"Sklavenarbeit : die gibt es wirklich"

In Zeiten industriell betriebener Landwirtschaft ist die Losung im Land, zu produzieren um die Exporte zu erhöhen und eine positive Handelsbilanz zu erreichen. Nicht nur dass aus diesem Anlass Gesetze missachtet, Leben vernichtet und die Natur zerstört  werden.
| von Mariana Wiecke Volkmer de Castilho (CPT) und José Gerley Diaz Castro (UFT)

„Vidas Roubadas“ (Geraubte Leben) ist der Titel eines Buches von Binka Le Breton. Es berichtet von Tausenden von Jugendlichen, Frauen und Männern, die in Brasilien unter sklavereiähnlichen Bedingungen vegetieren, sowohl auf den grossen Viehfarmen und Sojaplantagen im Amazonasgebiet, als auch an den Holzkohleöfen in Goiás, Mato Grosso do Sul, Minas Gerais, Tocantins, Maranhao, Piauí und Pará, auf den Zuckerrohrfeldern von Sao Paulo, Alagoas, Mato Grosso und Mato Grosso do Sul und in anderen vieh- und landwirtschaftlichen Regionen. Auf den Zuckerrohrplantagen nimmt die Sklavenarbeit zu, um den Weltmarkt mit den Erzeugnissen aus Zuckerrohr versorgen zu können, vor allem Zucker und Alkohol. Leider werden die sozialen und ökologischen Folgen nicht einmal diskutiert.

Aus Sicht der brasilianischen Gesetzgebung endete Sklavenarbeit am 13. Mai 1888, als das „Recht auf Eigentum an Menschen“ abgeschafft wurde. Deshalb sieht es das Strafgesetzbuch von 1940 als Straftat an, wenn jemand in sklavenähnlichem Zustand gehalten wird. Jedoch wurden bis in die neunziger Jahre in den Kommentaren zur Strafgesetzgebung die einschlägigen Bedingungen für überflüssig betrachtet, da solche Arbeitsverhältnisse  in Brasilien nicht gegeben seien, von einigen Orten im Landesinneren abgesehen.

Die von der CPT erstatteten Anzeigen erzwangen eine Debatte über dieses Thema im Rahmen des „Nationalen Forums gegen Gewalt auf dem Land“. Diesem Forum gehören die Bundesstaatsanwaltschaft, die Brasilianische Anwaltsvereinigung OAB sowie die Gewerkschaft der Landarbeiter CONTAG, die Bewegung der Landlosen, MST, das Nationale Institut für Siedlung und Agrarreform INCRA und das Nationale Arbeitsministerium MPT an.

Ist Sklavenarbeit eine brasilianische Erscheinung? Ist der Straftatbestand ausreichend, um sie künftig zu vermeiden?
Die heutige Form der Sklavenhaltung findet sich in allen Ländern der Erde. Der US-Amerikanische Soziologe Kevin Bales analysiert dieses Arbeitsverhältnis in seiner Arbeit „Die Wegwerfmenschen“ (Gente Descartável), über moderne Sklavenhaltung in der Weltwirtschaft, in der er die Parallelen zwischen der heutigen und der kolonialen Erscheinungsform heraus arbeitet :

  • in der kolonialen Sklavenhaltung war das Eigentum an Menschen rechtens. Heute nicht! Es war damals viel teurer, einen Sklaven zu kaufen und zu halten. Heute wird nur der Transport bezahlt und bestenfalls noch die Schulden, die der Arbeiter, die Arbeiterin in einem Geschäft oder in einer Absteige haben.
  • Die moderne Sklaverei ist nicht mehr mit der Hautfarbe oder der Herkunft des Arbeiters verbunden, nur mit seiner elenden Lage,
  • Sowohl in der kolonialen Sklaverei wie auch in der heutigen Form werden Menschen über Drohungen, körperlichen und psychischen Zwang und Mord unter Kontrolle gehalten,
  • In der modernen Sklaverei gibt es keine Ketten und keine Auspeitschungen, wohl aber unüberwindliche Hindernisse für die Bewegungsfreiheit der ArbeiterInnen über eine Verschuldung, die nie mehr getilgt werden kann.

Szenarium und Akteure der Sklavenarbeit
Auf dem „Spielplan der Sklavenarbeit“ steht sinnbildlich ein Dreigestirn sehr unterschiedlicher Mitwirkender : der Landarbeiter (peao), der Vermittler oder „Unternehmer“ (gato) und der Grundbesitzer. Zum „Ensemble“ gehören ferner die Besitzerin der Unterkunft, in der der Arbeiter zunächst wohnt, die Prostituierte, die ihm sein Leben noch einmal versüssen soll, der Händler, der ihm seine dürftigen finanziellen Mittel aus der Tasche zieht, der Fahrer des Last- oder Lieferwagens oder Busses, der den Transport zur Fazenda übernimmt, der Polizist, der nichts bemerkt, wenn ein LKW mit Landarbeitern durch den Kontrollposten fährt. Aus dieser „Seilschaft“ ziehen alle Beteiligten Vorteile, ausser dem Arbeiter, der nur noch daran denkt, zu überleben oder zu entkommen.

Ursachen der Versklavung sind soziale und wirtschaftliche Verelendung, geringe oder gar keine Schulbildung, Unkenntnis der eigenen Rechte. In der modernen Sklaverei wird nicht nach Hautfarbe, Alter, Geschlecht und Religion gefragt. Der Nordosten Brasiliens ist der wichtigste Lieferant der Sklaven. Ganz vorne liegen die Bundesstaaten Maranhao und Piauí. Die Hauptabnehmer sind Pará, Mato Grosso und Tocantins. Dort wächst die so genannte Agrarfront am stärksten.

Frauen und Männer ohne Ausweispapiere, ohne jegliche Ausbildung, nur mit ihrer eigenen Arbeitskraft ausgestattet, ziehen zwischen den Fazendas umher, nehmen würdelose Arbeitsbedingungen an, um den Familien, die sie zurückgelassen haben, ein Mindestmass an Lebensgrundlage zu verschaffen. Viele von ihnen werden ohne jegliche Rechte, in den Hinterhöfen der Sojapflanzungen, der Zuckerrohrplantagen, der Holzkohlenmeiler, der Viehzüchter, der Eukalyptuspflanzungen, der Holzfirmen alt.

Unter den erwähnten Wirtschaftszweigen lag die Viehwirtschaft in den Jahren 2004 bis 2006 mit 63% der Sklavenarbeiter vorn, es folgten die Holzkohlenmeiler mit 17% und das Agrobusiness (Soja, Zuckerrohr, Baumwolle) mit 13%.In der Viehwirtschaft wird Sklavenarbeit vor allem bei der Säuberung des Geländes von Sträuchern und Bäumen zur Vergrösserung der Weideflächen und zur Pflege des gesäten Grases eingesetzt. Gerade bei letzterer Tätigkeit werden vor allem Handarbeit und Herbizide wie Tordon eingesetzt. ( Anmerkung des Übersetzers :Tordon, ein Produkt der Dow Chemical , ist gefährlich für Pflanzen und Menschen und führt zu lang währenden Vergiftungen).

An der Spitze der Seilschaften bei der Sklavenarbeit steht der Arbeitgeber, der sehr selten oder nie auf seinem Eigentum erscheint. Die Mehrheit der Eigentümer, die Sklavenarbeit auf den Fazendas im Amazonasgebiet fördern oder zulassen, wurde nicht in der Region geboren und hat auch keine Kenntnis von der sozioökonomischen und ökologischen Realität der Region. Dazu gehören Abgeordnete, Senatoren, Kommunalpolitiker, Unternehmer und sogar frühere Minister.

In einem Bericht der OIT aus dem Jahr 2006 wird darauf hingewiesen, dass Kontrollen eindeutig nachgewiesen haben, dass es sich bei den Nutzniessern der Sklavenarbeit in Brasilien nicht um schlecht informierte Eigentümer auf versteckten, rückständigen und archaischen Fazendas handelt, sondern im Gegenteil um Grossgrundbesitzer, die mit moderner Technik für den internen Markt oder für den Export produzieren. Das Vieh wird gehegt und gepflegt, während die Arbeiter unter schlechteren Bedingungen als die Tiere leben.

Die Farmen zu denen die Arbeiter gebracht werden, konzentrieren sich auf den Halbkreis der Abholzungen, der von Rondônia bis Maranhao reicht. Hier herrschen Landraub, die illegale Ausbeutung natürlicher Ressourcen, die Suche nach sofortigem Profit, mit auf lange Sicht gravierenden sozialen und ökologischen Folgen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Sklavenarbeit nicht nur Menschen ihrer Würde beraubt, sondern dass sie auch zur Vernichtung der Natur beiträgt. Die meisten Fazendas, die sich der Sklavenarbeit bedienen, profitieren von den Produktionsketten bei Fleisch, Körnern, Zuckerrohr, Baumwolle und Holzkohle.

Seit der Gründung der „Mobilen Gruppe“ im Jahr 1995 wurden bis 2006 insgesamt 22.376 Arbeiter aus landwirtschaftlichen Unternehmen befreit. In 19 Bundesstaaten Brasiliens wurde der Tatbestand der Sklavenarbeit festgestellt.

Neben der Viehhaltung gehören die Rodung abgeholzter Flächen und die Herstellung von Holzkohle zu den wichtigsten Bereichen der Sklavenarbeit. Seit 2002 hat die Beschäftigung von Sklavenarbeitern bei der Herstellung von Holzkohle ständig zugenommen. Grund hierfür ist die steigende Nachfrage durch Stahlwerke, die Roheisen für den Export produzieren.

Gegenwärtig produzieren im Amazonasgebiet 14 Stahlschmelzen, vor allem in den Bundesstaaten Pará und Maranhao, in Regionen, in welchen es ausreichend Biomasse zur Herstellung von Holzkohle gibt. Während Jahrzehnten standen diese Stahlwerke in Minas Gerais. Das im Amazonasgebiet hergestellte Roheisen geht zu 81% in die USA.

Holzkohle wird vor allem aus Hölzern des Primärwaldes gewonnen. Das ist billiger als die in der Waldwirtschaft gewonnene Holzkohle und die Verkohlung der Schalen der Babacunuss. In einer Untersuchung von Monteiro (Vortrag auf einem Seminar über Sklavenarbeit in Holzköhlereien in Marabá am 24.und 25.05.2007) wird festgestellt, dass jährlich im Durchschnitt 3,5 Millionen Tonnen Holzkohle durch die Stahlwerke in Brasilien verbraucht werden. Um eine Tonne Roheisen herzustellen wird Holzkohle von einer Fläche von 600 m² Primärwald benötigt, wobei nur die Hölzer mit einem Durchmesser von 6 bis 60 cm Verwendung finden. Dadurch werden gewaltige Mengen von Primärwald vernichtet. Die Herstellung von Holzkohle ist nicht nur mit Sklavenarbeit verbunden sondern auch mit Umweltvergehen. In Minas Gerais wurde der Primärwald fast ganz vernichtet. Über den Cerrado wird Unheil herein brechen: aus dem Holz eines Hektars Cerrado können gerade mal 50 m³ Holzkohle hergestellt werden!

Die Hersteller von Roheisen bedienen sich einer sehr flexiblen Strategie: sie wandeln Investitionen in Anlagen in Landbesitz um und verlagern die langfristigen Risiken auf andere. Erwähnt werden muss vor allem die geringe Stabilität des Roheisenpreises und das Fehlen jeglicher Garantie dafür, dass das von kleinen Betrieben aus der Waldwirtschaft gewonnene Holz nicht gesetzeswidrig durch Hölzer aus dem Primärwald unterboten und damit die Wirtschaftlichkeit dieser Tätigkeit ausgehöhlt wird, die Beschäftigung von etwa 12.000 Sklavenarbeitern unter miserablen Bedingungen an den Holzkohlemeilern.  Die herrschende Logik ist die weitestgehende Verlagerung der sozialen, Umwelt- und Kapitalkosten. Die neueste Strategie der Stahlkocher bezieht die Ansiedlungen der Agrarreform mit in die Aufforstung mit Eukalyptusbäumen ein, deren Holz wiederum in ihre Öfen wandert.

Holzkohle hat schon einen festen Platz in den Produktionsstatistiken und wurde zur „commodity“ ernannt, den Marktgesetzen gehorchend. Das ist ein einträgliches Geschäft und erfreut sich deshalb grossen Zulaufs. Man baut eine Holzkohlenherstellung auf und produziert – illegal – für irgendjemand Holzkohle. Die Folgen sind vielfältig : verheerende Zerstörung der Natur, Verschärfung der sozialen Spannungen auf dem Land, Landkonflikte, Sklavenarbeit.

Das Ende der Sklavenarbeit?
Im März 2003 gab Präsident Luiz Inácio Lula da Silva den Startschuss für den „Nationalen Plan für die Abschaffung der Sklavenarbeit“, der von einer Kommission des Rates für Menschenrechte erarbeitet worden war. Die Ziele des Planes umfassen 76 Vorschläge. Zur Kontrolle der Umsetzung des Planes wurde eine Behörde, die „Comissao Nacional para a Erradicacao do Trabalho Escravo, CONATRAE, geschaffen. Drei Jahre nach ihrer Gründung fand keine offizielle Bewertung ihrer Arbeit statt. Nur Organisationen der Zivilgesellschaft trafen sich vom 16. bis 18.11.06 in Acailândia, um die Ergebnisse der Regierungsinitiative zu untersuchen und neue Vorschläge für die Bekämpfung der Sklavenarbeit zu unterbreiten.