Stopp EU Mercosur! Alternativgipfel zum CELAC Gipfel in Brüssel

Am 17. und 18. Juli fanden in Brüssel zeitgleich zum CELAC EU Mercosur Treffen der Präsidenten ein Alternativgipfel und ein Strategietreffen der kritischen Zivilgesellschaft sowie die Cupula dos povos statt. Brasilien war mit zahlreichen Sprecher*innen vertreten, die einen Stopp der Verhandlungen zum EU Mercosur Abkommen fordern. Zu wenig Menschenrechte, zu wenig integrale Perspektiven auf Umweltgerechtigkeit, zu assymetrisch die Vorlage der EU. Beim offiziellen Treffen der Präsidenten kam es zu keiner Einigung, allerdings versprach Präsident Lula, in den kommenden Wochen eigene Forderungen in die Verhandlungen einzubringen.
| von Uta Grunert
Stopp EU Mercosur! Alternativgipfel zum CELAC Gipfel in Brüssel
Brasilianisches Bündnis gegen ein EU Mercosur Abkommen im Europäischen Parlament

Lateinamerika ist eine der Regionen mit der größten sozialen Ungleichheit und schwindenden Räumen für zivilgesellschaftliche Gruppen weltweit. Menschenrechtsverletzungen gegenüber indigenen Völkern, traditionellen Gemeinschaften sowie Umweltschütz*innen sind trauriger Alltag. Ohne starke Mechanismen für unternehmerische Sorgfaltspflichten würde Europa nur die Interessen der Industrie bedienen, während gleichzeitig die Grenzen des Planeten und Kipppunkte im Klimawandel erreicht werden. So fasst Francisco Vladimir vom Netzwerk Rebrip die Ausgangssituation zusammen.

Das Abkommen sei auf die Interessen Europas und nicht auf die Bedürfnisse Lateinamerikas ausgerichtet. Die Agrar- und Bergbauproduktion würde mit dem neuen Abkommen weiter steigen. Gold, Erze, Erdöl, Soja und Fleisch - das EU Mercosur Abkommen droht die Rolle Brasiliens (Argentiniens, Paraguays und Uruguays) als Rohstofflieferanten zu zementieren. Kretã Kaingang vom indigenen Dachverband APIB forderte Europa auf, dass indigene Rechte in einem neuen Abkommen verankert werden müssten. Naiara von der Bewegung gegen Bergbau MAM berichtete, dass immer mehr Quilombeiros durch die Vergabe neuer Bergbau-Konzessionen von ihrem Land vertrieben würden.

CELAC ist die Staaten-Gemeinschaft von Lateinamerika und Karibik aus 33 Staaten, die den politischen Dialog und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten verbessern soll. Alle souveränen Staaten außerhalb USA und Kanada sind darin regional zusammengefasst. Eigentlich trifft sich der Verbund alle zwei Jahre. Bolsonaro hatte Brasilien aus den Gesprächen genommen, die nun unter Präsident Lula wieder aufgenommen werden. Am 17. Und 18. Juli fanden in Brüssel Gespräche der lateinamerikanischen Präsidenten mit EU Parlamentarier*innen und europäischen Staatschefs statt.

Parallel zum Treffen der Staatschefs beim EU CELAC Gipfel nahmen 160 Aktivist+innen von über 100 Organisationen aus europäischen und lateinamerikanischen Ländern am Gegengipfel in Brüssel teil. Zunächst sprachen die Gegner auf einer Konferenz im EU Parlament und trafen sich anschließend, um auf einem Strategietreffen des Bündnisses Stopp EU Mercosur den weiteren Protest zu organisieren.

Aus Brasilien nahmen Mitglieder eines Gegenbündnisses zum EU Mercosur A Frente Brasileira Contra o Acordo UE-Mercosul von verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen, Gewerkschaften und Bewegungen teil (FASE, Rebrip, Jubileu Sul, MAM). Sie haben ein Positionspapier (siehe Link frente) mitgebracht, dass den Ausstieg aus den Verhandlungen fordert. Außerdem sprachen Vertreter der Gewerkschaft CUT und des brasilianischen Indigenenverbands APIB bei der Zusammenkunft. Im EU Parlament waren zudem Abgeordnete der PT und PSOL vertreten und ergänzten die Kritik am Abkommen aus ihrer Perspektive. Eingeladen hatten die europäischen Linken, Sozialdemokraten und Grünen (Österreich).

Die Kritikpunkte der brasilianischen Gruppe richtetet sich gegen die Assymetrie in Bezug auf Forderungen aus Europa. Europa selbst erfülle keine Forderungen auf mehr globale soziale Gerechtigkeit, ökologische Sicherung des Weltklimas, Degrowth oder ein Industrie- und Wirtschaftsmodell jenseits der kapitalistischen Praktiken. Diese stellen den ökonomischen Gewinn über alles andere und lassen Menschenrechte, Rechte der Natur sowie postkoloniale Gesichtspunkte außer Acht. Grundsätzlich wurde der Ausschluss der Zivilgesellschaft von den Verhandlungsdetails und Vertragsinhalten bemängelt. Partizipation von Zivilgesellschaft würde damit unmöglich gemacht.

Die letzten Gespräch innerhalb des CELAC mit der EU waren 2015. Unter Bolsonaro war der Amazonasfonds eingefroren worden, die Klimadiplomatie war zum Erliegen gekommen. Ende letzten Jahres wendeten die demokratischen Wahlen in Brasilien das Blatt. Das Interesse von Deutschland und EU am Partner Brasilien ist hoch, wie die Besuche zahlreicher Politikerdelegationen in den Monaten seit der Amtseinführung der Regierung Lula in Brasilien zeigen. Auch Deutschlands Politiker*innen zeigten sich interessiert und engagiert. Heute zeigt eine deutsche Regierung mit grüner Beteiligung ein starkes Interesse, Wald- und Klimaschutzinteressen neu in Projekte und Vorhaben der internationalen Zusammenarbeit zu verankern. Dahinter stehen gleichzeitig auch geopolitische Interessen, was die brasilianische und lateinamerikanische Seite sehr wohl wahrnimmt. Sowohl die Energiewende in Deutschland als auch der Krieg Russlands mit der Ukraine Deutschlands schaffen einen erhöhten Bedarf an Rohstoffen und Energie sowie an sicheren Partnerschaften bzw. einer Diversifizierung derselben. Brasilien spürt das starke Interesse Europas und wähnt sich in einer starken Verhandlungsposition, da im Falle eines Nichtzustandekommens von EU Mercosur China als starker Handelspartner zur Verfügung steht. Und dies – ohne dass Zusatzprotokolle zum Schutz der Umwelt und gegen globale Entwaldung  -  zum Tragen kommen.

Im Vorfeld des EU Mercosur CELAC Gipfels in Brüssel hat die zivilgesellschaftliche Opposition gegen die Handelsabkommen EU Mercosur- und EFTA Mercosur EFTA  (Schweiz, Island, Norwegen und Liechtenstein) sich virtuell getroffen und eine Stellungnahme abgegeben. Das brasilianische Bündnis gegen beide internationale Handelsabkommen setzt sich zusammen aus 134 organisationen wie Amigos da Terra Brasil, Contraf Brasil, FASE, INESC, Internacional dos Serviços Públicos, Processo de Articulação e Diálogo (PAD), REBRIP e Rede Jubileu Sul. Bei dem Treffen Ende Juni waren zahlreiche NROs, Vertreter*innen von Sozialen Bewegungen und politische Mandatsträger*innen anwesend: Articulação dos Povos Indígenas do Brasil (APIB), Centro de pesquisa e Assessoria - ESPLAR, Centro Palmares de Estudos e Assessoria por Direitos, Comissão Pastoral da Terra, CONAQ, Conselho Pastoral dos Pescadores, CUT, Federação Nacional dos Enfermeiros (FNE), Fórum Suape, Greenpeace, Instituto de Estudos Estratégicos de Petróleo Gás Natural e Biocombustíveis Zé Eduardo Dutra (INEEP), Instituto Marielle Franco, Instituto Pacs, Justiça nos Trilhos, Marcha Mundial das Mulheres (MMM), Movimento pela Soberania Popular na Mineração (MAM), MCP - Ceará, Movimento Nacional de Direitos Humanos, Plataforma Cipó, Rede Brasileira de Justiça Ambiental (RBJA), Rede Cerrado.

Einer der Hauptstreitpunkte aus der Sicht der Europäer*innen ist das Zusatzprotokoll zur Entwaldungsbekämpfung von 2023. Brasilien müsste als Risikoland mit niedrigem oder mittlerem Risiko eingestuft werden. Die Kategorien beschreiben die Überwachung/Monitoring und welche Maßnahmen ein Land ergreifen muss, um seine Entwaldung zu senken. Das Gesetz wäre die Grundlage für Handelsverträge, die z.B. Entwaldungsfreiheit für Produkte vorsehen und die Lieferkette dem Endverbraucher gegenüber transparent machen. Für Brasilien bedeutet dies, dass Agrarprodukte von Flächen, die ab 2019 gerodet wurden, nicht in das Handelsabkommen einfließen könnten. Dies betrifft vor allem Produkte wie Rindfleisch, das aus entwaldungsfreien Lieferketten stammen muss, um in die EU importiert zu werden. Allerdings wird die Rückverfolgbarkeit solcher Mechanismen in Frage gestellt. Im Zweifel fördern sie Ausgleichbewegungen der Zerstörung in andere Biome, wie den Cerrado. Präsident Lula wehrt sich gegen Sanktionen und Protektionismus dieser Art.

Das Bündnis der Gegner der Abkommens verweist darauf, dass das Abkommen nur Auflagen und Forderungen (Waldschutz) für Brasilien stellen und mit keinem Wort die Verantwortung Europas für mehr Gerechtigkeit, Umweltschutz, Degrowth in Bezug auf Energie- , Flächen- und Ressourcenverbrauch in das Abkommen integriert habe. So entsteht eine starke Assymetrie mit dem typisch kolonial geprägten Nord-Süd-Gefälle, das im Globalen Süden auf Kritik stößt.

Die EU-Parlamentarier*innen haben kein Interesse an neuen Verhandlungen, sie wollen den Abschluss bis spätestens Januar 2024, denn dann wird ein neues EU Parlament gewählt, die Zusammensetzung ändern sich.

134 zivilgesellschaftliche brasilianische Akteure haben ein Positionspapier (siehe link frente) gezeichnet, dass sich für eine Neuverhandlung des EU Mercosur; EFTA Mercosur Abkommens ausspricht. Notwendige Veränderungen betreffen Beteiligungsmechanismen, die Entwaldungsbekämpfung, die Hunger- und Armutbekämpfung, Bekämpfung von sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Ihre Kritik wendet sich dagegen, dass Sanktionen und Auflagen ausschließlich für die Mercosurländer formuliert wurden, was zu einer starken Assymetrie und Einseitigkeit der Verantwortlichkeiten und Machtausübung führt. Das Zusatzprotokoll habe keine praktische Auswirkung auf den Umweltschutz in Lateinamerika. Umweltschutzinstrumente müssen unter Beteiligung von traditionellen Völkern und Gemeinschaften und lokaler Bevölkerung gemeinsam entwickelt werden. Die Gruppe spricht die Hoffnung aus, dass in Neuverhandlungen die traditionellen Völker und Gemeinschaften des Globalen Südens als Akteure in Handelsbeziehungen integriert werden. Es  brauche einen neuen Narrativ von öffentlichem Interesse, Menschenrechten, Umweltschutz bzw. Schutz von Gemeingütern. Diese Ziele können gemeinsam in der Allianz mit anderen Ländern im internationalen Kontext erreicht werden, die gemeinsam die Prinzipien Demokratie, Solidarität, Gleichheit, Zusammenarbeit und Nachhaltigkeit verfolgen.

Präsident Lula und Außenhandelsminister Celso Amorim hatten sich im Vorfeld mehrfach zur Ungleichheit der Verhandlungspartner und dem neokolonialen Charakter des Abkommens geäußert. So wurde das Abkommen hinter verschlossenen Türen von Europa ausgehandelt. Der Vertragstext ist der Zivilgesellschaft bis heute nicht bekannt. Brasilien wolle zudem nicht länger in die Rolle des Primärrohstofflieferanten eines europäischen Markts gedrängt werden. Was fehlt, ist ein erkennbares zusätzliches Engagement Europas, um die gestiegene soziale Ungerechtigkeit in der Region aufzufangen.

Die europäische Seite hingegen beklagt, dass die Mercosur Länder bis zu den Verhandlungen keinen Gegenvorschlag vorgelegt haben. Für weitere strategische Debatten wurden vom EU Parlament Mitte Juli zwei Tage angesetzt, damit europäische und lateinamerikanische Zivilgesellschaft sowie politische Vertreter*innen miteinander diskutieren können.

Auch europäische Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen bemängeln den derzeitigen Entwurf und das Zusatzprotokoll. Greenpeace: Das Abkommen fördere die globale Produktion und den Handel von Rindfleich und Soja aus Brasilien nach Europa. Umgekehrt würden aus der EU bevorzugt Autos, Verbrennermotoren und der Export von Pestiziden begünstigt würde, die innerhalb der EU nicht zugelassen sind. Greenpeace veröffentlichte nach dem Strategietreffen beim Side-Event in Brüssel eine Presseerklärung.

Kritik Lulas wendet sich zusätzlich gegen einen Paragraphen, der das Beschaffungswesen der Regierung betrifft. Bislang hat die brasilianische Regierung hier Regulierungsmöglichkeit genutzt. Sie hat beispielsweise in Lulas letzter Amtszeit Produkte aus kleinbäuerlicher Landwirtschaft in Schul- und Kindergartenkantinen verarbeiten lassen. Es entstand für beide Seiten eine günstige Situation. Die Kinder bekamen ein regelmäßiges Mittagessen aus gesunden Lebensmitteln angeboten. Die kleinbäuerlichen Produzent*innen hatten einen sicheren Absatzmarkt für ihre Produkte. Mit dem EU Mercosur Abkommen wie es 2019 verhandelt wurde, wäre dieses Gleichgewicht nicht haltbar. Denn europäische Produzent*innen könnten sich im Bieterverfahren um einen Zuschlag bewerben. Dies würde möglicherweise dazu führen, dass ein Preisdruck entsteht, bei dem kleinere Produzent*innen aus Brasilien nicht mithalten können. Die neue Regelung würde zudem der Regierung einen Steuermechanismus entziehen, der innerhalb Brasiliens sowohl Einkommen generiert als auch Hunger bekämpft.