Inwertsetzung Amazoniens um jeden Preis

In den letzten Monaten gab es eine Reihe von Regierungsmaßnahmen, die alle darauf abzielten, die Inwertsetzung insbesondere Amazoniens massiv voran zu treiben. Hierzu zählen die Diskussion um ein verändertes Waldgesetz, das stärkere Entwaldungen zuläßt, wie auch die voranschreitenden Initiativen, die Umweltgesetzgebung aufzuweichen, um die Lizenzvergaben für Staudammprojekte und Straßenbauten massiv zu beschleunigen.
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Inzwischen schlagen selbst Journalisten in den führenden brasilianischen Medien O Globo, Valor Econômico und Folha de São Paulo einen besorgten Ton in Bezug auf die jüngsten Maßnahmen der brasilianischen Regierung an.

Mitte April verabschiedete die Regierung eine Maßnahme von Dezember 2008. Diese entbindet Straßen, deren Bau Bestandteil des Wachstumsplans PAC ist, und die bereits als ungepflasterte Wege bestehen, von der Notwendigkeit jeglicher Umweltstudie vor Beginn der Asphaltierung. Dies soll den Straßenbau in Amazonien deutlich beschleunigen. Damit wird eine weitere Front für die illegale Aneignung von Ländereien und die Entwaldung geschaffen. Denn gerade die Asphaltierung von Straßen führt zu einem massiven Anstieg der gefürchteten destruktiven Wirkungen in Form von Zuzug und Entwaldung. Offensichtlich will die brasilianische Regierung die Vorhaben ihres Wachstumsplanes mit Vehemenz durchsetzen. Mehr als 30 Organisationen aus dem sozialen und ökologischen Bereich äußerten sich in einem offenen Brief gegen die Umsetzung dieser Maßnahme und bezeichneten sie als inakzeptabel. Unter den Unterzeichnern befinden sich bspw. Amigos da Terra (Freunde der Erde), das Fórum Brasileiro de ONGs e Movimentos Sociais para o Meio Ambiente e o Desenvolvimento – FBOMS (Brasilianisches Forum von NGOs und Sozialen Bewegungen im Umwelt- und Entwicklungsbereich), das Fórum Carajás, der Grupo de Trabalho Amazônicao GTA (Amazonische Arbeitsgruppe), Greenpeace, das Instituto de Estudos Socioeconomicos INESC (Institut für Sozioökonomische Studien), das Instituto de Pesquisa Ambiental da Amazônia IPAM (Ökologisches Forschungsinstitut von Amazonien), das Instituto do Homem e do Meio Ambiente da Amazônia IMAZON (Umwelt- und Mensch-Institut von Amazonien), das Instituto Socioambiental ISA (Sozioökologisches Institut), die Rede Alerta Contra o Deserto Verde RJ (Netzwerk gegen die grüne Wüste Rio de Janeiro), SOS Mata Atlântica (SOS Atlantischer Regenwald) und WWF Brasilien.

Die berüchtigte „MP 458“ bestätigt Landräuber und Fälscher

Auch die jüngste Regierungsmaßnahme MP 458 (Medida Provisória 458 – Provisorische Maßnahme 458) weist in diese Richtung. In den vergangenen Monaten wurde die Maßnahme im Nationalkongress und in der Abgeordnetenkammer diskutiert und Anfang Juni verabschiedet. Eine neue Behörde soll in Amazonien bewirtschaftetes Land eintragen; kleinere Besitzungen als Schenkung, größere zu Vorzugspreisen und mit langem Zahlungsziel. Nach offizieller Lesart soll die Maßnahme die Landrechtssituation in Amazonien klären, und auf diese Weise zukünftige Landkonflikte und Entwaldungen verhindern. Doch letztlich wird mit ihr die Überschreibung von illegal angeeignetem öffentlichen Land in Amazonien im großen Stile legitimisiert. Unter dem großen Druck der Sozialen Bewegungen gestand Lula Mitte Juni ein mögliches Veto gegen das Gesetz zu.

Die gesamte Bandbreite der öko-sozialen Bewegungen in Brasilien - die im Nationalen Agrarreformforum zusammen geschlossenen Organisationen wie auch die Landarbeitergewerkschaften und der Zusammenschluss der Umweltorganisationen, FBOMS - spricht sich gegen die Maßnahme aus und fordert deren Rücknahme. Eine Initiative von acht Organisationen, die in Amazonien arbeiten, darunter die GTA, das IMAZON, ISA und INESC (Instituto de Estudos Socioeconômicos – Institut für Sozioökonomische Studien), hatte Ende November Prinzipien formuliert, die eine sorgfältige Regularisierung des Landbesitzes in Amazonien ermöglichen könnten. Doch kaum eines davon findet sich in dem Dekret wieder.
Die Organisationen fürchten, dass die Umsetzung der Maßnahme in ihrer jetzigen Form sogar eine Zunahme der Landkonflikte und Entwaldungen zur Folge haben wird. Die sozialökonomische Organisation INESC weist darauf hin, dass eine umfassende Regularisierung des Landbesitzes in Zusammenarbeit mit den örtlichen Verwaltungseinheiten geschehen müßte, um Verwerfungen zu vermeiden. Diese aber werden in der Regierungsmaßnahme überhaupt nicht berücksichtigt. Das FBOMS spricht von der Maßnahme 458 als einer „Plattform der Großgrundbesitzer“. Auch die Ex-Umweltministerin Marina Silva äußerte heftige Kritik an der Regelung. Diese besiegele das „Festival der grilagem“ (unrechtmäßige Landaneignung) und öffne Tür und Tor für weitere Landkonzentrationen in der Region. Selbst der Núcleo Setorial Agrário Nacional der Arbeiterpartei PT wendet sich gegen die MP 458.

Die Regelungen der Maßnahme erlitten beim Durchlaufen der parlamentarischen Instanzen entscheidende Veränderungen, die sich deutlich zugunsten von Großgrundbesitzern und grileiros (Fälschern von Landtiteln) auswirken. So dürfen nicht mehr wie ursprünglich nur Privatpersonen, die das Land bewirtschaften, dieses als ihren Besitz eintragen lassen, sondern ebenso auch Unternehmen und Agrarbetriebe sowie deren Repräsentanten. Die Landkonflikte in Amazonien sind aber gerade dadurch verursacht, dass Agrarbetriebe immer weiter vordringen, sich Land zu Unrecht aneignen, und dabei auch nicht davor zurückschrecken, darauf wirtschaftende Menschen zu vertreiben. Latifundien durften über einen Umweg schon in der Ursprungsversion der Regierungsmaßnahme anerkannt werden, was von den sozialen Bewegungen bereits im Februar stark kritisiert wurde. Die in der MP genannte Obergrenze von 15 Fiskalmodulen (Grundbesitz über 15 Fiskalmodulen gilt als Großgrundbesitz. Das Fiskalmodul wird von den Kommunen festgelegt und variiert je nach Bodennutzung, klimatischen Bedingungen und potenziellem Einkommen des Landes.)  kann durch Statthalter ohnehin ohne weiteres umgangen werden, so dass eine einzige Person oder ein einziges Unternehmen sich letztlich so viel Land eintragen lassen kann, wie sie/es bezahlen kann und Statthalter aufbringt.

Auch wurde die Regelung ausgehebelt, dass die Begünstigten über keine weiteren Landtitel in Brasilien verfügen dürften. Für die Unzahl kleiner posseiros (Menschen, die Land bereits über einen längeren Zeitraum für ihren Eigenbedarf bewirtschaften) wäre eine solche Regelung nicht notwendig gewesen, denn sie verfügen in der Regel nicht über Ländereien in anderen Gegenden Brasiliens. Nicht einmal eine Regierungsmaßnahme an sich wäre nötig gewesen, um die posseiros abzusichern – denn Nutzungsrechte an Land, das man für seinen Eigenbedarf bewirtschaftet, sind in Brasilien von der Verfassung garantiert. Es hätte also lediglich gegolten, diese verfassungsmäßigen Rechte auch umzusetzen.

67 Mio ha öffentliches Land, das der Landreformbehörde INCRA zurechnen war und unrechtmäßig angeeignet wurde, wird nun an diejenigen gehen, die es sich unter den Nagel gerissen haben. Diese Gebiete stehen damit nicht mehr für Agrarreformzwecke zur Verfügung. Dies und die Veränderungen der Regelungen zeigen klar, dass es hier nicht darum geht, die Landrechtssituation kleiner posseiros abzusichern, sondern darum, denjenigen Land zu übertragen, die in Amazonien über größere Ländereien gewerblich verfügen – ungeachtet der Frage, wie sie sich dieses Staatsland angeeignet haben. Letztendlich werden unrechtmäßig angeeignete Ländereien auf diese Weise im Nachhinein unbesehen legalisiert. Die Rechtssituation der posseiros hingegen hat sich damit deutlich verschlechtert: Auf Nutzungsrechte an Land, von dem sie vertrieben wurden, dürfen die Betroffenen nach der „Regularisierung“ wohl kaum noch hoffen. Das INESC vermutet den Wachstumsplan PAC als treibende Kraft hinter der Regierungsmaßnahme: Ohne eine geregelte landrechtliche Situation sei es umso schwieriger, Investoren bspw. für Straßenbau zu finden. Und damit schließt sich der Kreis: Mit der eingangs erwähnten Maßnahme zur Beschleunigung des Straßenbaus in Amazonien wurde ja gerade eine neue Runde illegaler Landaneignung eingeläutet. Hoffnung besteht also eher für zukünftige Landfälscher, die darauf spekulieren können, dass auch ihre Fälschungen nachträglich wieder anerkannt werden.