VW und die Militärdiktatur: Einzeltäterthese hanebüchen

KoBra, FDCL und Kritische Aktionäre kritisieren Volkswagen auf der VW-Hauptversammlung scharf für den schmählichen Umgang mit der historischen Verantwortung in Sachen 'Kollaboration mit der brasilianischen Militärdiktatur'.
| von KoBra
VW und die Militärdiktatur: Einzeltäterthese hanebüchen
Ex-VW-MitarbeiterInnen bei der Einreichung der Klage gegen VW im Sept. 2015. Foto: privat

Wir dokumentieren die Rede von Christian Russau (FDCL, KoBra, Kritische Aktionäre) auf der Jahreshauptversammlung von Volkswagen vom 3. Mai 2018 in voller Länge.

Rede Christian Russau (FDCL, KoBra, Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre) auf der Jahreshauptversammlung von Volkswagen am 3. Mai 2018 in Berlin

ES GILT DAS GESPROCHENE WORT.

Sehr geehrte Damen und Herren,

gehen wir gleich in medias res:

Wir vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre werfen dem VW-Konzern, dem Vorstand und dem Aufsichtsrat schwere Versäumnisse bei der Aufarbeitung der Kollaboration von VW do Brasil mit der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985) vor. Nach Erscheinen der Studie des von VW beauftragten Historikers Christopher Kopper zur Verstrickung von Volkswagen do Brasil in die Gräueltaten der Militärdiktatur hätte der Konzern auf die betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter zugehen und öffentlich um Entschuldigung bitten müssen. VW hätte angemessene Entschädigungszahlungen anbieten müssen. Dies ist aber nicht erfolgt. Daher verweigern wir Vorstand und Aufsichtsrat die Entlastung und bitten alle hier im Saal, denen Respekt, Wahrung und Achtung der Menschenrechte vor Profit gehen, ebenfalls dem Vorstand und den Aufsichtsrat die Entlastung zu verweigern.

Worum geht es im Einzelnen? 2014 haben wir Sie aufgefordert, die VW-Geschichte in Brasilien in Fragen der Kollaboration mit der brasilianischen Militärdiktatur (1964-85) aufzuarbeiten und bei den Opfern öffentlich um Entschuldigung zu bitten.

Daraufhin hat sich erst der Unternehmenshistoriker Herr Manfred Grieger dem Thema angenommen, bevor er von Ihnen kaltgestellt wurde. Dann wurde Professor Christopher Kopper von der Uni Bielefeld mit der diesbezüglichen Forschung beauftragt. Diese historische Untersuchung wurde im Dezember 2017 präsentiert.

Wenige Tage zuvor war ein zweiter Bericht publiziert worden. Und zwar vom ehemaligen Polizeikommissar Guaracy Mingardi, der sie als offizieller Gutachter der brasilianischen Bundesstaatsanwaltschaft erstellt hat. Die Bundesstaatsanwaltschaft ermittelt seit September 2015, nachdem die betroffenen Arbeiter gemeinsam mit elf Gewerkschaftsdachverbänden sich im „Fórum de Trabalhadores por Verdade, Justiça e Reparação“ („Arbeiterforum für Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung“) zusammengeschlossen haben und bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen VW do Brasil erstattet haben.

Wir haben also den sog. „Kopper“-Bericht, und den sog. „Mingardi“-Bericht. Und beide Berichte sind in ihrem Tenor ähnlich:

Der Bericht des brasilianischen Gutachters Guaracy Mingardi bestätigt grundsätzlich die Vorwürfe der Kollaboration VWs mit der Militärdiktatur. Mingardi bestätigt „nicht nur die Kollaboration durch den Informationsaustausch [mit den Repressionsorganen], sondern auch die aktive Repression der eigenen Mitarbeiter“. Die Aussagen der ehemaligen VW-Mitarbeiter Lúcio Bellentani und Heinrich Plagge, dass sie am Arbeitsplatz bei VW unter Beisein der VW-Sicherheitskräfte von Agenten der politischen Polizei des DOPS gefangen genommen wurden und von dort ins Folterzentrum DOPS verschleppt wurden, werden von Mingardi durch dessen Recherchen ebenfalls explizit bestätigt.

Mingardi bestätigt ebenfalls die Aussage Heinrich Plagges. Dieser hatte Mitte 2017 seine Aussage vor den Staatsanwälten getätigt. Am 8. August 1972 wurde er demnach gegen 14 Uhr in das Büro des VW-do-Brasil-Managers Ruy Luiz Giometti gerufen, wo neben Giometti zwei Unbekannte auf ihn warteten und Heinrich Plagge für verhaftet erklärten. Plagge wurde in das DOPS verschleppt, dort 30 Tage lang gefoltert und anschließend in ein Gefängnis verlegt, aus dem er am 6. Dezember – rund vier Monate nach seiner Verschleppung – freigelassen wurde. Am 22. Dezember 1972, 16 Tage nach seiner Entlassung, erhielt er die Kündigung durch Volkswagen. Die staatliche Amnestiekommission beurteilte in ihrer Entscheidung vom 23. September 2008 die 1972 durch Volkswagen vorgenommene Entlassung Plagges als „politisch motiviert“.

Auch Heinrich Plagges Frau hat im vergangenen Jahr beim Staatsanwalt ausgesagt: Sie berichtet, wie an jenem 8. August 1972 am Nachmittag ein höherer VW do Brasil-Mitarbeiter zu ihr nach Haus kam und ihr mitteilte, ihr Mann habe kurzfristig für die Firma auf Dienstreise gehen müssen, daher habe er keine Zeit mehr gehabt, ihr dies mitzuteilen. Erst Monate später habe sie erfahren, wo Plagge war: im Folterzentrum DOPS. Dies weist eindeutig nicht nur auf Kenntnis der Verhaftung Plagges seitens des höheren Managements von VW do Brasil hin, sondern auch auf den mutmaßlichen Versuch, die Taten der Militärdiktatur zu verschleiern.

Am 6. März ist Heinrich Plagge nach langer Krankheit in Brasilien verstorben. Plagge wurde 79 Jahre alt. Eine Entschuldigung seitens Volkswagen hat er nicht mehr erlebt.

Der „Kopper“-Bericht seinerseits bestätigt ebenfalls die Kollaboration von VW do Brasil mit den Repressionsorganen. Doch was macht VW daraus in einer schlauen, wie geschickten Pressemitteilung? Volkswagen zieht in der am 14.12.2017 veröffentlichten Pressemitteilung komplett unzulässige Schlüsse aus dem sog. „Kopper“-Bericht. VW räumte in der Pressemitteilung zwar ein, dass es eine Zusammenarbeit zwischen „einzelnen Mitgliedern des Werkschutzes“ von Volkswagen do Brasil und der Politischen Polizei (DOPS) des früheren Militärregimes gegeben habe, dass aber andererseits jedoch keine klaren Beweise dafür gefunden wurden, dass die Zusammenarbeit auf einem „institutionellen Handeln seitens des Unternehmens“ basiert.

Wir vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre kritisieren diese von VW behauptete Einzeltäterthese scharf. Denn diese hanebüchene Einzeltäterthese trifft nach Quellenlage sowie den Untersuchungen von Christopher Kopper als auch der im Auftrag der brasilianischen Staatsanwaltschaft erstellten Untersuchung des ehemaligen Polizeikommissars Guaracy Mingardi zufolge nicht zu.

Schauen wir zunächst auf die Erkenntnisse des „Kopper“-Berichts im Einzelnen:

Christopher Kopper schreibt: Der VW do Brasil-Werkschutzchef Adhemar Rudge habe „auf eigene Initiative, aber mit dem stillschweigenden Wissen des Vorstands“ gehandelt. Das klingt ja so gar nicht mehr nach Einzeltat, denn wenn der weisungsbefugte Vorstand von VW do Brasil darüber Bescheid („mit stillschweigenden Wissen“) wusste, und damals, wie Christopher Kopper schreibt, „der Einsatz von Folter durch die politische Polizei bereits in der brasilianischen und in der deutschen Öffentlichkeit bekannt war“, dann hat der damalige Vorstand von VW do Brasil wissentlich und billigend in Kauf genommen, dass sein ihm weisungsgebunden unterstellter Werkschutz Menschen der Folter ausgeliefert hat.

Wann, wenn nicht in diesem Fall, sollte von Beihilfe zur Folter gesprochen werden?

Auch der „Mingardi“-Bericht zielt in diese Richtung und geht darüber noch hinaus: Guaracy Mingardi hat herausgefunden, dass Informationen an die brasilianischen Geheimdienste und deren Repressionsorgane vor der Freigabe über den Schreibtisch des damaligen VW do Brasil-Chefs Wolfgang Sauer gingen. Dies erfolgte vor allem in den sog. „bleiernen Jahren“ Brasiliens, also zwischen 1969 und 1975, wo in Brasilien verhaftet und gefoltert wurde, wer der Opposition oder gewerkschaftlicher Aktivitäten verdächtigt wurde.

Unbestritten ist auch, dass die damaligen Vorstände von VW do Brasil über die Gräueltaten der brasilianischen Militärdiktatur wie Folter, Mord und Verschwinden-Lassen vollumfänglich Bescheid wussten. Ich zitiere in diesem Zusammenhang die Süddeutsche Zeitung vom 16.2.1973, in der der damalige VW do Brasil-Chef, Werner Paul Schmidt, mit den Worten zitiert wird: „Sicher foltern Polizei und Militär Gefangene, um wichtige Informationen zu erlangen, sicher wird beim Politisch-Subversiven oft gar kein Gerichtsverfahren mehr gemacht, sondern gleich geschossen, aber eine objektive Berichterstattung müßte jedesmal dazufügen, daß es ohne Härte eben nicht vorwärtsgeht. Und es geht vorwärts.“ [ZITAT ENDE] Auch der „Kopper“-Bericht legt dar, dass „der Einsatz von Folter durch die politische Polizei bereits in der brasilianischen und in der deutschen Öffentlichkeit bekannt war“. [ZITAT ENDE]

Daraus lässt sich nur folgender Schluss zulässigerweise ziehen:

Wenn also dem damaligen Vorstand von VW do Brasil vollumfänglich bekannt war, dass Brasiliens Regime foltern und morden ließ, musste ihnen auch klar gewesen sein, was mit den Menschen passierte, nachdem VW do Brasil Informationen über diese Personen an das Folterregime weitergab. Der damalige Vorstand von VW do Brasil bestand aus deutschen Staatsbürgern, die als direkt aus Wolfsburg Entsandte in Brasilien tätig waren und somit den Volkswagen-Konzern unmittelbar vertraten. Somit trägt Volkswagen die volle Mitverantwortung dafür, dass seine VW do Brasil-Vorstände in São Paulo durch die Informationsweitergabe über eigene Mitarbeiter an das Folterregime wissentlich und billigend in Kauf genommen haben, dass sein ihm weisungsgebunden unterstellter Werkschutz Menschen direkt der Folter ausgeliefert hat.

Wie dieses Vorgehen von Volkswagen nicht als vorsätzliche und wissentliche Beihilfe zur Folter gewertet werden kann und VW weiterhin von einer Einzeltäterthese ausgeht, erschließt sich uns Kritischen Aktionärinnen und Aktionären in der Tat nicht.

Und da wundern Sie sich in Wolfsburg, dass zur Präsentation des „Kopper“-Berichts, zu der Volkswagen mit Pomp und Pathos im Dezember 2017 in São Paulo einlud und versuchte, die betroffenen Arbeiter dafür zu gewinnen, sich in die Riege derjenigen einzureihen, die VW applaudieren, – da wundern Sie sich, dass diese betroffenen Arbeiter, die, die in den bleiernen Jahren Brasiliens von Ihren Mitarbeitern und Chefs bei VW do Brasil an die Folter ausgeliefert wurden, – da wundern Sie sich in Wolfsburg, dass diese Arbeiter nicht in Dankbarkeit VW dafür ehren und huldigen wollen, da wundern Sie sich, dass diese Arbeiter sich weigern, an einem Event von VW teilzunehmen, wenn da nach über 40 Jahren endlich mal eine Studie erstellt wird?

Also: es wird höchste Zeit, dass VW endlich vollumfänglich und ehrlich und öffentlich dafür um Entschuldigung bei den betroffenen Arbeitern bittet, dass VW über die in dem Fall seit 2015 ermittelnde Staatsanwaltschaft in Verhandlungen über hinreichende Entschädigungszahlungen eintritt und VW sich somit endlich seiner historischen Verantwortung stellt.

Solange dies nicht geschieht, solange müssen und werden wir den Vorstand und den Aufsichtsrat von VW weiterhin die Entlastung verweigern, so lange werden wir weiter öffentlichen Druck auf VW ausüben.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.