Brasilien wählt Bolsonaro

In Barra, einem konservativen Viertel von Rio de Janeiro fahren Militärfahrzeuge mit bewaffneten Soldaten in einer Hup-Parade durch die Straßen. Der Wahlsieg ihres ultrarechten Kandidaten Jair Bolsonaro steht fest. Mit 56% der gültigen Stimmen hat er die Wahl um das Präsidentenamt Brasiliens für sich entschieden und wird im Januar sein Amt antreten.
| von Uta Grunert (KoBra) und Tina Kleiber (Brot für die Welt)
Brasilien wählt Bolsonaro
Quelle: Wikipedia

147,3 Millionen Brasilianer*innen waren am Sonntag zur Stichwahl aufgerufen. Von den abgegebenen  115,9 Millionen Stimmen votierten 57,8 Millionen für Bolsonaro, 47,0 Millionen für Haddad und 11,1 Millionen Stimmten waren ungültig. Trotz der Wahlpflicht haben 31,3 Millionen keine Stimme abgegeben.

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Der PT-Kandidat Haddad hat nach dem ersten Wahlgang deutlich aufgeholt. Er hatte im Wahlkampf zuletzt auf die Demokratiefrage gesetzt. Allerdings waren linke Kundgebungen von den Massenmedien weitgehend totgeschwiegen worden Am Ende hat es nicht gereicht. 44% der gültigen Stimmen zeigen jedoch, dass die Wähler Bolsonaro mit dem Ergebnis keinen politischen Freifahrschein ausgestellt haben.

Das Land ist politisch stark gespalten. Der Wahlkampf wurde extrem aggressiv geführt. Es gab mindestens zwei Tote (Bahia und Ceara), die auf das Konto von Bolsonaro-Anhängern gehen.

Tina Kleiber von Brot für die Welt schildert ihre Eindrücke wenige Tage vor der Wahl:

Eindrücke aus einem gespaltenen Land

Morgen wählen rund 130 Mio BrasilianerInnen in der Stichwahl ihren nächsten Präsidenten. Egal, was die verschiedenen Meinungsforschungsinstitute in den letzten Wochen prophezeit haben, sie lagen recht weit von dem Endergebnis entfernt. Der in dieser Höhe ausgefallene Erfolg Bolsonaros im 1.Wahlgang war genauso überraschend wie schockierend. Über das morgige Ergebnis der Stichwahl steht eins bereits jetzt fest: die Mehrheit wird hauchdünn ausfallen.

Zwar wird im Ausland, insbesondere in Deutschland bereits fest mit einem Sieg des anti-demokratischen Hetzers Bolsonaro gerechnet, jedoch wenig berücksichtigt, dass es jenseits der Berichte der großen Medien über den Hype um den Rechtsaußen auch noch ganz andere Szenarien gibt. Eine breite und täglich wachsende Allianz derjenigen, die ihn in jedem Fall verhindern wollen. Hinter „Elen@o - Ernicht“ stellen sich inzwischen sowohl die traditionellen sozialen Bewegungen der StudentInnen, der Wohnungs- bzw. Landlosen, der BäuerInnen, der Schwarzengemeinschaften und insbesondere der städtischen Frauenbewegungen, aber auch Gegner der PT, kritische Evangelikale und sogar kritische Militärs. Sie alle warnen vor dem riskanten Unterfangen aus lauter Hass auf die PT, geradezu blind den rechten Außenseiter zu wählen. Um von diesen Aktivitäten zu erfahren, muss man wohl entweder dabei gewesen sein, oder zu entsprechenden Whatsapp-Gruppen gehören. Die großen Fernsehanstalten übertragen jedenfalls nicht den von mindestens 50.000 Menschen bejubelten Besuch Haddads in Recife am Donnerstag oder die Großdemonstartion in Sao Paulo gestern. Aber wichtiger noch als dieses „Masse zeigen“ in der Öffentlichkeit, ist der persönliche Wahlkampfeinsatz Einzelner. So trafen sich in der letzten Woche zu jeder Tageszeit unzählige Grüppchen von Freunden und Bekannten, um an zentralen Orten der Städte Passanten aufzuklären und selbst gemachte Flugblättchen zu verteilen. Andere wiederum konzentrieren sich auf ihre Nachbarschaft, KollegInnen oder Familie. Viravotos – ist hier das Stichwort. Möglichst viele Leute umstimmen durch persönliche Ansprache.  Und dieses Vorgehen mag belächelt werden und wie ein Akt der Verzweiflung anmuten, aber es zeigt offensichtlich Wirkung. Zumindest laut Voxpopuli hat sich die Wählerintention in einer Reihe von Großstädten bereits zugunsten von Haddad verändert.

Hoffnungslose OptimistInnen?  – im Gegenteil! Zwar stirbt die Hoffnung zuletzt, aber neben der Hoffnung regiert bei vielen dieser AktivistInnen seit dem 1.Wahlgang vor allem blanke Angst und Panik. Angst vor einer bleiernen Zeit, enormen sozialen Rückschritten, vor staatlicher Repression und vor allem vor Attacken durch Bolsonaro-Anhänger. Gerade für Frauen, Schwule und Lesben, Anhänger afro.-brasilianischer Religionen und überhaupt politisch andersdenkende ist diese Angst absolut berechtigt. Es braucht dafür nicht mal den Sieg Bolsonaros an den Urnen, schon jetzt sehen sich Schlägertrupps legitimiert und Einzelpersonen ermutigt, Menschen zu bedrohen, deren Haltung (schwul, links, feministisch) noch nie gepasst hat. Sie tun es ihrem Vorbild gleich, der Frauen mit Vergewaltigung droht und alle „Roten“ auffordert das Land zu verlassen, wenn sie nicht ins Gefängnis wollen.

Spätestens bei solcher Hetzte fragt man sich, wo der Rechtsstaat agiert und warum die Justiz solcherlei Hetze nicht rechtlich verfolgt? Das Durchgreifen aufgrund rechtl. Anordnung ist jedoch aktuell anderer Natur: StudentInnen werden an mindestens einem Dutzend Unis kriminalisiert, ihre Banner mit Parolen für Demokratie und gegen Faschismus beschlagnahmt, obwohl diese keinen direkten Bezug zu den Parteien nehmen.

Anrufe von Freundinnen aus dem Landesinneren, die es vorziehen ihre Kinder in Sicherheit zu bringen, Berichte von seitens der Polizei zusammengeschlagenen schwarzen jungen Haddad-Wählern sind derzeit genauso bedrückend wie die Tatsache, dass es bereits selbstorganisierte psychologische Hilfe gibt, um der um sich greifenden Panik etwas entgegenzusetzen.

Das renommierte feministische Institut SOS Corpo hat für Sonntag Sicherheitskräfte engagiert, weil sie fürchten, dass ihr Büro im Zentrum von Recife zerstört werden könnte. Das Schlimme ist, dass diese Sorge sowohl im Falle eines Sieges von Bolsonaro besteht, als auch im Falle einer Niederlage. Letztere, das hat er bereits angekündigt, würde er nicht hinnehmen.