Weltwassertag: Brasiliens Wasserkrise: Sparen, Verbrauch – und was haben wir damit zu tun?

Der Weltwassertag findet seit 1993 jedes Jahr am 22. März statt. Angesichts der gegenwärtigen Wasserkrise in Brasiliens Südosten wirft KoBra einen kurzen Blick hinter die Kulissen.
| von Christian Russau

STARKE REGENFÄLLE IM FEBRUAR: DIE LÖSUNG DER KRISE?
Während in der Regenzeit in den Monaten Januar und Februar im Trockenzirkel von São Paulo, Rio de Janeiro und Belo Horizonte im brasilianischen Südosten jeder Regenguss erleichtert zur Kenntnis genommen wurde, offenbarte sich gleichzeitig das ganze Drama der Wasserkrise. Denn, der historische Regendurchschnitt für den Monat Februar liegt in der Großregion von São Paulo bei 199,1 mm/m2. In diesem Februar regnete es 322,4 mm/m2, was einen Anstieg von 62% gegenüber dem historischen Mittel für den Monat Februar entsprach. Es war damit der regenreichste Februar seit 20 Jahren. Krise gelöst?
Nein. Denn das 6,2 Millionen Menschen in der Region von São Paulo mit Wasser versorgende System des Wasserreservoirs Cantareira erhielt nicht im gleichen Maße, wie der Regen je m2 im Februar anstieg, auch die gleichen Zuflüsse an Wasser zugespeist. Das hängt mit den bereits ausgetrockneten Böden zusammen: Zum einen nehmen die in den vergangenen Monaten ausgetrockneten Böden erst das Wasser wieder auf, zum anderen bildet der trockengekarstete Boden des Wasserreservoirs Cantareira selbst keinen natürlichen Rückhalt gegen die Wasserdiffusion in den Boden mehr. Zum dritten entweicht bei Starkregenvorfällen ein Großteil des Wassers über die Flüsse direkt ins Meer.

AUS! AUS! DAS WASSER IST AUS! - FÜR ALLE?
Gebetsmühlenhaft fordern Politik und Wasserwirtschaft die Bürger*innen auf, Wasser zu sparen. Nur so sei die Wasserkrise in einer Millionenmetropole wie São Paulo zu meistern. Doch stimmt das?
Während von Bürger*innen gefordert wird, weniger Wasser in den Privathaushalten zu verbrauchen, zum Duschen zu ihren Familienangehörigen in anderen Gegenden des Bundesstaat zu fahren, Strafzahlungen an Privathaushalte bei erhöhtem Wasserverbrauch verhängt oder ganze Straßenzüge aus unerklärten Gründen tagelang komplett vom Wasser abgeschnitten werden oder aber von der Politik die Bürger*innen an die seit Jahren in der Stadt bekannte Kampagne „xixi no banho“ („Pipi unter der Dusche“, um so das Wasser der Toilettenspülung zu reduzieren) erinnert werden, wird dergleichen von den Großkunden, den Firmen nicht gefordert. Gab es 2005 noch acht Großkunden, die zusammengerechnet fünf Milliarden Liter je Jahr zu deutlich vergünstigten Konditionen von den Wasserwerken von São Paulo, Sabesp, abnahmen, so stieg diese Zahl bis 2014  auf 526 Firmen, die zusammen 25 Milliarden Liter Wasser verbrauchten. Eine Vervielfachung beim Wasserverbrauch um das 92-fache.

ANGESICHTS DER WASSERKRISE: WER IST DER GRÖSSTE WASSERVERBRAUCHER IM LAND?
Laut aktuellen Zahlen von Brasiliens nationaler Wasserbehörde Agência Nacional de Águas (ANA) verbrauchen Brasiliens Privathaushalte in den Städten 9%. Privathaushalte auf dem Land verbrauchen nur 1% des landesweit genutzten Wassers. Die Industrie verbraucht 7%. Auf die Viehwirtschaft entfallen 11%. Und 72% des landesweit in Brasilien verbrauchten Wassers entfallen auf die Bewässerung der Landwirtschaft.

WASSERVERBRAUCH BEI LANDWIRTSCHAFTLICHEN UND ANDEREN PRODUKTEN
Landwirtschaft verbraucht Wasser. Diese Binsenweisheit bedarf dennoch eines genaueren Blicks. Angesichts der gegenwärtigen Wasserkrise in Brasiliens Südostens lohnt ein Blick auf den Komplex des „virtuellen Wassers“.
"Virtuelles Wasser" bezeichnet das Wasser, das zur Erzeugung bis hin zum Verbrauch eines Produkts aufgewendet wurde. So fliesst beispielsweise in die Berechnung, wie viel virtuelles Wasser enthält die Kaffeetasse am Morgen, von der Aussaat, Wachsen, Be- und Verarbeiten, Ernten, Weiterverarbeiten, Trocknen, Rösten, Mahlen, Verpackung, Transport, Verkauf, Kochen bis hin zum Trinken (und Abwaschen der Tasse) alles in die Berechnung mit ein.
Und hier zeigt sich, dass ein Blick in die Statistiken beispielsweise europäischer Städte und Kommunen über den Wasserverbrauch in der Region, unseren Konsum außer acht läßt. Wieviel virtuelles Wasser verbrauchen wir täglich durch die von uns genutzten/verbrauchten Produkte und Dienstleistungen?
Beispielsweise erfordert 1 kg Röstkaffee 21.000 L Wasser , 1 PKW ca. 300.000 L  Wasser, 1 Computer ca. 30.000 L Wasser.
Anhand von Brasiliens Exportprodukten wurde der durchschnittliche virtuelle Wasserexport einiger ausgewählter „typischer“ brasilianischer Exportprodukte errechnet:
Die Herstellung von 1 kg Zucker (aus brasilianischen Zuckerrohr) erfordert 1.500 L Wasser. Brasilien exportierte im Jahr 2014 23,9 Millionen Tonnen Zucker.
Die Herstellung von 1 kg Rindfleisch erfordert 17.100 L Wasser. Brasilien exportierte im Jahr 2014 6,3 Millionen Tonnen Rindfleisch.
Die Herstellung von 1 kg Soja erfordert 1.650 L Wasser. Brasilien exportierte im Jahr 2014 60,8 Millionen Tonnen Soja.
Die Herstellung von 1 kg Papier erfordert 324 L Wasser. Brasilien exportierte im Jahr 2014 12,8 Millionen Tonnen Papier.
Kaffee, Zucker, Rindfleisch, Soja, Papier, Orangensaft, auch Erz verbraucht viel Wasser zur Herstellung/Gewinnung. Und dies sind zufälligerweise auch die am meisten von Brasilien ins Ausland exportierten Waren und Güter. Und wer stellt diese her? Das Agrobusiness, bzw. Bergbaukonzerne im Falle des Eisenerzes. Hat die kleinbäuerliche Landwirtschaft Brasiliens daran einen Anteil? Kaum. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft Brasiliens produziert vor allem schwarze Bohnen, Tomaten, Salate, Maniok, Mais, Kartoffeln. Laut dem Agrozensus des Jahres 2006 bewirtschaftet die kleinbäuerliche Landwirtschaft Brasiliens zwar 40% aller landwirtschaftlichen Produkte auf nur 20% des agrarwirtschaftlich genutzten Landes, aber nur 19% der aus Brasilien exportierten landwirtschaftlichen Produkte entstammen der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Letztere produziert zum weitaus größten Teil für den Binnenmarkt und dabei vor allem für die lokalen und regionalen Märkte. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft produziert beispielsweise 87% des Maniok, 70% der schwarzen Bohnen, 46% des Mais. Zudem produziert die kleinbäuerliche Landwirtschaft Brasiliens zwar auch 38% des Kaffees, 34% des Reis und 21% des Weizens, doch nur zu einem geringen Teil eben für den Export.