It’s the debt, stupid!

Die im September beschlossenen 30 Milliarden Dollar für Brasilien sind zwar der größte Kredit, den der Internationale Währungsfonds jemals vergeben hat, doch genützt hat er nicht viel: die brasilianische Währung ist seitdem auf ein neues Rekordtief gefallen.
| von Dr. Barbara Fritz

Doch das muß nicht wirklich verwundern: wo das Problem die Überschuldung ist, können neue Kredite es nicht lösen. Nicht die politischen Turbulenzen, der Wahlkampf und ein möglicher Präsident Lula sind der Kern der Misere, wie auch der IWF uns glauben machen möchte. Clintons Wahlkampfberater hatten ihm einst den berühmt gewordenen Satz mitgegeben: "It’s the economy, stupid!" Für Lateinamerikas Wirtschaftskrise gilt: "It’s the debt, stupid!"

Dass die brasilianische Währung in diesem Jahr 40 % ihres Werts verloren hat, wird gerne politischen Faktoren zugeschrieben. Und tatsächlich: der Beginn des Verfalls des Real nahm seinen Anfang exakt in dem Moment, als die Wahlchancen des linken Präsidentschaftskandidaten Lula zu steigen begannen.

Die Vertrauenskrise der in- und ausländischen Investoren jedoch ausschließlich auf die potentielle Gefahr zurückzuführen, dass Lula den Schuldendienst auf die öffentlichen Verbindlichkeiten einstellen könnte, wäre naiv. Es ist eher so, dass die Aufmerksamkeit der Analysten auf diese Weise auf ein neuralgisches Problem der brasilianischen Ökonomie gelenkt wurde: die Instabilität und potentielle Sprengkraft der öffentlichen Inlandsverschuldung. Diese wird zum Problem für jede kommende Regierung werden, egal welcher Couleur, denn sie hat wenig mit der politischen Entwicklung, dafür aber umso mehr mit der wirtschaftspolitischen Strategie der bisherigen Regierung Cardoso während der letzten acht Jahre zu tun.

Cardoso hat, wie dies auch in anderen Ländern geschah, per Wechselkursfixierung und Liberalisierung die Inflation erfolgreich bekämpft, dafür aber die Auslandsverschuldung nach oben getrieben. Diese ist in seiner Amtszeit von 150 auf 260 Milliarden Dollar angestiegen, vor allem weil sich angesichts exorbitant hoher inländischer Zinsen die privaten Unternehmen im Ausland verschuldeten. Als dies nicht mehr finanzierbar war und Anfang 1999 der Wechselkurs freigegeben werden musste, rettete der brasilianische Staat die privaten Dollarschuldner vor dem Ruin, indem er Staatsschuldpapiere anbot, die an den laufenden Wechselkurs gebunden waren. Was die im Ausland verschuldeten Unternehmen an zusätzlichem Schuldendienst durch die Abwertung aufbringen mussten, konnten sie auf der anderen Seite wieder gewinnen, wenn sie durch den Kauf dieser öffentlichen Schuldtitel in entsprechender Höhe vorgesorgt hatten. Im Ergebnis fiel die Landung Brasiliens nach dem Währungscrash vergleichsweise sanft aus.

Die Kehrseite des Erfolges jedoch war die inländische Staatsverschuldung, die allein im Jahr 1999 um 10% des BIP anstieg und seitdem immer weiter wächst, allein aufgrund der Abwertung des Real und des hohen Zinsniveaus. Jetzt, mit dem massiven Einbruch des Vertrauens, zeigt sich die fatale, kurzfristig wirksam werdende Verknüpfung von Geld- und Währungspolitik mit den öffentlichen Verbindlichkeiten: jedes Prozent Abwertung erhöht die Staatsschuld um weitere 3,5 Mrd. Real (zur Zeit also etwas weniger als eine Milliarde Dollar), während jedes Prozent Zinserhöhung im Inland eine Steigerung dieser Verbindlichkeiten um 4,2 Mrd. Real nach sich zieht. Auch die eiserne Sparpolitik des Staates nutzt wenige, wenn der Schuldendienst dieses Jahr etwa etwa 40% der gesamten Steuereinnahmen ausmachen wird.

Lula hat also trübe Perspektiven: entweder er tut, was die Finanzmärkte (und wahrscheinlich auch der IWF hinter verschlossenen Türen) empfehlen: den primären Überschuss des Staatshaushalts (also abzüglich der Zinszahlungen) von derzeit 3,75 auf mindestens 5% auszuweiten, um der Explosion der Staatsverschuldung Einhalt zu gebieten. Das hieße aber, das der Schuldendienst bald die Hälfte der staatlichen Einnahmen verschlingen würde - und dass die umfassenden sozialen Reformen, für die Lula von der Mehrheit der brasilianischen Bevölkerung gewählt wurde, wieder einmal auf den Sankt Nimmerleinstag vertagt würden. Oder aber Lula wagt es, wenn nicht schon bei den Auslands-, dann aber doch bei den Inlandsverbindlichkeiten eine Umschuldung anzugehen. Der Zorn der Finanzmärkte wäre in diesem Fall voraussehbarer als der Ausgang eines solchen Experiments. Oder findet Lula einen dritten Weg zwischen Hölle und Fegefeuer?

Dr. Barbara Fritz, ist Ökonomin am Hamburger Institut für Iberoamerika-Kunde und arbeitet zu Währungsfragen in Entwicklungsländern, insbesondere in Lateinamerika.