentwurf zufolge ausgenommen werden). Dem Gesetzesvorschlag zufolge müssen Unternehmen und staatliche Einrichtungen im Falle von Verstößen auf eine umfassende Wiedergutmachung der Verstöße hinwirken, Gewährleistung des uneingeschränkten Zugangs zu allen Dokumenten und Informationen, die für die Verteidigung der Rechte der Betroffenen von Nutzen sein können, garantieren. Sie müssen zudem gewährleisten, dass der Wiedergutmachungsprozess nicht zu neuen Verstößen führt und garantieren, dass die Zusammenarbeit bei der Förderung von Maßnahmen zur Vorbeugung, Entschädigung und Wiedergutmachung von Schäden, die den betroffenen Menschen entstanden sind, gewährleistet wird.
Dem Gesetzesvorschlag zufolge ist es Aufgabe der Bundesebene, der Bundesstaaten, des Bundesdistrikts und der Gemeinden, die Einführung von Mechanismen zur vollständigen Entschädigung der von Verstößen betroffenen Personen zu fordern und öffentliche Maßnahmen, Regeln und Vorschriften zu formulieren, um das Gesetz einzuhalten. Zu den Maßnahmen gehört die Schaffung geeigneter außergerichtlicher Beschwerdemechanismen für die Aufnahme und administrative Bearbeitung von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen. Alle Ressourcen, die sich aus der Durchführung dieser Maßnahmen ergeben, sollten durch separate Haushaltsmittel abgedeckt werden, so der Gesetzesentwurf.

Berichtswesen und Sanktionierungen
Das Gesetzesprojekt sieht vor, dass Unternehmen – mit Ausnahme von Kleinst- und Kleinunternehmen – regelmäßig einen halbjährlichen Menschenrechtsbericht erstellen müssen, der unter anderem eine Zusammenfassung der laufenden und der vom Unternehmen im folgenden Halbjahr durchzuführenden Maßnahmen mit einer qualitativen und quantitativen Analyse des Risikos von Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Tätigkeit und einem Hinweis auf Präventivmaßnahmen enthält; des Weiteren eine Zusammenfassung der begangenen Verstöße und einen Plan zur Behebung und Entschädigung der entstandenen Schäden in Zusammenarbeit mit den betroffenen Gemeinschaften. Diese regelmäßigen halbjährlichen Menschenrechtsberichte müssen der Staatsanwaltschaft, dem Büro der Pflichtverteidiger:in und dem Nationalen Menschenrechtsrat übermittelt werden. Das Versäumnis, den Bericht zu erstellen, kann ein präventives Verbot der Aktivitäten durch die zuständige Behörde sowie die Haftung der Verantwortlichen begründen. Im Falle einer Wiedergutmachungsverpflichtung muss das verletzende Unternehmen einen Fonds einrichten, um die Grundbedürfnisse der betroffenen Personen, Gruppen und Gemeinschaften zu decken, bis der Prozess der vollständigen Wiedergutmachung des verursachten Schadens abgeschlossen ist.

Dem Gesetzesentwurf zufolge werden folgende Sanktionsmechanismen angewandt, um Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen: Verbot oder Aussetzung von Aktivitäten, bis die entsprechenden Wiedergutmachungs- und Präventivmaßnahmen ergriffen sind; Verlust von Vermögenswerten, Rechten und Werten, die aus den begangenen Verstößen gewonnen wurden; Verbot von Verträgen, Aufträgen oder Steuervergünstigungen seitens der öffentlichen Hand zu erhalten; letztlich die Zahlung einer [in der Höhe zu definierenden] Geldstrafe. Bei nachgewiesener Absichtlichkeit des Vergehens kann die Übertragung von Anteilen, beweglichem und festem Vermögen und der Unternehmenskontrolle auf die Arbeitnehmer oder die Zwangsauflösung des Unternehmens angeordnet werden, sprich Enteignung wäre möglich.

Das Gesetzesprojekt sieht auch eine Reihe von Rechten für Personen, Gruppen und Gemeinschaften vor, die von Menschenrechtsverletzungen oder potenziellen Menschenrechtsverletzungen betroffen sind, wie z. B. die Anerkennung des strukturellen Ausgeliefertseins und schwächeren Position der Betroffenen gegenüber den Unternehmen, wobei die Umkehr der Beweislast in den Fällen angewandt wird. Der Entwurf sieht zudem vor, die Gewährleistung ausgewogener Verhandlungen mit dem Unternehmen, mit technischer Unterstützung für Gruppen in gefährdeten Situationen und, wann immer möglich, mit Unterstützung der Staatsanwaltschaft des Bundesdistrikts, der Staaten und der Bundeseben durchzuführen; zudem ist vorgesehen, dass es eine Gewährleistung einer externen Kontrolle der Unternehmenstätigkeit durch die Kontrolle der Gewerkschaften und anderer Klassenverbände, der Staatsanwaltschaft und der Staatsanwaltschaft gibt.

Wie weiter?
Der Gesetzesentwurf PL 572/2022 liegt nun im brasilianischen Nationalkongress zur Debatte in den entsprechenden Kommissionen vor. Die gegenwärtige Zusammensetzung des brasilianischen Nationalkongresses und die darin sich manifestierenden Machtverhältnisse zugunsten einer stark konservativen Mehrheit lassen die Aussichten auf Verabschiedung in absehbarer Zeit fraglich erscheinen. Dabei gehen die Verfasser:innen der PL 572/2022 durchaus realistisch vor: „Wir stellen dieses Projekt vor, um eine Diskussion über die Notwendigkeit der Entwicklung eines präzisen Rechtsrahmens und einer wirksamen öffentlichen Politik in Bezug auf Achtung, Schutz und Förderung der Menschenrechte im Rahmen der Unternehmenstätigkeiten anzustoßen. [… Wir sehen dieses Gesetzesvorhaben] als einen Schritt in der Fortsetzung einer kollektiven Konstruktion, die nicht jetzt beginnt und nicht hier enden wird“, so die Verfasser:innen der PL 572/2022 am Ende des Gesetzestextsentwurfs.

 

// Christian Russau

Dieser Text erschien zuerst beim FDCL.