Neues Kalifornien - Die Folgen eines groß angelegten Bewässerungsprojektes

Wenn von Brasilien die Rede ist, denken viele Menschen sofort an tropische Regenwälder.
| von Marcos Antonio da Costa Melo (KoBra)

So ist das tropisch feuchte Amazonasgebiet jedem bekannt. Und doch gibt es in diesem riesigen Land eine ausgedehnte Fläche, in dem Wasser Mangelware ist. Sie befindet sich im nordöstlichen Teil Brasiliens und umfasst rund 900.000 km².

Das Trockengebiet des Nordosten Brasiliens
In diesem Gebiet, so groß wie Frankreich und Deutschland zusammen, wohnen mehr als 18 Millionen Menschen in großer Armut. Wenn sich hier der Himmel bewölkt, die Sonne verschwindet, es feucht und regnerisch ist, dann bedeutet dies für alle "schönes Wetter". Doch auch wenn es selten regnet ist der Nordosten keine ausschließlich karge Region. Der 2.700 km lange Fluss São Francisco führt ganzjährig Wasser. Schon während der portugiesischen Kolonialzeit um 1800 wurde Baumwolle im Tal des São Francisco angebaut. So entstanden erste große Städte und Fischerdörfer wie Petrolina und Juazeiro. Während dieser Zeit entwickelte sich in der Region eine Produktionsstruktur, welche die Versorgung der eigenen Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln wie Bohnen, Zwiebeln, Reis und Knoblauch sicherte. Ziegen- und Viehhaltung waren daneben die wichtigsten Einkommensquellen für die Bewohner des Nordostens Brasiliens. Bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war dieses Trockengebiet für agroindustrielle Großunternehmer noch uninteressant.

Die Entstehung des Bewässerungsprojektes „Neues Kalifornien“
Erst nach dem Militärputsch 1964 wurde die Politik zur Förderung des Großexports durchgesetzt. Das Agro-Business im brasilianischen Trockengebiet bekam durch den Bau dreier gigantischer Staudämme, von Wasserkraftwerken und Bewässerungsanlagen Ende der 70er Jahre neuen Antrieb.
Schon zu Beginn der 80er Jahre produzierte die Region Honig- und Wassermelonen, Soja, Tomaten, Spargel, Weintrauben, Zitronen, Papayas, Ananas, Apfelsinen und Mangos, die nach Europa exportiert wurden. Im Jahr 2003 kamen 95% des brasilianischen Mango-Exports aus diesem Gebiet (Quelle: CODEVASP). Zurzeit werden über 100.000 Hektar nur durch den CODEVASP (eine halbstaatliche Fruchtanbaufirma) bewässert. Ziel ist die Expansion im agrarindustriellen Sektor für den Anbau von Soja als Futtermittel, welcher für die europäische Viehhaltung, sowie für Eukalyptus zur Papierherstellung bestimmt ist.

Der Sobradinho-Stausee
Ein extremes Beispiel für das großzügige Bewässerungsprojekt "Nova California" und die Folgen für die ansässige Bevölkerung ist der Sobradinho-Stausee, der 1983 ein Gebiet von ca. 4.200 km² überflutet hatte. Die Länge des Sees entspricht der Strecke zwischen Freiburg und Düsseldorf (siehe Abbildung). Die sozialen Folgen der Fertigstellung des gigantischen Stausees waren dramatisch: Zwischen 60.000 und 100.000 Kleinbauern und Fischer wurden vertrieben, kleine bäuerliche Betriebe verdrängt und die Konzentration des Landbesitzes in der Region nahm zu. Die katastrophalen ökologischen Folgen des Stausees für den Nordosten Brasiliens waren dann in den 90er Jahren spürbar: Die Böden laugten aus und der Grundwasserspiegel sank. Die Abholzung der natürlichen Vegetation für riesige Monokulturen wie Eukalyptus und Soja führten zur Austrocknung von Quellflüssen. Der natürliche Wasserzyklus wurde so verändert, dass die Fischbestände drastisch zurückgingen. Der Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln vergiftete das Wasser. Die Unternehmer, die ihr Bewässerungsprojekt mit billigen Tagelöhnern betreiben, exportieren im Jahr über 500.000 t Nahrungsmittel. Das heißt zum Beispiel, dass von 100 Apfelsinen 3 im Land bleiben. Die Großgrundbesitzer, die Investoren, die Banken und die internationalen Handelsketten bereichern sich, während die Bewohner vor Ort hungern. Auch Deutschland ist mitverantwortlich für die Entstehung gigantischer Wasserkraftwerke und Bewässerungsprojekte im Trockengebiet Brasiliens: durch finanzielle Unterstützung (z.B. den deutschen Kredit für den Wiederaufbau, KfW), durch die Absicherung dieser Vorhaben, durch die deutsche Hermesbürgschaft und nicht zuletzt auch durch das Konsumverhalten jedes Einzelnen.

Der aktuelle Stand des Bewässerungsprojektes
Laut Entwicklungsplan 2004-2007 der Regierung Lulas sollen 127m³/sec Wasser des São Francisco Flusses abgeleitet und 180.000 ha großzügig damit bewässert werden. Agroindustrielle Großunternehmer, die unangepasste Landwirtschaft in der Region betreiben, rechnen mit dieser Wassermenge. Die Regierung hofft, dass das Problem der Dürre dort so gelöst wird. Anlässlich dieses Bewässerungs- und Umleitungsplanes trat der brasilianische Bischof Dom Luiz Flávio Cappio am 26. September 2005 in einen unbefristeten Hungerstreik, um zu bewirken, dass die Regierung die betroffenen Einwohner bei der Entscheidung des Umleitungsplans einbezieht. Dom Luiz, 58 Jahre, ist Bischof von Barra, einer Diözese im armen Nordosten Brasiliens. Nach 12 Tagen beendete der Bischof den Hungerstreik, als die brasilianische Regierung unter Luiz Inácio Lula da Silva im Streit um die Verlegung des Flusses einlenkte und Kompromissbereitschaft signalisierte.