Die Fischer hatte keiner auf der Rechnung

<strong>Der Konflikt um das Stahlwerk TKCSA von ThyssenKrupp in Rio de Janeiro.</strong><br /><br />Der Ärger um das Stahlwerk fing Anfang 2007 an. Damals hörten die Fischer der Bucht von Sepetiba zum ersten Mal von den Plänen, dass an ihrer Bucht das größte Stahlwerk Lateinamerikas gebaut werden solle. Daraufhin versuchten sie, mit Verantwortlichen der Firma Kontakt aufzunehmen, um Genaueres zu erfahren. Doch sie erhielten keinen Termin. Dann passierte irgendetwas in der Bucht, was die Fänge der Fischer um bis zu 80 Prozent zurückgehen ließ. Die Fischer sind sich sicher, dass bei den Ausbaggerungsarbeiten für den Hafen die Sedimente unsachgemäß aufgewirbelt wurden, so dass die an den Feststoffen sich anreichernden Schwermetalle Zink, Kadmium und Arsen wieder freigesetzt wurden. Diese hochtoxischen Stoffe entstammen der bereits in den 80er Jahren pleite gegangenen Zinkfabrik Ingá Mercantil, auf deren brach liegendem Grundstück in den neunziger Jahren ein Damm gebrochen war: Unzählige Tonnen an Schwermetallen ergossen sich damals in die Bucht. Fischfang war jahrelang nicht möglich.<br /><br />
| von Christian Russau


Doch durch den Ablagerungsprozess war die Wasserqualität in der Bucht im Lauf der Jahre wieder besser geworden, berichten die Fischer. Doch dann kam ThyssenKrupp. Die deutsche Firma kannte sehr wohl die örtlichen Begebenheiten. Beim Erwerb des Geländes war die Verseuchung der Sedimente in der Bucht kein Geheimnis. ThyssenKrupp und die Regierung von Rio vereinbarten die Modalitäten, unterschrieben schön klingende Umweltschutzvereinbarungen – und die Verträge über Steuerleichterungen für die Firma. Und ab 2007 kamen die Ausbaggerungsschiffe, die für ThyssenKrupp den Hafenzugang tiefer ausbaggern sollten – und auf einmal blieben die Netze der Fische von Tag zu Tag leerer. Die Fischer mutmaßen, dass die toxischen Sedimente wieder aufgewirbelt wurden – und dass dadurch die Fischbestände so dramatisch gesunken sind.

Hinzu kommt, dass ihre Bucht seitdem mehr und schneller versandet: die Strömungen haben sich geändert, und die Fischer müssen durch den Schlick zu ihren Booten staken. „Das habe ich ein paar Mal gemacht“, berichtete der Fischer Pedro. „Danach hatte ich sofort schlimmsten Ausschlag an den Beinen. Das dort ist alles komplett verseucht!“ Hinzu kommt: „ThyssenKrupp hat genau an der Stelle die Hafeneinfahrt ausbaggern lassen, die wir Fischer seit Generationen schützen,
weil dort die bevorzugten Laichgründe der Bucht sind“, erklärte Pedro. So fangen die Fischer bis heute nur bis zu einem Fünftel ihrer vorigen Beträge – dies geht aus den Statistiken des Fischereiverbandes FAPESCA des Bundesstaates Rio de Janeiro hervor.

Der Protest der Fischer ging weiter. Mit 42 Fischerbooten haben sie im Jahr 2008 ein Industrieschiff umzingelt, das mit Aushebungsarbeiten für den Hafenzugang beschäftigt war, und so die Bauarbeiten für mehrere Stunden unterbrochen. Erst dann erklärte sich ein Verantwortlicher des Kruppstahlwerks zu Gesprächen bereit. „Am Nachmittag um vier kam dann jemand Hohes von der Firma – er wurde mit einem Hubschrauber zu uns geflogen“, berichtete der Fischer Luis Carlos. Danach kam es zu einem Treffen mit Vertretern der Firma. „Aber was sie uns zeigten, war ein Video über das tolle, neue Stahlwerk – und wie schön alles werden würde“, so der Fischer.

Luis Carlos ist seit 50 Jahren Fischer. Den Beruf hat er im neunten Lebensjahr von seinem Großvater gelernt, der auch Fischer an der Bucht von Sepetiba war. Luis Carlos ist wegen früher Kinderlähmung Rollstuhlfahrer – und er ist Fischer aus Leidenschaft. Doch Fischen kann er nicht mehr. Sein Boot liegt verlassen, ebenso ist sein Haus verwaist. Denn am 6. Februar 2009 um 11 Uhr vormittags erhielt er die letzte Warnung: Er befand sich gerade mit anderen Fischern auf der Straße, als ein Auto neben ihnen anhielt. Die getönten Scheiben des Wagens wurden heruntergelassen – und die Insassen des Autos zeigten dem am Straßenrand haltenden Fischer demonstrativ eine Waffe. In den Gegenden in Rio de Janeiro, in denen die Milizenmafias herrschen – und Sepetiba gehört zu diesen Gebieten – ist dieses Zeichen unmissverständlich: „Du wirst sterben.“

„Um 16 Uhr am gleichen Nachmittag habe ich den Bundesstaat Rio de Janeiro verlassen“, erzählte Luis Carlos. Seither musste er in vier verschiedenen Bundesstaaten leben, ohne jeden Kontakt zu seiner Familie. Seit gut zwei Jahren wird Luis Carlos von der brasilianischen Bundespolizei geschützt – sein Aufenthaltsort ist nur den wenigen Mitarbeitern des Bundesprogramms zum Schutz für Menschenrechtsverteidiger bekannt. Die Aufnahme in das Menschenrechtsschutzprogramm der brasilianischen Bundesregierung wurde Luis Carlos in einem Dokument bescheinigt. In dem heißt es, dass er „Morddrohungen von Polizisten (Zivil- und Militärpolizisten) und von Milizionären“ erhalten hat. In Bezug auf die Milizionäre fährt das Dokument wörtlich fort: „Milizionäre, die mutmaßlich angestellt sind für den Werkschutz der Gruppe ThyssenKrupp, die gemeinsam mit Vale do Rio Doce verantwortlich ist für den Bau des Stahlwerks CSA“. Die brasilianische Bundesregierung geht demnach davon aus, dass der Werkschutz der TKCSA „mutmaßlich“ aus Milizionären besteht.

Mit dieser Aussage steht der Fischer nicht allein. Ein hochrangiger Gewerkschafter des brasilianischen Gewerkschaftsverbandes CUT hat schwere Vorwürfe gegen die Sicherheitskräfte des Stahlwerks TKCSA erhoben. Auf einer Anhörung der Menschenrechtskommission des Parlaments des Bundesstaates Rio de Janeiro sagte Jadir Baptista, Mitglied des Direktoriums der CUT im Bundesstaat Rio de Janeiro, dass er beim Versuch, im Rahmen seiner Gewerkschaftsarbeit die Mitarbeiterunterkünfte des Stahlwerks TKCSA aufzusuchen, von einem der dortigen Sicherheitskräfte unter Androhung von Schusswaffengebrauch daran gehindert wurde „Die haben uns dort rausgeworfen. Mit Revolver am Kopf“, sagte der CUT- Gewerkschafter gegenüber dem Gremium aus. Dies geht aus der Niederschrift des Wortprotokolls der Anhörung vom 14. Dezember 2010 hervor. Der Gewerkschafter Jadir berichtete weiter, dieses Vorgehen sei reines Banditentum: „Die werfen dort alle raus, mit der Waffe am Kopf.“ Das Problem der Mafiamilizen in der Westzone Rio de Janeiros ist bekannt. Amnesty International organisierte im Jahr 2009 eine Eilaktion für die von den Milizen bedrohten ParlamentarierInnen, und die Heinrich Böll Stiftung hatte schon im Jahre 2008, gemeinsam mit brasilianischen Partnerorganisationen, einen Hintergrundbericht zu den Milizen in Rio de Janeiro verfasst. Darin wird erklärt, wie die Angst vor den lokalen Milizen die Strafverfolgung gleichsam unterdrückt. Es ist das Gesetz des Schweigens, an das sich alle in der Region halten, wenn sie ihr Leben nicht in Gefahr bringen wollen. Der Fischer Luis Carlos hat die Gefahr gekannt. Er hat dennoch darüber öffentlich gesprochen. Seitdem lebt er versteckt.

Im Januar 2010 war Luis Carlos dann nach Deutschland gefahren. Auf Einladung des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre trug er auf der Jahreshauptversammlung von ThyssenKrupp den Protest der Fischer von Sepetiba vor – und griff den Vorstand von ThyssenKrupp scharf an: „ThyssenKrupp beutet das Erz aus, uns Fischern bleibt die Schlacke!“, rief er gegen Ende seiner bewegenden Rede den Aktionärinnen und Aktionären zu. Und die Reaktion der deutschen Firma? Weist alle Vorwürfe entschieden zurück. Keine Umweltschäden. Keine Milizen, die als Werkschutz operieren. Keine Entschädigungen. Kein Dialog.

Und dennoch war der Auftritt von Luis Carlos vor den Aktionärinnen und Aktionären von ThyssenKrupp ein gewichtiger Schritt nach vorn im Kampf der Fischer gegen den Industriegiganten aus Deutschland. Was in der Berichterstattung der deutschen Medien als Kampf „David gegen Goliath“-Züge trug, sprach sich infolgedessen schnell nach Brasilien durch – und bewog die dortigen Medien, endlich auch auf das Thema aufmerksam zu werden.

Nun, anderthalb Jahre später, hat sich das Medienbild des Stahlwerks TKCSA in Brasilien radikal geändert: da wird zur besten Sendezeit in den Abendnachrichten vor einem Millionenpublikum über die Staubbelastung für die Anwohner berichtet, lassen die Anwohner ihren Unmut über „die Firma aus Deutschland“ freien Lauf; da wettert die konservative Tageszeitung O Globo, wie denn die Stadt Rio de Janeiro „saubere Olympische Spiele“ gewährleisten könne, wenn da ein Werk im Stadtgebiet steht, dass die Kohlendioxidemissionen von ganz Rio de Janeiro um 76 Prozent in die Höhe schnellen lässt?; da erregt sich einer der bekanntesten Radiojournalisten Brasiliens: „Wenn sie nicht die bestmögliche Technik verwenden, dann schließt das Ding sofort!", um gleich im Anschluss zu fragen, wie es sein könne, dass ein Land wie Deutschland, das so viel für den Umweltschutz tue, seine Industrie exportiere, die dann andere Länder verseuche. „Was für eine Barbarei! Eine deutsche Firma!“, schimpfte der Journalist, bevor er verächtlich hinzufügte: „chucrute!“ – übersetzt: Sauerkraut.

Und mit dem angekratzten Medienimage war der Schritt nicht mehr weit, dass die ersten Politiker, die zuvor das Stahlwerk mit Pomp und Pathos eröffnet hatten, öffentlich vom Glauben abfielen und sich von ThyssenKrupp distanzierten. So kritisierte der Bürgermeister von Rio de Janeiro, Eduardo Paes, nach jahrelanger Unterstützung des umstrittenen Stahlwerkkomplexes im April 2011 erstmals öffentlich ThyssenKrupp. „Wenn ich damals, am Anfang des Entscheidungsprozesses,
beteiligt gewesen wäre, hätte ich das wahrscheinlich nicht unterstützt“, sagte der Konservative im April 2011. Der Bürgermeister der 6-Millionen-Metropole sagte, die Stadt habe durch das Stahlwerk nun mehr Probleme als zuvor, weswegen er grundsätzlich eine „Industrie ohne Schlote“ bevorzuge. Und der Umweltminister und dessen Ministerium vermitteln öffentlich mehr und mehr den Eindruck, die bisherigen eigenen Unzulänglichkeiten kaschieren zu wollen durch Druck auf ThyssenKrupp, die Umweltauflagen endlich zu erfüllen.

Und dieser Umschwung der öffentlichen Meinung in Rio über das Stahlwerk an der Bucht von Sepetiba offenbart sich auch am Verhalten der Staatsanwaltschaft von Rio de Janeiro. Diese hat im Zeitraum von Dezember 2010 bis Juni 2011 drei Anklagen gegen das Stahlwerk erhoben: Hatte die Staatsanwaltschaft sich bei ihrer ersten Klage auf die Umweltschäden des Hochofens 1 bezogen, wurde im April 2011 Klage wegen der Umweltverschmutzung durch den Hochofen 2 erhoben. Und Ende Juni 2011 erhob die Staatsanwaltschaft Klage gegen das in ihren Augen falsche Umweltgutachten einer Drittfirma, das Voraussetzung war für den Weiterbetrieb des Stahlwerks. ThyssenKrupp selbst wiederholt seit Monaten das Argument, der auf die Anwohner nieder regnende Staub sei „nicht gesundheitsgefährdend“, da es sich „nur um Graphit“ handele. Sollte die zuständige Strafkammer in Rio jedoch zu dem Schluss kommen, dass ThyssenKrupp wissentlich gegen Umweltvorschriften verstoßen hat, droht dem Werk die Schließung – und den projektverantwortlichen Managern bis zu 19 Jahren Haft.

Die Anwohner jedenfalls haben die Geduld verloren. „Entweder schließt das Umweltministerium die Anlage oder es muss wegen ungesetzlichen Handelns selbst geschlossen werden“, erbost sich Rodolfo Lobato, Anwohner des Stahlwerks. Hintergrund ist, dass das Umweltamt von Rio alle bisherigen Genehmigungen für das Stahlwerk erteilt hat – dies, obwohl Anklagen der Staatsanwaltschaft anhängig waren, und es Anwohner und Fischern in den letzten Monaten gelungen war, die Skandalschmelze in die großen Tageszeitungen und Abendnachrichten zu bringen. Dieser Erfolg scheint auch die Politiker unruhig zu machen. „Umweltminister Carlos Minc und Bürgermeister Eduardo Paes scheinen endlich in der Realität angekommen zu sein“, kommentierte der Fischer Isac Alves, dessen Fänge seit Beginn der Bauarbeiten des Stahlwerks um bis zu 80 Prozent zurückgegangen sind. Der Umweltminister von Rio, Carlos Minc, hatte Mitte Mai erstmals von „krassen Fehlern“ in Planung, Betrieb und Durchführung seitens ThyssenKrupp gesprochen. Minc verlangte, dass der Konzern binnen Monatsfrist mit dem Bau der Einhausungsanlagen für die Notgruben für den Stahl zu beginnen habe, um ein weiteres Austreten von Staub zu verhindern. TKCSA müsse brasilianische Gesetze erfüllen – oder es werde geschlossen. „Das Stahlwerk hat keine definitive Betriebsgenehmigung“, so Minc. „Falls unseren Auflagen nicht entsprochen wird, wird es den Betrieb einstellen“, bekäftigte Minc gegenüber der Zeitung Estado de São Paulo.

Hatten sich die Konzernverantworlichen in Essen stets selbstsicher gezeigt, bröckelt nun auch diese zur Schau gestellte Selbstgewissheit: Der neue Konzernchef von ThyssenKrupp, Heinrich Hiesinger, räumte Mitte Mai 2011 gegenüber der Financial Times Deutschland ein, dass bis zur Erteilung der endgültigen Betriebslizenz „noch ein bis eineinhalb Jahre vergehen“ könnten. Die seit Jahren gegen das Stahlwerk kämpfenden Umweltgruppen wissen, was diese Aussage bedeutet: „ThyssenKrupp und die Politiker hier in Rio spielen auf Zeit. In anderthalb Jahren sind hier die Wahlen, davor wird kein Politiker sich gerne
öffentlich für eine Drecksindustrie, die das Leben der Anwohner und Fischer ruiniert, aussprechen. Und dann Ende 2012, wenn die Wahlen gelaufen sind, dann erteilen sie flugs die Genehmigung“, erklärt Sandra Quintela vom Instituto PACS aus Rio de Janeiro das Taktieren von Politik und Konzern. „Aber das werden wir nicht zulassen“, bekräftigt Quintela selbstsicher.

Es scheint, dass für ThyssenKrupp die Luft in Rio dünner wird. Regelrecht zahm klingen die neues ten Verlautbarungen aus der Presseabteilung der Stahlschmelze in Santa Cruz. Entschuldigungen an die lokale Bevölkerung „für das Ungemach“, den die Staubbelastung nach sich ziehe, sowie Beteuerungen, dass ThyssenKrupp in Rio de Janeiro die weltweit modernste Technik anwende.

Die Anwohner glauben dem Konzern kein Wort mehr. Sie wollen die komplette Schließung der Anlage. „Unsere Sorge ist, dass die für den kommenden Monat angesetzte Entscheidung über die Erteilung der definitiven Betriebsgenehmigung ein soziales und ökologisches Verbrechen zur Folge haben wird, indem das Leben von 6.000 Familien in Gefahr gebracht wird“, so die Anwohner in einem Offenen Brief. Dies sehen die vom Stahlwerk betroffenen 8.000 Fischerfamilien ebenso. Was die Fischer wollen, ist, wieder in Ruhe arbeiten können und den Lebensunterhalt ihrer Familien sichern. Doch solange dieses Stahlwerk dort sei, ginge das nicht. So klagen sie zunächst auf Entschädigung. Die in sieben Zivilklagen zusammengeschlossenen 5.763 Fischer fordern laut Auskunft des im Januar aus dem Amt geschiedenen Vorstandsvorsitzenden der ThyssenKrupp AG, Ekkehard Schulz: „280 Millionen Euro“. Schulz selbst erklärte alle Beschwerden der Fischer für unerheblich. Die Klagen seien „unberechtigt, unbegründet und deswegen auch unerheblich für unsere Bilanz“. Der Konzern habe dafür keine Rückstellungen vorgenommen, so Schulz auf der Aktionärsversammlung in Bochum im Januar 2011.

Doch die Fischer und Anwohner geben nicht auf. „Wir haben nichts zu verlieren“, so der Fischer Isac. „Sie haben unsere Fischgründe zerstört, nun wollen sie unsere Gesundheit, die Zukunft unserer Kinder zerstören“. Als sie vor Jahren ihren Kampf gegen das Stahlwerk begannen, waren sie wenige, ausschließlich Fischer, da diese als erstes von dem Monsterprojekt betroffen waren. Doch dann kamen die Mitarbeiter des Instituts PACS dazu, unterstützten die Fischer in ihrem Kampf um sauberes Wasser und Luft. Über PACS kam auch der Kontakt nach Deutschland zustande – zum Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre in Köln. Und aus dieser Zusammenarbeit entwuchs die Einladung der brasilianischen Fischer und Mitarbeiter der Umweltgruppen nach Deutschland, um in Bochum auf der Jahreshauptversammlung von ThyssenKrupp den Stahlwerkkonflikt bekannt zu machen und zu protestieren.

Nach diesem Öffentlichkeitserfolg in Deutschland wurde das Thema dann auch in Brasilien bekannter. Es kamen weitere Umweltgruppen und Wissenschaftler hinzu, die auf die Fülle an Unregelmäßigkeiten bei den Betriebsgenehmigungen hinwiesen, Unregelmäßigkeiten, die auch die Staatsanwaltschaft auf den Plan rief und zu den Ermittlungen gegen den Konzern führten, so erzählt der Fischer Isac. Und dann kamen die Anwohner, die unter der Staubbelastung litten, und nun würden bei jedem Stadtteiltreffen mehr und mehr Leute kommen, um sich zu informieren, nachzufragen und um sich zu engagieren. „Warum haben die Deutschen das hier gebaut?“, fragt Isac. „Weil sie in Deutschland zu hohe Umweltauflagen haben, und diese dort nicht nur auf dem Papier existieren – sondern eingehalten werden“, so Isac. „Und hier in Brasilien, da haben wir tolle Gesetze – aber eben meist nur auf dem Papier. Aber wir machen weiter“, bekräftigt der Fischer, „dieses Werk muss stillgelegt werden!“

Und dann fängt er doch an, etwas verschmitzt zu grinsen. Denn wer hätte das alles gedacht, damals, vor Jahren, als sie nur einfache Fischer waren, Fischer, die niemand wahrnahm, wer hätte gedacht, dass dieser Kampf der Kleinfischer um sauberes Wasser und saubere Luft, um das Recht der Fischer, täglich der Arbeit des Fischens ungehindert nachgehen zu können, wer hätte gedacht, dass dieser Kampf der Fischer von der Bucht von Sepetiba dieses Potential entwickeln würde, den Industriegiganten aus Deutschland derart ins Wanken zu bringen, dass dem Sechs-Milliarden-Stahlwerk eventuell die Schließung droht? „Unterschätze niemals einen Fischer“, murmelt Isac vor sich hin – und lässt seinen Blick aufs Wasser gleiten. Und ein Lächeln deutet sich auf seinem Gesicht an.

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Christian Russau ist Journalist und freier Mitarbeiter beim Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-
Lateinamerika.


Quelle: Festschrift 25 Jahre Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre: "Menschen Mut machen – Konzernopfern eine Stimme geben". Hrsg. vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, Köln, Sept. 2011: http://www.kritischeaktionaere.de/