Indigene Proteste in Pará gegen den Ersatz des Präsenzunterrichts in indigenen Schulen durch Online-Kurse halten an

Hauptsitz des Bildungsministeriums des Bundesstaates Pará (Seduc) seit 21 Tagen von Indigenen besetzt. Gouverneur Helder Barbalho wirft Indigenen "Fake News" vor, wird daraufhin von der DPU-Staatsanwaltschaft selbst wegen Verbreitung von "Fake News" angeklagt.
| von Christian.russau@fdcl.org
Indigene Proteste in Pará gegen den Ersatz des Präsenzunterrichts in indigenen Schulen durch Online-Kurse halten an
Seit 21 Tagen hält die Besetzung der SEDUC an. Hier auf dem Bild gibt Alessandra Korap Munduruku eine Stellungnahme zur anhaltenden Besetzung ab. Foto: Besetzungskomitee (mit freundlicher Genehmigung)

Indigene des amazonischen Bundesstaates Pará im Norden Brasilien halten seit nunmehr 21 Tagen den Sitz des staatlichen Bildungsministeriums Seduc in der Landeshauptstadt Belém besetzt(KoBra berichtete). Dabei werden sie von Lehrer:innen, Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft unterstützt. Sie protestieren gegen staatliche Maßnahmen, die dazu führen könnten, dass der Unterricht von Angesicht zu Angesicht durch Fernunterricht ersetzt wird, sprich: Ersatz des Präsenzunterrichts in indigenen Schulen durch Online-Kurse. Laut Angaben der staatlichen Agência Brasil haben sich die Lehrer:innen der öffentlichen Schulen des Bundesstaates der Protestbewegung angeschlossen und streiken seit dem 23. Juni auf unbestimmte Zeit.

Der Gouverneur von Pará, Helder Barbalho, hat am gestrigen Montag einen neuen Gesetzesentwurf zur Schaffung einer staatlichen Politik für die indigene Schulbildung vorgelegt. Der Ankündigung zufolge soll das von einer regierungsnahen Arbeitsgruppe ausgearbeitete Dokument in den indigenen Dörfern diskutiert werden, wobei eine Frist von 15 Tagen für Vorschläge vorgesehen ist. Laut Medienberichten habe die Landesregierung von Barbalho erklärt, dass an der Diskussion zu dem nun vorgestellten Gesetzestextes auch die Föderation der indigenen Völker des Bundesstaates Pará (Fepipa), das Ministerium für indigene Völker (MPI), die Brasilianische Anwaltskammer - Sektion Pará (OAB-PA), die Staatsanwaltschaft des Bundesstaates Pará und die Staatsanwaltschaft des Bundesstaates Pará (MPPA) teilgenommen haben.

Die protestierenden Indigenen verfassten daraufhin umgehend eine Presseerklärung, die sie KoBra zusandten und die wir hier auf Deutsch dokumentieren:

"Presseerklärung:
Die Indigenen, die seit dem 14. Januar das Seduc-Gebäude besetzen, sagen, dass die Besetzungsbewegung weitergeht und es bisher keine Einigung mit der Landesregierung gegeben hat.

Gouverneur Helder Barbalho hat heute Nachmittag, am 3. Januar, mit Indigenen gesprochen, die mit den Organen der Landesregierung verbandelt sind und von denen einige sogar ein Amt innehaben. Sie sind nicht Teil der Besetzerbewegung und haben weder die Legitimität noch die Autonomie, über die Agenda der indigenen Bewegung, die die Seduc-Behörde besetzt hält, zu verhandeln, da sie enge Beziehungen zu den Behörden unterhalten, die das Gesetz 10.820 verabschiedet haben, das sich direkt gegen die öffentliche Bildung, die indigenen Völker und die traditionellen Gemeinschaften richtet.

Die Anführer der Seduc-Besetzung finden es auch seltsam, dass die Regierung des Bundesstaates diese Bewegungen ungleich und wenig autonom behandelt, wenn man bedenkt, dass das vom Ministerium für indigene Völker organisierte Treffen in der vergangenen Woche unter starkem Militäraufgebot stattfand, wobei die Indigenen eingeschüchtert und sogar daran gehindert wurden, ihre Mobiltelefone während des Treffens zu benutzen.

Überraschenderweise hat der Gouverneur Helder Barbalho bei dem heutigen Treffen mit den mit der Regierung des Bundesstaates verbündeten Indigenen kein Treffen mit nur einem Komitee gefordert, er hat keine Kriegsoperation mit Verkehrssperrungen und einem Militärapparat gestartet, noch hat er das Filmen und die Verwendung von Bildern verboten, als ob er unsere Völker auf folkloristische Weise und als ein Stück Regierungspropaganda benutzen wollte.

Die Indigenen, die die Seduc besetzen, betonen, dass die Bundesanwaltschaft eine öffentliche Zivilklage eingereicht hat, um die Wahrheit wiederherzustellen und die Regierung von Pará daran zu hindern, falsche Informationen über die Verhandlungen mit der indigenen Bewegung zu verbreiten.

Schließlich wiederholen die Indigenen ihre Einladung an Gouverneur Helder Barbalho, die Besetzung zu besuchen, und dass diese das Gesetzes 10.820 aufheben muss und dass der Sekretär Rossieli Soares entlassen werden muss.
Belém, 3. Februar 2025."

Bei der in der Presseerklärung erwähnten öffentlichen Zivilklage geht es um die nun erhobene Anklage der Defensoria Pública da União, die darauf abzielt, die Landesregierung daran zu hindern, weiterhin Falschnachrichten über die Indigenenproteste und die Besetzung der SEDUC zu verbreiten. Der Gouverneur Helder Barbalho hatte den die SEDUC besetzenden Indigenen vorgeworfen, dass die Bewegung von Fehlinformationen ausginge. Dagegen zitiert nun die für den Schutz der Rechte der Bevölkerung zuständige Staatsanwaltschaft DPU eine Erklärung des Bildungsministers von Pará, Rossieli Soares da Silva, in der dieser explizit darauf hinweist, dass in Parás Bildungswesen für Indigene virtueller Fernunterricht eingeführt werde. So klagt die DPU also nun die Helder-Barbalho-Regierung wegen der vorsätzlichen Fake-News an, die Indigenen würden Fake News verbreiten. Die DPU argumentiert, dass die Rede des Gouverneurs darauf abziele, die Realität zu verzerren und die legitimen Forderungen der indigenen Bevölkerung zu schwächen. In der Klage wird laut Medienberichten gefordert, dass die Indigenenbehörde FUNAI die an den Desinformationskampagnen beteiligten staatlichen Vertreter:innen zur Rechenschaft ziehe und dass Meta, die Eigentümerin von Facebook und Instagram, die als falsch angesehenen Veröffentlichungen des Gouverneurs Helder Barbalho entfernen müsse. Darüber hinaus fordert die DPU eine Entschädigung in Höhe von 10 Millionen Reais (derzeit umgerechnet 1,6 Millionen Euro), die den betroffenen indigenen Gemeinschaften zugewiesen werden soll.

// Christian Russau