Brasilien zwischen Neubeginn und Zerstörungswut

Die Gefahr eines Putsches war rund um die Präsidentenwahl in Brasilien 2022 immer wieder beschrieben worden, für den Fall, dass Bolsonaro abgewählt würde. Lula gewann die Wahl, doch dann blieb es erst mal ruhig. Mit großer Erleichterung haben viele die Amtseinführung von Präsident Inacio Lula da Silva zum Jahresbeginn 2023 verfolgt. Seine Wiederwahl verspricht einen Neuanfang für Brasilien, wobei die Machtverhältnisse mit denen er regieren muss herausfordernd sind für progressive Ideen. Die finanziellen Mittel sind knapp und dennoch weht auf einmal ein anderer politischer Wind.
| von Uta Grunert
Brasilien zwischen Neubeginn und Zerstörungswut
Amtseinführung Präsident Lula, Foto: Anna Pessoa, Midia Ninja (CC BY-NC 2.0)

Lula hat bei seiner Antrittsrede betont, dass in seiner Amtszeit die Befriedung und der Zusammenhalt der Bevölkerung wiederhergestellt werden müssen. Die Bevölkerung ist durch tiefe Gräben gespalten, von Hass, Ideologie und Angst geleitet. Der politisch Andersdenkende ist ein Feind, der bekämpft werden muss. Lula hat bei seiner Amtseinführung die Vielfalt Brasiliens ins Bild geholt, die ihm wichtig ist und die er repräsentieren wird. So waren an seiner Seite u.a. eine Müllsammlerin und ein Indigener, die ihm die Präsidentenschärpe überreichten.

Hunderttausende verfolgten und bejubelten in Brasilia die Zeremonie und den neuen Präsidenten, der die Bekämpfung von sozialer Ungleichheit und  Hunger oben auf seiner Agenda stehen hat. Lula bekennt sich zu einer Klimapolitik, die illegaler Entwaldung den Kampf ansagt und vom Agarbusiness degradierte Flächen regenerieren will. Per Dekret wurde ein Ministerium für Indigene Fragen ins Leben gerufen, dass von Sônia Guajajara als Ministerin geführt wird. Dem Ministerium eingegliedert werden die Indigenenbehörde FUNAI (zuständig für territorialen Schutz und Demarkierung) sowie der Conselho Nacional de Política Indigenista (CNPI), ein beratendes Gremium. Außerdem werden Sekretariate geschaffen, die die Interessen unkontaktierte Völker, Umwelt- und Klimagerechtigkeit und Buen Vivir, kontextualisierte Bildung und Kulturerhalt sowie Territorialkonflikte bearbeiten sollen.

Ein hoffnungsvoller Anfang.

Aber nur wenige Tage später gehen ganz andere Bilder aus Brasilia um die Welt. Randalierende Brasilianer*innen waren mit organisierten Busladungen aus dem ganzen Land nach Brasilia gereist und stürmen am 8.Januar die Regierungsgebäude. Hausfriedensbruch, Brandstiftung, Vandalismus im politischen Zentrum der Demokratie des Landes. Trumps Amerika lässt grüßen. Ein Meer aus Personen in Nationalfarben schlägt die politischen Institutionen in Scherben, hinterlässt Schutt und Asche. Wahlfälschung und -betrug lautet ihr Vorwurf. Die Polizei ist dem Ansturm nicht gewachsen, Videos lassen vermuten, vereinzelt dulde sie ihn sogar. Später wird der Gouverneur des Distrikts Ibaneis Rocha (MDB) für 90 Tage seines Amts enthoben, er war ein Verbündeter des Ex-Präsidenten Bolsonaro. Auch der Sicherheitschef Anderson Torres muss seinen Hut nehmen, unter der Regierung Bolsonaro war er Justizminister gewesen. Der Sturm auf den Präsidentenpalast, Kongress und den Obersten Gerichtshof sei nur mit Zustimmung des Gouverneurs und anderer politischer Kräfte möglich gewesen, argumentierte Bundesrichter Alexandre de Moraes. Im Laufe der Ermittlungen wurde deutlich, dass es Aufrufe über Telegram-Gruppen gegeben habe. Welche Rolle Bolsonaro selbst dabei gespielt hat, wird sich noch zeigen. Hatte er doch 2021 beim Sturm auf den US-amerikanischen Kongress die Verurteilung der Tat vermieden und Ankündigungen verbreitet, er werde seine Abwahl nicht akzeptieren. Der Oberste Gerichtshof und der Kongress waren zudem immer wieder politische Institutionen, die gegen seine Interessen standgehalten haben und von ihm öffentlich diffamiert wurden.

Präsident Lula ist am 8.Januar nicht in Brasilia, er verurteilt den Angriff aufs Schärfste und spricht von Sicherheitslücken. Aber auch davon, dass die Täter gefunden und bestraft werden. Der abgewählte Ex-Präsident hatte sich zum Jahresende in die USA abgesetzt und ist der Amtseinführung Lulas ferngeblieben. Bis heute hat er seine eigene Wahlniederlage nicht anerkannt und mit seiner Rhetorik seine Anhänger*innen immer weiter gegen den amtierenden Präsidenten aufgestachelt. Viele Brasilianer*innen fordern rechtliche Schritte gegen ihn wegen seiner Versäumnisse in der Corona-Pandemie.

Eine Untersuchung von Quaest zeigte erst vor wenigen Tagen, dass der Riss durch die Bevölkerung sich weiterhin parallel zum Wahlergebnis wiederspiegelt und dass sich daran auch nach der Wahl nichts geändert hat. Es gibt also keinen Bonus für den neuen Präsidenten bei knapp der Hälfte der Wähler*innen. Dass die Verlierer*innen aber mit Gewalt und Zerstörung agieren und sich dabei im Recht fühlen, ist ein herber Schlag für die fragile Demokratie Brasiliens. Auch wenn die Lage mit Hilfe der Bundespolizei mittlerweile unter Kontrolle ist und für die Täter Folgen haben wird, bleibt Brasilien im Alarmzustand.