Wie kommt das Wasser aus Brasilien nach Deutschland?

„Das Wasser ist alle“ könnte es in vielen Regionen der Erde auch deshalb bald heißen, weil wir uns durch den Import von „virtuellem Wasser“ der knappen Wasserreserven anderer Länder bedienen.
| von Marcos Antonio da Costa Melo (FUgE-News)

Obwohl die weltweiten Süßwasservorkommen im Prinzip ausreichen, um die gesamte Erdbevölkerung zu versorgen, bleibt heute etwa einem Fünftel der Menschheit der Zugang zu sauberem Wasser verwehrt. Besonders alarmierend ist die Lage in den so genannten Entwicklungsländern, wo die meisten dieser 1,2 Milliarden direkt betroffenen Menschen leben.

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen (UNO) benötigt jeder Mensch täglich mindestens 50 Liter Süßwasser: zum Trinken, Kochen, Waschen, Putzen, für die Toilettenspülung etc. In vielen Ländern des Südens steht den Menschen aber nicht einmal ein Fünftel dieser Menge zur Verfügung, während in anderen Teilen der Erde ein Vielfaches davon verbraucht wird. So rauschen beispielsweise in Deutschland pro Tag und Person rund 127 Liter durch die Leitung. Doch dieses direkt genutzte Wasser macht nur einen Bruchteil des tatsächlichen pro Kopf Verbrauchs von rund 4.000 – meist gut versteckten – Litern aus.

Kann Wasser virtuell sein?
Wasser ist bei der Produktion von nahezu allen Gütern des täglichen Ge- und Verbrauchs unverzichtbar: das gilt für Computer ebenso wie für Zeitungen, Plastiktüten oder Tomaten. Für dieses Wasser, das bei der Herstellung verbraucht wird und in den seltensten Fällen direkt in dem Produkt gebunden ist, wurde der Begriff „virtuelles Wasser“ geprägt.

Die Ausmaße dieses für den Endverbraucher unsichtbaren Wasserbedarfs lassen sich gut an der Landwirtschaft veranschaulichen, die immerhin rund 70 Prozent des weltweit verbrauchten Wassers zum Bewässern der Pflanzen, Tränken der Tiere oder zum Säubern der Ställe verwendet. Umgerechnet auf die Endprodukte kommen so für einen saftigen Rinderbraten stolze 16.000 Liter pro Kilo zusammen. Doch nicht nur das Fleisch, auch das Getreide schlägt im globalen Durchschnitt mit rund 1.000 Liter pro Kilo zu Buche.

Dieser enorme Wasserbedarf stellt die Weizenproduzenten vom Mittleren Westen der USA bis nach Indien oder China vor die fast unlösbare Aufgabe, nachhaltige, d.h. erneuerbare und somit langfristig nutzbare Wasserquellen zu finden. Da in vielen, insbesondere regenarmen Regionen der Erde die Niederschläge und das Wasser der Flüsse schon heute nicht mehr ausreichen, um die Felder künstlich zu bewässern, wird häufig Grundwasser angezapft oder Flusswasser aufgestaut, um es auf die Felder leiten zu können.

Wenn auch die ökologischen und sozialen Folgen solcher Maßnahmen verheerend sein können, wie das Schrumpfen des Aralsees auf 44 % seiner ursprünglichen Größe zeigt, sind sie in überschaubarem Maße sicher sinnvoll, wenn es darum geht, die Ernährung der Bevölkerung zu sichern. Wenn aber die Menschen von diesen Eingriffen in den Wasserhaushalt ihrer Region nicht profitieren, da auf den künstlich bewässerten Feldern Blumen oder Tierfutter kultiviert werden, die für den Export in reichere Länder bestimmt sind, dann sind derartige Maßnahmen äußerst bedenklich. Hinzu kommt nicht nur, dass der so erwirtschaftete Gewinn in den seltensten Fällen der einfachen Bevölkerung zu Gute kommt, sondern auch, dass diese von den sozialen und ökologischen Folgen der heute schon beobachtbaren, schrumpfenden Trinkwasservorräte besonders hart getroffen werden.

Da sich die unterirdischen Wasserspeicher nur sehr langsam erneuern, führt die Entnahme in großem Stil grundsätzlich zu Problemen, wie das Beispiel Spanien zeigt, wo der Großteil des Gemüses deutscher Supermärkte angebaut wird. Die intensive Landwirtschaft mit künstlicher Bewässerung hat die Grundwasserspeicher in den Regionen La Mancha und Almeria dermaßen beansprucht, dass der Grundwasserspiegel stark sank und die Flüsse nicht mehr ausreichend gespeist werden. Dies führt wiederum dazu, dass auch die Stauseen nicht mehr ausreichend gefüllt werden können, wodurch es immer wieder zu Engpässen in trockenen Zeiten kommt. Doch der industrialisierte Gemüseanbau führt nicht nur zu einem Mangel an Wasser, sondern belastet das übrige Vorkommen durch die großen Mengen an Dünge- und Pflanzenschutzmitteln so stark, dass es teilweise nicht mehr als Trinkwasser genutzt werden kann.

Virtueller Wasserhandel weltweit
Da praktisch jedes Gut eine bestimmte Menge an „virtuellem Wasser“ beinhaltet, wird mit jedem Import auch Wasser eingeführt bzw. mit jedem Export Wasser ausgeführt. Insgesamt zeichnet sich vor diesem Hintergrund ein globales Ungleichgewicht der Handelsbilanz mit virtuellem Wasser zugunsten der Lebensmittel importierenden, wohlhabenden Länder des Nordens und zu Lasten der ohnehin ariden Länder des Südens ab.

Zu diesem Ungleichgewicht trägt beispielsweise der Import von Soja aus Brasilien als Futtermittel für deutsches Mastvieh bei. Belastet wird hierbei der Wasserhaushalt des trockenen Nordosten Brasiliens, da die zur Herstellung verwendete Menge Wasser gewissermaßen mitexportiert wird. Geschont werden durch den Import die deutschen Wasservorräte, was sich positiv auf die hiesige Wassersituation auswirkt.

Bedenklich ist der virtuelle Wasserhandel dann, wenn die „virtuelle Wasser-Bilanz“ zeigt, dass ein Land mit Wasserknappheit oder gar Wassermangel durch seine Exporte sein Wasserproblem noch verschärft. So ist beispielsweise Syrien, das zu den wasserärmsten Ländern zählt, dank seiner Baumwollexporte unter den Top 30 der Netto-Wasserexporteure. Ebenso widersprüchlich scheint, dass das wasserreiche Deutschland auf Platz 9 der Netto-Wasserimporteure steht. Hier wäre es sicher angebracht, im Detail zu untersuchen, ob der Handel in den jeweiligen Ländern der Handelspartner zu Wasserproblemen führt und von daher kritisch zu bewerten wäre.

Wünschenswert wäre, auch den Konsumenten mehr Informationen über derartige „ökologische Rucksäcke“ von Waren leicht zugänglich zu machen, da viele Güter mit einem nachhaltigen, d.h. auch in Zukunft so aufrecht zu erhaltenden Konsum nicht vereinbar sind. Dies gilt um so mehr, als dass durch den weltweit wachsenden Wohlstand und das Bevölkerungswachstum der Bedarf an Gütern in Zukunft steigen wird, während die Wasserentnahme jenseits der erneuerbaren Menge keine langfristig praktikable Perspektive darstellt.

Doch nicht nur auf individueller Ebene kann die Kategorie des „virtuellen Wassers“ und die Aufstellung von dementsprechenden Handelsbilanzen als Informationsquelle bzw. Entscheidungsgrundlage dienen. So wäre auch auf staatlicher bzw. internationaler Ebene eine Politik wünschenswert, die dem Handel Rahmenbedingungen und Anreize für eine langfristige Vermeidung von Wasser-Engpässen setzt. Länder, die unter Wasserknappheit leiden, könnten so beispielsweise durch den Import von Lebensmitteln, deren Produktion viel Wasser verlangt, im wahrsten Sinne des Wortes Wasser „sparen“ und für eine nachhaltigere Nutzung verfügbar machen.

Ausführlichere Informationen zum Thema „virtuelles Wasser“ finden Sie im Internet, z.B. unter:
http://www.infoagrar.ch/wasser-symposium/images/referat_studer.pdf
http://www.ihe.nl/download/projects/report12-hoekstra.pdf
http://www.unesco.ch/actualcontent/new/virtualwater/dossier virtuelles wasser.html