„Mit Vorsatz und Kalkül“: VW mit dem Black Planet Award als übelstes Unternehmen 2018 ausgezeichnet

Diesel-"Betrug" und Weigerung, historische Verantwortung für die Kollaboration mit der brasilianischen Militärdiktatur zu übernehmen, zentrale Begründungen in der Schmährede auf Volkswagen.
| von KoBra
„Mit Vorsatz und Kalkül“: VW mit dem Black Planet Award als übelstes Unternehmen 2018 ausgezeichnet
Der Black Planet Award 2018 ging diesmal an VW. Foto: ethecon

KoBra dokumentiert die diesjährige Schmährede zum ethecon Black Planet Award 2018 in voller Länge.


Black Planet Award 2018
Schmährede auf Volkswagen sowie auf die Herren Herbert Diess, Hans-Dieter Pötsch, Wolfgang Porsche und Stephan Weil


Gehalten von Christian Russau
Vorstandsmitglied des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre
Berlin, Pfefferberg, Samstag, 17. November 2018

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
ich wurde gebeten, hier und heute die Schmährede auf Volkswagen zu halten. Da gäbe es viel zu erwähnen. Die ganze Liste der Untaten des Wolfsburger Konzerns können Sie bei ethecon nachlesen.
Ich möchte Ihre und meine Zeit hier aber nicht über die Gebühr strapazieren, daher werde ich mich ausschließlich auf zwei besonders kritische Momente fokussieren. Das eine dürfte Ihnen aus den Medien zu Genüge bekannt sein, das andere könnten Sie gehört haben, es könnte aber auch sein, dass es im Medientrubel etwas unterging.
Zunächst zum ersten Thema meiner Ausführungen heute, zuerst zum „Diesel-Betrug“. „Manipulation“ geistert da als gern verwendeter Begriff verharmlosend durch die Medien. Aber es geschah vorsätzlich, mit Berechnung und Kalkül, da wirkt Manipulation wohl eher fehl am Platze. Schließlich assoziiert „Manipulation“ im Sprachgebrauch so etwas wie entweder „Beeinflussung der öffentlichen Meinung“ oder bezeichnet schlicht „Machenschaft“ oder „Kniff“. War demnach das Ganze bei Volkswagen & Co nur ein geschickter Kniff, so wie man das Schlitzohr auf dem Fußballplatz, das sich durch die Schwalbe den Elfmeter ergattert hat, auf den Rängen der eigenen Mannschaft hinterher frenetisch feiert und sich dabei ins Fäustchen lacht?
Nein, es geht hier um viel Grundlegenderes: „Dieselgate“ läuft schon über drei Jahre und noch immer fehlt ein Konzept. Denn noch jetzt werden Umwelt und Bürger weiter geschädigt, Kundinnen und Kunden in Europa mit wirkungslosen Software-Updates abgespeist, die am Ende nur einen Zweck haben: eindeutig illegale Software durch solche zu ersetzen, die vom Gesetzgeber als legal beschienen wird. Merklich sauberer werden die Autos dadurch nicht, viele könnten dadurch sogar kaputtgehen oder verbrauchen mehr Treibstoff. Offenbar aber war es hierzulande nie der Plan, zu seinen Fehlern zu stehen und die Folgen zu beseitigen. Es ging wohl nur darum, Strafen zu umgehen, ein Goldesel – wie der von Volkswagen allemal – springt halt nur so hoch, wie es die Rendite zulässt. Und ein Goldesel ist die VW AG auch in Zeiten der „Dieselthematik“, des „Abgasskandal“, der „Motorenmanipulation“ oder wie sie es nach wie vor immer wieder nennen, VW ist so ein Goldesel mehr denn je. Hohe Dividenden sollen die Aktionärinnen und Aktionäre davon überzeugen, dass die Manager*innen gute Arbeit leisten.
Dass auch Diesel-Modelle von Porsche, Audi und VW mit neuerer Abgasnorm zeitweise nicht mehr verkauft werden durften, zeigt, dass die illegalen Manipulationen auch nach Dieselgate noch weitergingen (und gehen?!). Mit Porsche verzichtet die erste Konzerntochter zukünftig komplett auf Diesel. Die VW-Marke stellt klar, wohin die Reise gehen soll. Statt innovative, kleine und leichte Fahrzeuge zu konstruieren und zu bauen, soll solange der Rahm von der Milch abgeschöpft werden wie es geht.
Doch schauen wir uns kurz noch einmal die größere Dimension an: „Diesel-Betrug“ sagte ich eingangs. „Betrug“ definiert der Duden als „bewusste Täuschung, Irreführung einer anderen Person“, interessanterweise aber wird Betrug gelistet unter den Vermögensdelikten. Ginge es dabei „nur“ um die Frage, dass Kundinnen und Kunden von einem Konzern etwas anderes als das Versprochene verkauft wurde, dass also mehr Geld im Tausch gegen ein Produkt von den Kundinnen und Kunden aufgebracht werden musste, also einer den anderen schlicht beschupst und behupst hat, so könnte man das gutwillig wohl einfach bezeichnen als ein dem Kapitalismus innewohnendes Prinzip. Auch könnten wir darüber sinnieren, dass den Kundinnen und Kunden nicht etwas anderes als das Versprochene, sondern sogar darüber hinaus etwas mehr als das Versprochene verkauft wurde, was so in den Verkaufskontrakten aber einfach nicht beim Namen benannt wurde: ein „defeat device“ – oder nennen wir es der Einfachheit halber: „illegale Abschalteinrichtung“.
Nun ist die Frage hier für uns aber nicht in erster Linie die eines Betrugs an den Kundinnen und Kunden als klassische Form eines Vermögensdelikts. Denn dann müssten wir ja auch die für einige unangenehmen Fragen stellen, ob die Kundinnen und Kunden nicht doch recht zufrieden mit der Lösung waren, dass sie sich im selbstzufriedenen Himmel der vermeintlich „sauberen Individualmobilität“ bewegen und keine umwelt- und gesundheitspolitische Verantwortung für ihr Handeln zu tragen haben. Aber das Thema, dem ich mich hier heute widme, soll eben vorrangig nicht als eines des klassischen Betrugs als Vermögensdelikt verstanden werden. Sondern als Verbrechen.
Der Vorstand Herbert Diess, der Aufsichtsrat Hans Dieter Pötsch sowie die Großaktionäre Wolfgang Porsche und Stephan Weil, der Ministerpräsident Niedersachsens von der SPD, tragen die Verantwortung für die Gefährdung menschlicher Gesundheit und die Zerstörung der Umwelt. In internationalen Kartellen verhindern sie sozial verträgliche und ökologische Mobilitätskonzepte und scheuen dann – konsequenterweiser aus ihrer Logik – auch nicht davor zurück, die Feinstaubbelastung durch Dieselmotoren mit verbrecherischer Software zu vertuschen. Es handelt sich dabei also um ein Verbrechen, das die Gesundheit von Menschen angreift und bedroht, also einen Angriff auf die physische Unverletzlichkeit der Menschen darstellt. Und es ist ein wissentlicher und vorsätzlicher Angriff auf unsere Umwelt. Mit Vorsatz und Kalkül.
„Mit Vorsatz und Kalkül“ – das bringt mich zum zweiten großen Thema meiner Ausführungen.
Es geht um die Kollaboration von Volkswagen do Brasil mit der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985). VW-Mitarbeiter in São Bernardo do Campo, etwas südlich von São Paulo gelegen, wurden in den sogenannten „bleiernen Jahre“ der Militärdiktatur – also vor allem zwischen Ende 1968 und Mitte 1974, als die Repression in Brasilien am heftigsten wütete, als verhaftet wurde, wer der Opposition verdächtigt wurde, als gefoltert wurde, wer Gewerkschafter war, als ermordet wurde, wer als Kommunist galt – wurden also die VW-Mitarbeiter von Volkswagen bespitzelt, Informationen über diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an die Repressionsorgane der Militärdiktatur gezielt weitergegeben, und daraufhin mehrere VW-Mitarbeiter verhaftet und in den Gefängnissen schwerst gefoltert. Teilweise monatelang.
Wir vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre haben seit 2014 Volkswagen aufgefordert, die VW-Geschichte in Brasilien in Fragen der Kollaboration mit der brasilianischen Militärdiktatur (1964-85) aufzuarbeiten, Verantwortung zu übernehmen und bei den Opfern öffentlich um Entschuldigung zu bitten und endlich Entschädigungszahlungen zu leisten.
Mittlerweile liegen zwei ausführliche historische Untersuchungen vor. Eine hat Professor Christopher Kopper von der Uni Bielefeld im Auftrag von VW erstellt. Die andere wurde vom ehemaligen Polizeikommissar Guaracy Mingardi verfasst, der sie als offizieller Gutachter der brasilianischen Bundesstaatsanwaltschaft erstellt hat. Die brasilianische Bundesstaatsanwaltschaft ermittelt seit September 2015 gegen Volkswagen do Brasil , nachdem sich die betroffenen brasilianischen Arbeiter gemeinsam mit elf Gewerkschaftsdachverbänden im „Fórum de Trabalhadores por Verdade, Justiça e Reparação“ („Arbeiterforum für Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung“) zusammengeschlossen haben und bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen VW do Brasil erstattet haben.
Wir haben also den sog. „Kopper“-Bericht, und den sog. „Mingardi“-Bericht. Und beide Berichte sind in ihrem Tenor ähnlich: Beide Berichte bestätigen grundsätzlich die Vorwürfe der Kollaboration VWs mit der Militärdiktatur. Der Bericht Guaracy Mingardis bestätigt „nicht nur die Kollaboration durch den Informationsaustausch [mit den Repressionsorganen], sondern auch die aktive Repression der eigenen Mitarbeiter“. Die Aussagen der ehemaligen VW-Mitarbeiter Lúcio Bellentani und Heinrich Plagge, dass sie am Arbeitsplatz bei VW unter Beisein der VW-Sicherheitskräfte von Agenten der politischen Polizei des DOPS gefangengenommen wurden und von dort ins Folterzentrum DOPS verschleppt wurden, werden von Mingardi durch dessen Recherchen ebenfalls explizit bestätigt.
Mingardi bestätigt ebenfalls die Aussage Heinrich Plagges. Dieser hatte Mitte 2017 seine Aussage vor den Staatsanwälten getätigt. Am 8. August 1972 wurde er demnach gegen 14 Uhr in das Büro des VW-do-Brasil-Managers Ruy Luiz Giometti gerufen, wo neben Giometti zwei Unbekannte auf ihn warteten und Heinrich Plagge für verhaftet erklärten. Plagge wurde in das DOPS verschleppt, dort 30 Tage lang gefoltert und anschließend in ein Gefängnis verlegt, aus dem er am 6. Dezember – rund vier Monate nach seiner Verschleppung – freigelassen wurde.
Auch Heinrich Plagges Frau hat im vergangenen Jahr bei der brasilianischen Staatsanwaltschaft ausgesagt: Sie berichtet, wie am Tag des Verschwindens ihres Ehemanns am Nachmittag ein höherer VW do Brasil-Mitarbeiter zu ihr nach Haus kam und ihr mitteilte, ihr Mann habe kurzfristig für die Firma auf Dienstreise gehen müssen, daher habe er keine Zeit mehr gehabt, ihr dies mitzuteilen. Erst Monate später habe sie erfahren, wo Plagge war: im Folterzentrum DOPS. Dies weist eindeutig nicht nur auf Kenntnis der Verhaftung Plagges seitens des höheren Managements von VW do Brasil hin, sondern auch auf den mutmaßlichen Versuch, die Taten der Militärdiktatur zu verschleiern.
Am 6. März dieses Jahres ist Heinrich Plagge nach langer Krankheit in Brasilien verstorben. Plagge wurde 79 Jahre alt. Eine Entschuldigung seitens Volkswagen hat er nicht mehr erlebt.
Der „Kopper“-Bericht seinerseits bestätigt ebenfalls die Kollaboration von VW do Brasil mit den Repressionsorganen. Doch was macht VW daraus in einer schlauen, wie geschickten Pressemitteilung vom 14.12.2017? Volkswagen zieht in der Pressemitteilung komplett unzulässige Schlüsse aus dem sog. „Kopper“-Bericht. VW räumte in der Pressemitteilung zwar ein, dass es eine Zusammenarbeit zwischen „einzelnen Mitgliedern des Werkschutzes“ von Volkswagen do Brasil und der Politischen Polizei (DOPS) des früheren Militärregimes gegeben habe, dass aber andererseits jedoch keine klaren Beweise dafür gefunden wurden, dass die Zusammenarbeit auf einem „institutionellen Handeln seitens des Unternehmens“ basiert.
Wir vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre kritisieren diese von VW behauptete Einzeltäterthese scharf. Denn diese hanebüchene Einzeltäterthese trifft nach Quellenlage sowie den Untersuchungen von Christopher Kopper als auch der im Auftrag der brasilianischen Staatsanwaltschaft erstellten Untersuchung des ehemaligen Polizeikommissars Guaracy Mingardi zufolge nicht zu.
Denn der Bericht von Christopher Kopper legt klar und deutlich dar, dass der VW do Brasil-Werkschutz „auf eigene Initiative, aber mit dem stillschweigenden Wissen des Vorstands“ gehandelt hat. Das klingt ja so gar nicht mehr nach Einzeltat, denn wenn der weisungsbefugte Vorstand von VW do Brasil darüber Bescheid („mit stillschweigenden Wissen“) wusste, und damals, wie Christopher Kopper schreibt, „der Einsatz von Folter durch die politische Polizei bereits in der brasilianischen und in der deutschen Öffentlichkeit bekannt war“, dann hat der damalige Vorstand von VW do Brasil wissentlich und billigend in Kauf genommen, dass sein ihm weisungsgebunden unterstellter Werkschutz Menschen der Folter ausgeliefert hat.
Wann, wenn nicht in diesem Fall, sollte von Beihilfe zur Folter durch die damaligen VW do Brasil-Vorstände gesprochen werden?
Auch der „Mingardi“-Bericht zielt in diese Richtung und geht darüber noch hinaus: Guaracy Mingardi hat herausgefunden, dass Informationen an die brasilianischen Geheimdienste und deren Repressionsorgane vor der Freigabe über den Schreibtisch des damaligen VW do Brasil-Chefs Wolfgang Sauer gingen.
Unbestritten ist auch, dass die damaligen Vorstände von VW do Brasil über die Gräueltaten der brasilianischen Militärdiktatur wie Folter, Mord und Verschwinden-Lassen vollumfänglich Bescheid wussten. Ich zitiere in diesem Zusammenhang die Süddeutsche Zeitung vom 16.2.1973, in der der damalige VW do Brasil-Chef, Werner Paul Schmidt, mit den Worten zitiert wird: „Sicher foltern Polizei und Militär Gefangene, um wichtige Informationen zu erlangen, sicher wird beim Politisch-Subversiven oft gar kein Gerichtsverfahren mehr gemacht, sondern gleich geschossen, aber eine objektive Berichterstattung müßte jedesmal dazufügen, daß es ohne Härte eben nicht vorwärtsgeht. Und es geht vorwärts.“ [ZITAT ENDE] Auch der „Kopper“-Bericht legt dar, dass „der Einsatz von Folter durch die politische Polizei bereits in der brasilianischen und in der deutschen Öffentlichkeit bekannt war“. [ZITAT ENDE]
Daraus lässt sich nur folgender Schluss zulässigerweise ziehen:
Wenn also dem damaligen Vorstand von VW do Brasil vollumfänglich bekannt war, dass Brasiliens Regime foltern und morden ließ, musste ihnen auch klar gewesen sein, was mit den Menschen passierte, nachdem VW do Brasil Informationen über diese Personen an das Folterregime weitergab. Der damalige Vorstand von VW do Brasil bestand aus deutschen Staatsbürgern, die in Deutschland von der Zentrale unter Vertrag genommen und in Deutschland bezahlt wurden. Die deutschen VW do Brasil-Chefs waren also als direkt aus Wolfsburg Entsandte in Brasilien tätig und vertraten somit den Volkswagen-Konzern unmittelbar. Somit trägt Volkswagen die volle Mitverantwortung dafür, dass seine VW do Brasil-Vorstände in São Paulo durch die Informationsweitergabe über eigene Mitarbeiter an das Folterregime wissentlich und billigend in Kauf genommen haben, dass sein ihm weisungsgebunden unterstellter Werkschutz Menschen direkt der Folter ausgeliefert hat.
Wie dieses Vorgehen von Volkswagen nicht als vorsätzliche und aktive Beihilfe zur Folter gewertet werden kann und VW weiterhin von einer Einzeltäterthese ausgeht, erschließt sich uns Kritischen Aktionärinnen und Aktionären in der Tat nicht.
Es wäre allerhöchste Zeit, dass VW endlich vollumfänglich und ehrlich und öffentlich dafür um Entschuldigung bei den betroffenen Arbeitern bittet, allerhöchste Zeit, dass VW über die brasilianische Bundesstaatsanwaltschaft in Verhandlungen mit den Arbeiterinnen und Arbeiter über hinreichende Entschädigungszahlungen eintritt und VW sich somit endlich seiner historischen Verantwortung stellt.
Dies ist trotz aller Fakten, die nun endlich – nach 40 Jahren – auf dem Tisch liegen, nicht geschehen. Daher weiß ich gar nicht, wie ich es in Worte fassen soll: „Verdienen“ Volkswagen und die Herren Diess, Pötsch, Porsche und Weil den „Black Planet Award 2018?
Gestatten Sie mir zum Abschluss noch einen Ausblick ins Heute, oder besser: ins drohende Morgen: Wie Sie vermutlich der Presse entnommen haben, in Brasilien wurde gerade ein neuer Präsident gewählt, der am 1. Januar kommenden Jahres sein Amt antreten wird. Oft wird er als „Trump der Tropen“ oder als „Rechtspopulist“ beschrieben. Das ist falsch.
Jair Bolsonaro ist – und vertrauen Sie meinen Worten, ich arbeite seit vielen Jahren zu Brasilien und mit den sozialen Bewegungen Brasilien zusammen – dieser Herr ist ein Faschist. Lösen Sie sich von dem Gedanken, ein Faschist müsste wie ein Mussolini oder Hitler gekleidet herumlaufen, denn das ist auch gar nicht von Bedeutung. Was wichtig ist, dass der gewählte Präsident Brasiliens angekündigt hat, dass er mit dem Aktivismus ein für alle Mal aufräumen will, dass die Opposition die Wahl zwischen Knast und Exil habe, mutmaßliche Kriminelle will er gleich erschießen lassen, Folter sei ein legitimes Mittel, das Problem der Militärdiktatur sei gewesen, dass sie statt zu foltern die Opposition besser gleich hätte erschießen sollen, die Landlosenbewegung MST und die Obdachlosenbewegung MTST will er als terroristische Organisationen einstufen, Indigenen will er keinen Zentimeter des Landes mehr für indigene Territorien geben, LGBTI* leben in Angst vor Übergriffen und Gewalt.
Bei solch ungeschminkt faschistischen Aussagen würde eine deutliche Distanzierung zu erwarten sein. Auch und nicht zuletzt von Deutschland.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Jair Bolsonaro zu seinem Wahlsieg bei der Präsidentschaftswahl in Brasilien jedenfalls gratuliert. „Unsere beiden Länder sind seit Langem durch freundschaftliche Beziehungen und gemeinsame Interessen verbunden“, sagte Merkel wenige Tage nach der Wahl in Brasilien.
Diese „freundschaftlichen Beziehungen und gemeinsame Interessen“ kommen nicht von ungefähr. Brasilien ist für die deutsche Wirtschaft schon lange ein gewichtiger Stützpfeiler. Heutzutage gibt es rund 1.300 deutsche Firmen mit Niederlassung in Brasilien, der Großteil davon befindet sich in der Metropolregion von São Paulo. Kennen Sie die Region weltweit, die – nach dem Ruhrgebiet – die weltweit größte deutschen Industriekonzentration in absoluten Zahlen aufweist? Die Großregion São Paulo. Dieser Teil der deutschen Wirtschaft stellt einen dermaßen gewichtigen Anteil der brasilianischen Wirtschaft dar, da sie zwischen zehn und zwölf Prozent des brasilianischen Industriewirtschaftsprodukt erwirtschaftet. Brasilien seinerseits ist Deutschlands größter Handelspartner in Lateinamerika.
Da wundert es wenig, wenn bereits vor der Wahl die in Brasilien aktiven deutschen Firmenchefs wenig Vorbehalte gegen Bolsonaro offenbarten. Im Gegenteil: die Deutsche Bank tweetete kurz vor der Wahl, „Bolsonaro ist der Wunschkandidat der Märkte“. Und auch der Lateinamerika-Chef von Bosch, Wolfram Anders, seines Zeichens auch Vorsitzender der deutsch-brasilianischen Handelskammer AHK São Paulo tweetet seit Wochen fröhlich, er wünsche Bolsonaro viel Erfolg und Glück, denn mit einem Kandidaten wie Fernando Haddad drohe ja aus Brasilien ein weiteres Venezuela zu werden.
Einem Bericht des Handelsblatt zufolge erklärten sechs namentlich nicht genannte Firmenchefs von in Brasilien aktiven deutschen Unternehmen, sie erwarteten nach einer Wahl Bolsonaros die Rückkehr von Stabilität und Wirtschaftswachstum. Und die Firmenbosse zeigten sich nicht weiter besorgt über Bolsonaros Glorifizierung der brasilianischen Militärdiktatur, auch Bolsonaros offenkundige „Defizite in Sachen Rechtsstaatlichkeit“ wie die „Befürwortung von Folter als legitimen Mittel polizeilicher Ermittlungsarbeit“ bereitete den Konzernchefs laut dem Medienbericht keine Bauchschmerzen. Im Gegenteil: sie bejubeln einen Bolsonaro regelrecht. Horkheimer sagte, „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“
Dennnoch ist es angesichts der deutschen Faschismus-Erfahrung umso erschütternder und es macht einen schlicht fassungslos zu sehen, wie nahtlos die Sympathie von deutschen Firmenchefs zu einem erklärten Anti-Demokraten sein kann, zu einem, der für jeden halbwegs Grips sein eigen nennenden Menschen offensichtlich als Faschisten zu erkennen ist. Hier offenbaren die Kapitalisten ihre zutiefst psychopathischen Züge.
Und wieder spielt Volkswagen in vorderster Front mit. Ich zitiere die Neue Zürcher Zeitung, 14.11.2018: „Auch dass Bolsonaro sein künftiges Kabinett mit Militärs besetzen will, stört die Wirtschaftsvertreter nicht. Die Generäle seien bei Themen wie Sicherheit und Infrastruktur gut vorbereitet, heisst es. Das letzte Mal, dass der Staat in Brasilien kompetent die Infrastruktur geplant und ausgebaut habe, sei unter den Militärs vor 50 Jahren geschehen, sagt Roberto Cortes, CEO von VW Truck & Bus in Brasilien.“ [NZZ-ZITAT ENDE]
Na, erinnert Sie das an was? Ja, genau, hier wird das alte erzreaktionärste „Aber er hat doch die Autobahnen gebaut...“-Argument gefahren. Von einem hohen VW-Manager.
Deutsche Konzernchefs von heute treten also – wie es scheint – unmittelbar in die Fußstapfen ihrer Vorgänger aus den 1970er Jahren. Es wäre zu lapidar, dass Bonmot von Marx zu wiederholen, die Geschichte ereigne sich das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Denn es ist schlicht ein fassungslos machender Skandal: VW weigert sich noch immer, Entschädigungen für die damals direkt und wissentlich der Folter ausgelieferten VW-Mitarbeiter*innen zu leisten. Und nun tragen zeitgleich deutsche Firmenchefs in Brasilien offenkundig zur Schau, dass sie sich nicht um die aktuelle Entwicklung in Brasilien in Sachen Rechtsstaatlichkeit in Menschenrechtsfragen scheren, dass ihnen ein Präsident, der unverhohlen davon redet, wie er politische Gegner foltern, ermorden oder ins Exil abschieben will, dass ihnen das solange egal ist, wie es nicht sie selbst und ihre Familienangehörigen treffe.
Profit geht ihnen wie immer über alles.
Das macht mich fassungslos.
Daher endet dieser Redebeitrag jetzt auch hier, so vollkommen unvermittelt und:
– unversöhnlich.
Dennoch danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.