VW und Kollaboration mit der Militärdiktatur: Offener Brief der Ex-Mitarbeiter von VW do Brasil an Volkswagen

Die von der Repression bei Volkswagen während der Militärdikatur betroffenen Arbeiter haben einen Offenen Brief veröffentlicht, den sie uns baten, hier ins Deutsche zu übersetzen.
| von Christian Russau (Übersetzung)
VW und Kollaboration mit der Militärdiktatur: Offener Brief der Ex-Mitarbeiter von VW do Brasil an Volkswagen

"Volkswagen hat gegenüber der Presse sowie gegenüber Gewerkschaftsführern angekündigt, dass die Firma am 14. Dezember ein Buch über den im Rahmen der Zivilklage vor der Bundesstaatsanwaltschaft verhandelten Sachverhalt, in dem [die Firma Volkwagen do Brasil] untersucht wird, inwieweit sie verantwortlich ist für schwere Menschenrechtsverletzungen während der letzten Militärdiktatur [in Brasilien]. Einige der Arbeiter, die die Untersuchung der betreffenden Zivilklage verfoögen, wurden [von der Firma Volkswagen] kontaktiert, damit sie an dieser Veranstaltung [am 14. Dezember dieses Jahres] teilnehmen.

Die Gruppe [der Arbeiter] ist sich bewußt, dass die Zahl der insgesamt betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter in die Hunderte geht und dass der Fortgang der Ermittlungen sowie die Offenlegung der neu gewonnenen Erkenntnisse seitens Volkswagen enthüllen könnte, wer diese Arbeiterinnen und Arbeiter sind. Einiger der Genossen haben ja bereits der Bundesstaatsanwaltschaft gegenüber ihre Aussagen getätigt, in denen sie hinreichende Belege über die erlittenen Verletzungen übergaben, und warten auf den weiteren Fortgang der Ermittlungen.

Wir stellen hier einen kurzen historischen Überblick und legen fürderhin die Gründe dar, warum die Mitglieder der Gruppe denken, dass es keinen Sinn macht, an diesem Event [am 14. Dezember 2017] teilzunehmen.

Im September 2015 haben einige Ex-Mitarbeiter [von Volkswagen do Brasil], unterstützt durch alle brasilianischen Gewerkschaftsdachverbände, durch Juristen und Menschenrechtsaktivisten, der Bundesstaatsanwaltschaft eine Anzeige mit über 500 Seiten an Dokumenten übergeben, die die Verantwortung Volkswagens für schwere Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur aufzeigen. Seither - trotz aller Medienresonanz in Brasilien und im Ausland - hat sich die Firma diesbezüglich nicht geäußert. Während aller Anhörungen, an denen die Arbeiterinnen und Arbeiter das repressive Vorgehen der Sicherheitskräfte der Firma, deren Beziehung zu den staatlichen Repressionsorganen sowie die Verhaftungen und Folter innerhalb des Firmengeländes beschrieben, haben die Anwälte der Firma geschwiegen. Die einzigen offiziellen Verlautbarungen [seitens der Firma] im Rahmen der Ermittlungssache haben in der Angelegenheit wenig Neues beigetragen, was nicht schon zuvor von den Arbeitern aufgezeigt worden wäre. Es gab seitens der Firma keinerlei Anzeichen, aktiv bei den Ermittlungen der Bundesstaatsanwaltschaft mitzuwirken.

Die einzigen Mitarbeiter der Firma, die die Arbeiter [im Namen der Firma] zum Dialog gesucht haben, waren die Historiker Manfred Grieger und Christopher Kopper. Beide haben wiederholt erklärt, dass sie nicht die Firma repräsentieren und dass sie keine offizielle Stellungnahme der Firma abgeben können. Herr Manfred [Grieger] hat zudem die Arbeiter einzeln kontaktiert, um sie zu interviewen, und hat sich dabei als Spezialist für Reparationen dargestellt. Dieses Vorgehen wiederspricht der Vereinbarung, die im März 2015 mit Herrn Rogério Varga, Rechtsbeistand von Volkswagen do Brasil (Herr Varga repräsentierte Volkswagen auf der Öffentlichen Anhörung der Landeswahrheitskommission Rubens Paiva und erklärte sich einverstanden, sich über den Fall nur im Rahmen der Instanzen jener Wahrheitskommission oder - im Fall ihrer Auflösung: nur im Rahmen der Instanzen der Bundesstaatanwaltschaft - öffentlich zu äußern) getroffen worden war.

Vor Kurzem haben wir erfahren, dass der Bericht von Herrn Kopper über die Beziehung der Firma mit der Diktatur abgeschlossen wurde und, so berichten es deutschsprachige Medien, an jenem 14. Dezember veröffentlicht werden soll.

Unserer Position zufolge soll der von Herrn Kopper im Auftrag von Volkswagen erstellte Bericht zusammen mit dem von Herrn Guaracy Mingardi im Auftrag der Bundesstaatsanwaltschaft erstellten Bericht in die Ermittlungsakten der Untersuchung [bei der Bundesstaatsanwaltschaft] eingehen, um dergestalt eine neue Untersuchungsphase einzuleiten. Der Bericht von Herrn Guaracy [Mingardi] wurde bereits den Akten beigegeben, ist zur Begutachtung jedem zugänglich und zeigt klar und unmißverständlich das auf, wessen Volkswagen beschuldigt wurde: Menschenrechtsverletzungen, die Bildung von Gruppen zusammen mit anderen Firmen, unter Anstellung von Militärs, um die Arbeiter sowie die in den Gegenden der Fabriken lebende Bevölkerung zu überwachen und zu verfolgen.

Unserer Position nach, um den Dialog zwischen der Firma und den Ex-Mitarbeitern, die verfolgt wurden, endlich anzutreiben, soll der Bericht ins Portugiesische übersetzt werden und den Ermittlungsakten bei der Bundesstaatsanwaltschaft beigegeben werden, damit diese sowie die Arbeiter und die gesamte Gesellschaft Zugang haben zu dem Inhalt de Berichts sowie zu den potentiell neuen Erkenntnissen, die dieser bringen könnte.

São Bernardo do Campo, 21. November 2017"