Zweiter Bericht über die Umsetzung der Empfehlungen Deutschlands an Brasilien im Rahmen des UPR-Verfahrens – 2025

Das Movimento Nacional de Direitos Humanos (MNDH Brasil) erstellte (mit Unterstützung der Articulação para o Monitoramento dos Direitos Humanos no Brasil (AMDH)) diesen Bericht zum Stand der Umsetzungen der Empfehlungen dritter Staaten an Brasilien im UN-Menschenrechtssystem und fokussiert dabei auf die Empfehlungen Deutschlands an Brasilien in den drei Bereichen außergerichtliche Hinrichtungen, den Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen und den Schutz der Indigenen Völker.
| von Christian.russau@fdcl.org
Zweiter Bericht über die Umsetzung der Empfehlungen Deutschlands an Brasilien im Rahmen des UPR-Verfahrens – 2025

ZWEITER BERICHT ÜBER DIE UMSETZUNG DER EMPFEHLUNGEN DEUTSCHLANDS AN BRASILIEN IM RAHMEN DES UPR-VERFAHRENS – 2025

Brasilien, September 2025.

Aktualisiert im Dezember 2025

Vorstellung

1. Dieses ist der zweite Bericht über die Umsetzung der Empfehlungen, die der deutsche Staat im Rahmen des IV. Zyklus des Allgemeinen Periodischen Überprüfungsverfahrens (UPR) an Brasilien übermittelt hat. Dieser Bericht zielt darauf ab, die verschiedenen für die Umsetzung der Empfehlungen zuständigen Stellen zu unterstützen.

Kurze Kontextualisierung

2. Der brasilianische Staat unterlag 2022-2023 im Rahmen des Allgemeines Periodisches Überprüfungsverfahren (UPR) des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen dem wiederkehrenden Überprüfungszyklus. Zu Beginn des 4. Zyklus’ nahm Brasilien die Empfehlungen1 der 52. Tagung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen am 27. März 2023 entgegen. Deutschland legte dabei drei Empfehlungen vor: eine über außergerichtliche Hinrichtungen (149.95), eine über den Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen (149.163) und einen über den Schutz der Indigenen Völker (149.257). Alle Empfehlungen wurden seitens des brasilianischen Staates angenommen.

3. Sämtliches diesbezügliches Vorgehen der brasilianischen Zivilgesellschaft im Rahmen dieses Prozesses erfolgte vernetzt über das Coletivo RPU Brasil,2 bei dem die diesen Bericht unterzeichnenden Organisationen Mitglieder sind. Dieses Netzwerk ist von fundamentaler Bedeutung für den Aufbau von Konvergenz und die Artikulation der Interessenvertretung gegenüber den verschiedenen Staaten, die am Überprüfungsprozess bei den Vereinten Nationen teilnehmen, sowie gegenüber dem brasilianischen Staat3.

4. Das Coletivo RPU stellte dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen anlässlich seiner 60. Sitzung im Rahmen eines Parallelevents am 18. September 2025 einen Halbzeitbericht vor4. Dieser hier vorliegende Bericht ist in gewissem Sinne eine Zusammenfassung des Berichts des Coletivo RPU

5. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen sind weiterhin ziemlich besorgt in Bezug auf den Prozess der Überwachung und Umsetzung der Empfehlungen, da der brasilianische Staat nur wenige Schritte zur Umsetzung eines Mechanismus und eines Systems zur Überwachung der internationalen Menschenrechtsempfehlungen unternommen hat (Recommendations Monitoring System - SIMORE of Brazil: Sistema de Monitoramento das Recomendações Internacionais de Direitos Humanos (Simore brasileiro). Für das Jahr 2026 wird die Ankündigung dieses für die Durchführung eines Monitorings so wichtigen Instruments erwartet.

6. Die Empfehlungen Deutschlands lauten:

149.95 End extrajudicial killings by police units and associated impunity, including by expanding the use of less-lethal weapons and bodycam.

149.163 Ensure that the national programme for the protection of human rights defenders is implemented in all states and is adequately funded.

149.257 Protect Indigenous Peoples from threats and attacks and guarantee their land rights, in particular by resuming and completing land demarcation processes, providing adequate resources to the National Indian Foundation, fully recognizing autonomous consultations and consent protocols, and strengthening land protection orders.

Kurzer Bericht über jede Empfehlung

Wir stellen den aktuellen Sachstand vor, gefolgt von einer kurzen Analyse jeder einzelnen der Empfehlungen und nehmen hierzu als Basis der Analyse, wie angezeigt, den Halbzeitbericht des Coletivo RPU.

149.95 Extrajudicial killings

[End extrajudicial killings by police units and associated impunity, including by expanding the use of less-lethal weapons and bodycam]

7. Aktueller Sachstand: NICHT UMGESETZT

8. Kurzanalyse: In diesem letzten Jahr gab es keine wesentlichen Veränderungen in Bezug auf dieses Thema, weder in der Realität noch bei der Ergreifung von Maßnahmen, um dem entgegenzuwirken.

9. Die Polizeigewalt bleibt auf hohem Niveau. Laut dem Jahresbericht 2025 des Fórum Brasileiro de Segurança Pública5 wurden zwischen 2014 und 2024 60.394 Menschen Opfer von tödlicher Polizeigewalt, wobei es Bundesstaaten gibt, in denen der Anstieg deutlicher war: hervorstechen tun São Paulo, mit einem Anstieg 60,9% bei den Toten infolge Polizeihandelns, sowie Minas Gerais, mit einem Anstieg 45,5%. Im Jahr 2024 lag der proportionelle Anteil der Toten infolge Polizeihandelns deutlich über den in nationalen und internationalen Studien errechneten Parametern (die bei rund 10% liegen), was einem Anteil von 14,1 % aller vorsätzlichen Tötungsdelikte im Land entspricht. Bei Einsätzen von aktiven Zivil- und Militärpolizisten, sowohl im Dienst als auch außerhalb des Dienstes, wurden 6.243 Menschen getötet, was einer Rate von 2,9 Todesfällen pro 100.000 Einwohner entspricht (ein leichter Rückgang von 3,1 % bei der absoluten Zahl der Opfer im Vergleich von 2024 zu 2023). Die Tötungsrate durch Polizeikräfte ist ein selektives Phänomen in Bezug auf das Profil der Opfer, da bestimmte Bevölkerungsgruppen stärker betroffen sind als andere. Die große Mehrheit der Opfer ist männlich (99,2 %). Ein weiterer selektiver Faktor ist Race/Hautfarbe, da die Prävalenz bei 82 % liegt, was bedeutet, dass die Zahl afrobrasilianischer Opfer von Polizeigewalt 3,5-mal höher ist als die der weißen Opfer.

10. Der brasilianische Staat wurde wegen Polizeigewalt in verschiedenen internationalen Verfahren verurteilt. Zusätzlich zu den im Bericht von 2024 genannten Fällen [Operação Castelinho (São Paulo)6 und António Tavares (Paraná)7] wurde Brasilien auch im Fall der Favela Acari (Rio de Janeiro)8 für die Ermordung von 11 Jugendlichen im Juli 1990 durch Todesschwadrone verurteilt. Die meisten der festgelegten Maßnahmen werden weiterhin nicht umgesetzt.9 Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs STF im Grundsatzurteil ADPF Nr. 635,10 welche eine Reihe von Verfahren für Polizeieinsätze in Favelas festlegte, wurde bei einem Polizeieinsatz am 28. Oktober 2025 eklatant missachtet, was zum größten Massaker in der Geschichte Brasiliens mit mehr als 130 Toten führte.11

11. Was den Einsatz nicht-tödlicher Waffen und den Einsatz von Körperkameras betrifft, so entspricht die Position der des Vorjahresberichts, da zwar einige Fortschritte zu verzeichnen sind, diese jedoch sehr gering sind, da die rechtliche Verantwortung für die Polizeikräfte bei den Bundesstaaten liegt, denen diese Entscheidungen obliegen. Laut dem Anuário da Segurança Pública 2025 sind es 10 Bundesstaaten, in denen es Programme für den Einsatz von Bodycams gäbe, was einen leichten Anstieg andeutet, was aber auch zeigt, dass die von der Bundesregierung mittels des Ministeriums für Justiz und Öffentliche Sicherheit MJSP getroffenen Maßnahmen dergestalt nicht effektiv sind, dass sie die Zuweisung von Bundesmitteln an die Übernahme solcher Maßnahmen bedingt koppeln könnte. Ende 2024 hat die Bundesregierung eine Aktualisierung der Richtlinie erlassen, welche die Anwendung von Gewalt und weniger aggressiven Mitteln durch die Polizei aktualisiert und ein neues Bundesdekret veröffentlicht.12 Eine der Neuerungen ist die Einrichtung des Comitê Nacional de Monitoramento do Uso da Força, eines Nationalen Ausschusses zur Überwachung der Gewaltanwendung, an dem auch Vertreter:innen der Zivilgesellschaft beteiligt sind.13

149.163 Schutz der Menschenrechtsverteidiger:innen

[Ensure that the national programme for the protection of human rights defenders is implemented in all states and is adequately funded.]

12. Aktueller Sachstand: TEILWEISE UMGESETZT

13. Kurzanalyse: Menschenrechtsverteidiger:inen sind in Brasilien weiterhin Gefahren ausgesetzt. Im letzten Jahr wurde die Veröffentlichung des neuen Nationalen Plans zum Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern erwartet, was erst durch das Dekret Nr. 12.170 vom 5. November 202514 ermöglicht wurde, aber der Text wurde bislang noch nicht veröffentlicht, was erst durch eine Ressortübergreifende Verordnung geschehen wird.

14. Die Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger:innen nimmt weiter zu. Eine kürzlich von Menschenrechtsorganisationen veröffentlichte Studie15 hat für die Jahre 2023 und 2024 insgesamt 318 Gewalttaten mit 486 Opfern dokumentiert, darunter 364 Einzelpersonen und 122 Kollektive wie ganze Gemeinschaften, soziale Bewegungen und Organisationen. In der historischen Reihe (2019-2024) wurden im Land insgesamt 1.657 Fälle von Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger:innen registriert. In den letzten zwei Jahren wurden 55 Morde, 96 Anschläge auf das Leben, 175 Drohungen und 120 Fälle von Kriminalisierung identifiziert. Im gleichen Zeitraum richteten sich 80,9 % der registrierten Fälle gegen Personen, die sich für den Umwelt- und Territorialschutz einsetzen.

15. Im vergangenen Jahr wurden keine neuen Programme zum Schutz der Menschenrechtsverteidiger:innen in den Bundesstaaten aufgelegt. Beibehalten wurden die Programme in Pará, Maranhão, Ceará, Paraíba, Pernambuco, Bahia, Minas Gerais, Rio Grande do Sul und Mato Grosso. In Rio de Janeiro, Amazonas und Espírito Santo wurden die Programme nicht reaktiviert und in diesen, wie in den anderen 18 Bundesstaaten ist das Bundesprogramm aktiv, mit Sitz in Brasília und mit dezentralen Gruppen in Rondônia, Amazonas, Rio de Janeiro, Roraima und Mato Grosso do Sul. Eine Bilanz der Politik der Öffentlichen Hand in Bezug auf Schutzprogramme findet sich in der Veröffentlichung des Comitê Brasileiro de Defensores/as de Direitos Humanos.16

16. Das Ministerium für Menschenrechte und Bürgerliche Teilhabe MDHC informierte17, dass es zwischen 2014 bis Mai 2025 einen Anstieg bei der Zahl der Anträge auf Aufnahme von 1.337,5% im gesamten Land gab. Bis Ende Mai 2025 befanden sich 1.414 Menschenrechtsverteidiger:innen im ganzen Land in Schutzprogrammen, mit folgenden Aufteilungen nach Bundesstaaten: 162 in Pará, 146 in Bahia, 132 in Maranhão, 122 in Minas Gerais, 117 in Ceará, 108 in Amazonas, 87 in Rio de Janeiro, 50 in Mato Grosso do Sul, 48 in Rondônia, 48 in Pernambuco, 44 in Paraná, 43 in Espírito Santo, 40 in São Paulo, 35 in Rio Grande do Sul, 34 in Roraima, 32 in Mato Grosso, 22 in Santa Catarina, 20 in Piauí, 19 in Paraíba, 19 in Alagoas, 18 in Sergipe, 14 in Acre, 13 in Rio Grande do Norte, 12 im Bundesdistrikt, 12 in Goiás, 9 in Tocantins und 8 in Amapá.

17. Gegen Ende der Regierung Bolsonaro befanden sich im Haushalt für das Nationale Schutzprogramm der Menschenrechtsverteidiger:innen PPDDH noch R$ 9 Millionen. Die neue Regierung unternahm Schritte zur Haushaltsumschiebung und schaffte es, dass der neue Haushaltstitel für das Schutzprogramm für das Jahr 2023 R$ 18,9 zur Verfügung hatte. Ende 2024 informierte das Menschenrechtsministerium O MDHC informou, es habe R$ 30,1 Millionen in den Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen investiert.

18. Im Jahr 2024 wurden wichtige, die Institutionen zum Schutze der Menschenrechtsverteidiger:innen stärkenden Schritte unternommen. Zu den Maßnahmen gehören die Wiedereinsetzung des Beratungsgremiums des Bundesprogramms18 mit paritätischer Besetzung aus Vertreter:innen der Öffentlichen Hand und der Zivilgesellschaft sowie die Einrichtung und Einsetzung der Technischen Arbeitsgruppe (GTT) Sales Pimenta.19 Die GTT arbeitete im Jahr 2024 an der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs zur Institutionalisierung der Politik zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen. Des Weiteren erstellte die GTT einen Vorschlag für einen Nationalen Plan zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen vor und legte diesen vor. Damit kam sie einer gerichtlichen Anordnung nach. Die Dokumente wurden dem Menschenrechtsministerium MDHC am 12. Dezember 2024 übergeben. Derzeit wird auf die Veröffentlichung des Plans per Dekret durch den Präsidenten der Republik und die Übermittlung des Gesetzentwurfs durch die Bundesregierung an den Nationalkongress gewartet.

149.257 Schutz der Indigenen Völker

[Protect Indigenous Peoples from threats and attacks and guarantee their land rights, in particular by resuming and completing land demarcation processes, providing adequate resources to the National Indian Foundation, fully recognizing autonomous consultations and consent protocols, and strengthening land protection orders.]

19. Aktueller Sachstand: TEILWEISE UMGESETZT MIT ASPEKTEN VON RÜCKSCHRITTEN

20. Kurzanalyse: Der Hauptgrund für die Rückschrittssituation liegt in der Pattsituation bei der sog. Stichtagsregelung „Marco Temporal“20. Was die teilweise erfüllten Punkte betrifft, so handelt es sich um Initiativen im Bereich der Politik der Öffentlichen Hand. Im Folgenden werden wir jeden dieser Aspekte näher erläutern.

21. Ein Drittel der indigenen Gebiete verfügt nicht über die Rechtssicherheit, die der Abschluss des Demarkationsprozesses mit dem vollständigen Besitz durch die indigenen Gemeinschaften garantiert. Die derzeitige Regierung hat die Agenda zur Demarkation indigener Gebiete nach vier Jahren Stillstand während der Regierung Bolsonaro wieder aufgenommen. 13 Gebiete wurden bereits homologisiert und weitere 10 wurden ausgewiesen. Die Bundesbehörde für Indigene Völker (Funai) hat die Identifizierungsstudien für drei indigene Gebiete genehmigt und 32 technische Gruppen für die Identifizierung und Abgrenzung weiterer Gebiete eingesetzt. Was den Schutz von Gebieten für isolierte indigene Völker betrifft, so wurde der Zugang zu zwei Gebieten durch die Funai eingeschränkt. Allerdings befinden sich 167 indigene Gebiete im Demarkationsprozess (einschließlich der Gebiete mit Nutzungsbeschränkungen für isolierte Völker), deren Identifizierungsstudie von der Funai noch nicht einmal abgeschlossen wurde; 36 Gebiete wurden von der Funai im Detaillverfahren zur Identifizierung und Ausweisung identifiziert und warten auf die Erklärung durch das Justizministerium MJSP; 68 Gebiete wurden vom MJSP ausgewiesen und warten auf die homologisierende Genehmigung durch den Präsidenten. Schließlich befinden sich 20 im Prozess der Regularisierung als indigene Territorien. Nach offiziellen Angaben des brasilianischen Staates gibt es im Jahr 2024 291 indigene Gebiete, deren administrative Demarkationsverfahren noch nicht abgeschlossen sind. In mehreren dieser Fälle gibt es offene Konflikte.

22. Der brasilianische Nationalkongress hat bei der Gewährleistung der Rechte der indigenen Bevölkerung Rückschritte vollzogen. Der Nationalkongress hat Gesetzesentwürfe verabschiedet, die den rechtlichen Schutz der Ländereien und Rechte der indigenen Völker schwächen, darunter auch Texte, die gegen die Bundesverfassung verstoßen und vor dem Obersten Bundesgericht STF angefochten werden. Der Oberste Bundesgerichtshof STF erklärte im September 2023 in seinem Urteil zum sog. Thema 1031 die These der Stichtagsregelung „Marco Temporal“ für verfassungswidrig und bestätigte darüber hinaus weitere Grundrechte der indigenen Völker, wie beispielsweise die Möglichkeit einer erneuten Überprüfung bereits abgegrenzter Gebiete. Der Nationalkongress verabschiedete jedoch 2023 das Gesetz Nr. 14.701, das einige Thesen als Kriterien für die Demarkation indigener Gebiete vorschreibt und die Stichtagsregelung wieder einführt, wodurch alle Demarkationen, die nicht den darin festgelegten Vorschriften entsprechen, ungültig werden und die erneute Untersuchung bereits abgegrenzter Gebiete untersagt wird. Obwohl das Gesetz im Widerspruch zur Entscheidung des Obersten Bundesgerichts steht, bleibt es weiterhin in Kraft. Um eine Lösung zu finden, hat das Oberste Bundesgericht eine Schlichtungskammer eingerichtet, die 19 Schlichtungsanhörungen durchgeführt hat. Es kam jedoch zu keiner Einigung, kein Konsens und keine Legitimität der durchgeführten Arbeiten, da die indigenen Völker Widerstand leisteten und sich ab der zweiten Anhörung aus den Verhandlungen zurückzogen.21 22 Im Kongress wird derzeit ein Vorschlag zur Änderung der Verfassung (PEC) Nr. 48/2023 diskutiert, dessen Ziel es ist, § 1 des Artikels 231 der Bundesverfassung zu ändern, um die Stichtagsregelung auf Verfassungsebene ausdrücklich festzulegen. In der Abgeordnetenkammer wird der Gesetzentwurf Nr. 191/2020 behandelt, der darauf abzielt, den Bergbau auf indigenen Gebieten zu regulieren. Der Bundesrat hat den Gesetzentwurf Nr. 717/2024 verabschiedet, der die Dekrete zur Anerkennung der indigenen Gebiete Toldo Imbu (des Volkes der Kaingang) und Morro dos Cavalos (des Volkes der Guarani Mbya), beide in Santa Catarina, aufhebt. Dieser Gesetzentwurf wartet auf eine Entscheidung der Abgeordnetenkammer.

23. Die Gewalt gegen die Indigenen Völker – innerhalb und außerhalb ihrer Territorien – hielt während des vergangenen Jahres durchgängig weiter an. Die Langsamkeit beim Prozess der Demarkierung und Regularisierung der Indigenen Territorien schafft ein Klima der physischen und juristischen Unsicherheit, die ausgenutzt wird von organisierten Gruppen zur Aufrechterhaltung von Druck und Drohungen auf die Gemeinschaften. Ende 2023 wurde die als „Movimento Invasão Zero“ bezeichnete Gruppe bekannt23, die sich zusammensetzt aus mächtigen Vertreter:innen aus Politik und Wirtschaft verschiedener Bundesstaaten und die sich öffentlich sichtbar in sozialen Medien formierte und bewaffnete Operationen gegen Indigene Gemeinschaften organisierte in Gebieten, die von diesen als traditionelle Territorien beansprucht werden. Hervorzuheben ist die Gewalt gegen die indigenen Völker im Süden und äußersten Süden Bahias, gegen die Guarani und Kaiowá in Mato Grosso do Sul, gegen die Awá Guarani in Paraná, gegen die Guajajara in Maranhão und gegen die Tembé und Turiwara in Pará, um nur einige zu nennen. Laut dem Bericht „Gewalt gegen indigene Völker in Brasilien – Daten von 2024“24 des Indigenenmissionsrates Conselho Indigenista Missionário (CIMI) gab es 211 registrierte Morde an Mitgliedern indigener Völker, 57 davon in Roraima, 45 in Amazonas und 33 in Mato Grosso do Sul. Landesweit wurden mehr als 30 Angriffe auf indigene Gemeinschaften registriert, und mindestens zehn Menschen wurden durch Projektile verletzt: neun Avá-Guarani und ein Guarani Kaiowá, der eine Kugel im Kopf hatte. Die Maßnahmen des Staates zur Eindämmung der Gewalt waren bislang äußerst ineffizient. Abgesehen davon, dass es lange gedauert hat, bis die Entsendung von Einheiten der Nationalen Sicherheitskräfte (FNSP) beschlossen wurde, unternimmt diese Truppeneinheit nichts, um gewalttätige Aktionen gegen die Gemeinschaften zu verhindern oder zu unterbinden.

24. Die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für Menschenrechtsverteidiger:innen, Mary Lawlor, und die UN-Sonderberaterin zur Verhütung von Völkermord, Alice Wairimu Nderitu, waren beide im Laufe des Jahres 2024 zu offiziellem Besuch in Brasilien und warnten vor den Auswirkungen der langsamen Demarkation indigener Gebiete, vor der „Null-Invasion”-Bewegung und vor Gewalt gegen indigene Völker. Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Indigene Völker, Francisco Cali, äußerte sich im Juli 2024 ebenfalls scharf gegenüber dem brasilianischen Staat und brachte die Beibehaltung des Gesetzes Nr. 14.701/2023 mit den bestehenden Risiken von Gewalt und Vertreibung gegen indigene Gemeinschaften in Verbindung. Der Jahresbericht 2024 der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH/OAS) wies angesichts der Ausbreitung des illegalen Goldabbaus, der bewaffneten Gewalt und der schleppenden Landausweisung auf die systematische Nichteinhaltung der seit 2021 abgegebenen Empfehlungen zum Schutz der indigenen Völker durch Brasilien hin.

25. Die öffentliche Finanzierung für Maßnahmen zugunsten indigener Völker wurde zwar aufgestockt, reicht aber noch immer nicht aus. Im Jahr 2024 wurde der Haushalt von der neuen Regierung aufgestellt und entsprechend dem neuen Mehrjahresplan (PPA) der Bundesregierung (2024-2027) strukturiert. Es ist wichtig zu betonen, dass öffentliche Maßnahmen für indigene Völker, für die Umwelt und für ethnische Gleichstellung Querschnittsthemen des gesamten Mehrjahresplan PPA sind, um diese Themen wieder zu Prioritäten bei der Durchsetzung der Menschenrechte machen. Was den genehmigten Haushalt für die Funai betrifft, so lag dieser 2023 um 25,7 % höher als im Vorjahr und belief sich auf 846,87 Millionen R$. Die Ausführung war jedoch geringer als zuvor (-11,4 %). Nur 22 % der Mittel für endgültige Aktivitäten wurden tatsächlich ausgegeben. Und nur die Hälfte der für die Regularisierung und Demarkierung von Indigenengebieten vorgesehenen Mittel wurde ausgegeben. Das Ministerium für Indigene Völker MPI hatte in seinem ersten Jahr – 2023 – keine Prognosen für endgültige Haushaltsmaßnahmen erstellt, wobei 10,9 Millionen Real für die Einrichtung und Unterhaltung ausgegeben wurden. Im Jahr 2024 wurde ein Anstieg von 61,90 % bei den für die Landregulierung, den Schutz und die Verwaltung indigener Gebiete bewilligten Mitteln verzeichnet, die sich auf 377 Millionen R$ beliefen, von denen 53,92 % tatsächlich ausgeführt wurden. Es gab einen konstanten Anstieg der bewilligten Mittel, eine Zunahme der Mittelbindungen und der finanziellen Ausführung, auch wenn letztere stets unterhalb den verfügbaren Mitteln blieb.

26. Das Recht auf freie, vorherige und informierte Konsultation, wie sie von der Konvention Nr. 169 der ILO vorgeschrieben wird, wird noch immer nicht effektiv garantiert, denn es besteht eine große Kluft zwischen dem vorgesehenen Recht und der Ausarbeitung, der Umsetzung und der Überwachung öffentlicher Maßnahmen. Es gibt zahlreiche Beschwerden von Indigenen, deren Rechte nicht gewährleistet wurden, und es werden ineffiziente politische Maßnahmen für die Ureinwohner formuliert, da den kulturellen Besonderheiten und der Weltanschauung der Indigenen nicht die erforderliche Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dies äußert sich unter anderem darin, dass in vom Bergbau betroffenen Gebieten Lebensmittelpakete mit für die indigene Kultur ungeeigneten Lebensmitteln verteilt werden und Gesundheitsdienstleistungen, die nicht an die indigene Realitäten angepasst sind. Das Fehlen oder der Mangel an Dolmetscher:innen für Gesundheits-, Sicherheits- und viele andere Dienstleistungen, einschließlich des Zugangs zum Justizwesen, beeinträchtigt die angemessene Umsetzung der Rechte der Indigenen Völker.

 Dieser Bericht wurde erstellt vom Movimento Nacional de Direitos Humanos (MNDH Brasil) mit Unterstützung der Articulação para o Monitoramento dos Direitos Humanos no Brasil (AMDH), die sich zusammensetzt aus folgenden Mitgliedern: Movimento Nacional de Direitos Humanos (MNDH Brasil), Processo de Articulação e Diálogo (PAD) und Fórum Ecumênico Act Brasil (FE Act) sowie der Sociedade Maranhense de Direitos Humanos (SMDH). [Übersetzung ins Deutsche: Christian Russau]

1 Dokument A/HRC/WG.6/41/L.11. Portugiesischsprachige Übersetzung erfolgte durch das Ministerium für Menschenrechte und Bürgerliche teilhabe. Zugänglich unter www.gov.br/mdh/pt-br/navegue-por-temas/atuacao-internacional/organizacao-das-nacoes-unidas-onu/relatorios-e-recomendacoes-internacionais/revisao-periodica-universal-rpu/rpu-iv-ciclo/tabela-de-recomendacoes-iv-ciclo-rpu.pdf

2 Ein geschichtlicher Überblick über das Coletivo RPU Brasil findet sich unter https://iddh.org.br/?jet_download=13272. Der Bericht “Balanço do Advocacy do Coletivo RPU Brasil: um breve panorama sobre as atividades desenvolvidas pelo Coletivo RPU ist zugänglich unter https://plataformarpu.org.br/storage/publications_documents/j5J0HsypccM5u4VdOKEbx2FthYbbSenqdBfOPpq8.pdf .

3 Der Bericht der Organisationen der Zivilgesellschaft des Jahres 2022 findet sich hier https://plataformarpu.org.br/storage/publications_documents/IFpbrZH93ZynSsnw76LIxEQNTE8R2ilUCt2BxkK0.pdf

13 Reguliert durch die Verordnung des Ministeriums für Justiz und Öffentliche Sicherheit MJSP Nr. 885/2025. Siehe unter https://dspace.mj.gov.br/bitstream/1/14302/2/PRT_GM_2025_855.pdf

19 Die Dokumentation der Arbeiten der GTT Sales Pimenta findet sich unter www.gov.br/participamaisbrasil/gtt-sales-pimenta

20 Siehe die von CIMI erstellte Zusammenfassung unter https://cimi.org.br/wp-content/uploads/2024/04/Folder-MarcoTemporalAinda.pdf

21 Hier eine Zusammenfassung der Position des Dachverbands Articulação dos Povos Indígenas (APIB) in Bezug auf die Stichtagsregelung Marco Temporal: https://apiboficial.org/category/marco-temporal/

22 Der Oberste Gerichtshof STF hat für den 5. Dezember 2025 den ersten Verhandlungstag zu einer diesbezüglichen Entscheidungsfindung anberaumt.

Übersetzung: Christian Russau