Agrarreform in Brasilien: Ernüchternde Zahlen

Zu Beginn seiner Regierungszeit hatte der brasilianische Präsident Lula einen Agrarreformplan ausarbeiten lassen. Dieser endete mit dem Jahr 2007. Ein anschließender Agrarreformplan wurde von der brasilianischen Regierung nicht entwickelt. Knapp fünf Millionen brasilianische Familien sind landlos, während gut 4.000 Großgrundbesitzer über 85 Millionen Hektar Land verfügen.
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Stattdessen kürzte die Regierung jüngst mit der Begründung der Finanzkrise stark den Haushalt des Ministeriums für Agrarentwicklung. So sank das angesichts gestiegener Bodenpreise ohnehin lachhafte Budget für Enteignungen von ursprünglich knapp 1.000 Mio R$ um 41% auf 561 Mio R$. Auch das Budget für die landwirtschaftliche Beratung angesiedelter Familien wurde um 41% gekürzt, der Haushaltsansatz für Bildungsprogramme in Agrarreformsiedlungen sogar um 62% auf 26 Mio R$. Mit diesen Mittelkürzungen können im Jahr 2009 nach Berechnungen der Landlosenbewegung maximal 17.000 Familien neu angesiedelt werden.

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Der Blick auf die Zahlen der letzten Jahre zeigt allerdings, dass viel mehr ohnehin nicht zu erwarten gewesen wäre: Insgesamt wurden zwar nach Regierungangaben zwischen 2003 und 2007 knapp 500.000 Familien angesiedelt. Das Ziel 1 des Agrarreformplans bestand in 550.000 neu angesiedelten Familien. So gesehen hat die Regierung ihr Ziel fast erreicht. Betrachtet man die Zahlen allerdings genauer, zeigt sich, dass von den 500.000 Familien nur 163.000 in neuen Ansiedlungen unterkamen und damit tatsächlich im Rahmen der Agrarreform Land erhielten – womit sich die Zielerreichung auf knapp 30% verringert. 113.000 der offiziell genannten 500.000 erhielten Landtitel auf das Land, das sie schon bewohnten, und sind damit dem Ziel 2 des Agrarreformplans, Anerkennung bereits bestehenden Besitzes, zuzurechnen. Weitere 171.000 Familien wohnten bereits in Ansiedlungen, die nachträglich anerkannt wurden. Darüber hinaus enthält die Zahl noch 2.000 Familien, die von Staudammbauten betroffen waren und umgesiedelt wurden – hier ist es am unzulässigsten, diese Zahl der Agarrreform zuzuschlagen.

Bei den offiziellen Ansiedlungszahlen von 2008 entpuppten sich sogar nur noch 20.000 der nach Regierungsangaben 70.000 Ansiedlungen als wirkliche Neuansiedlungen. Damit kommt die Lula-Regierung nach bereinigten Zahlen auf einen Jahresdurchschnitt von 23.00 angesiedelten Familien. Laut Angaben der Landpastorale CPT wurden allein im Jahr 2004 aufgrund der aggressiven Exportpolitik der Regierung Lula etwa 40.000 Familien von ihrem Land vertrieben oder zwangsgeräumt – also verloren in einem Jahr mehr Familien ihr Land, als im Jahresdurchschnitt durch die Agrarreform zu Land gekommen sind.

Eine Agrarreform in Brasilien und damit Gerechtigkeit für die Menschen auf dem Lande ist offensichtlich in weite Entfernung gerückt. Lula habe nun endgültig die Landreform als politisches Ziel hinter sich gelassen, analysiert der Professor der Universität São Paulo und Experte für Landfragen, Ariovaldo Umbelino. Die Agarrreformpolitik der Regierung Lula wurde Umbelino zufolge vor allem davon geleitet, nicht in die Hoheitsgebiete des Agrobusiness zu hineinzuregieren und Ansiedlungen nur dort durchzuführen, wo sie dem Agrobusiness zugute kommen: Landbesetzungen finden vor allem im Nordosten und Mittleren Westen statt. Die Ansiedlungen gab es vorrangig in Amazonien - so braucht man nicht wirklich an der Agrarstruktur zu rühren. Mit der neuesten Maßnahme zur Regularisierung des Landbesitzes in Amazonien und der Maßnahme zur Aussetzung von Wirkungsstudien beim Straßenbau ist Umbelinos Analyse klar: Luiz Inácio da Silva hat die Agrarreformpolitik durch eine Politik der Landübertragung um jeden Preis ersetzt.