Indigenenmissionsrat CIMI: „Sieg über die Stichtagsregelung „Marco Temporal“: Beharrlicher Kampf und Wachsamkeit angesichts von Rückschritten“
Originalquelle: https://cimi.org.br/2025/12/vitoria-contra-o-marco-temporal-novos-retrocessos/
Sieg über die Stichtagsregelung Marco Temporal: Beharrlicher Kampf und Wachsamkeit angesichts von Rückschlägen
In einer Erklärung feiert CIMI den Sieg gegen die Stichtagsregelung, weist jedoch auf die Rückschritte hin, die durch das Votum des Berichterstatters entstanden sind.
Die These der Stichtagsregelung ist verfassungswidrig. Die Indigenen Völker haben dies immer wieder deutlich gemacht, und die brasilianische Gesellschaft war davon voll und ganz überzeugt. Der Oberste Bundesgerichtshof (STF) hatte diese Auffassung bereits 2023 festgelegt und musste sie während der jüngsten virtuellen Verhandlung über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes 14.701/2023 nachdrücklich bekräftigen. Dieses Gesetz wurde mit Gewalt geschaffen, in direktem Angriff auf die Verfassung, es war eine Vergeltungsmaßnahme gegen den Obersten Gerichtshof selbst und eine klare Aggression gegen die Indigenen Völker. Es hätte niemals existieren dürfen.
Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Stichtagsregelung stellt einen weiteren grundlegenden Sieg im beharrlichen Kampf der Indigenen Völker dar. Ihr Recht ist ein Grundrecht, es besteht seit vor der Gründung des brasilianischen Staates und ist in der Verfassung verankert. Dieser Erfolg war nur dank der unermüdlichen Mobilisierung der Indigenen möglich, die von ihren Territorien aus in einem täglichen und kolossalen Kampf um die Erhaltung ihrer Lebensweise, die Forderung nach einem wirklich demokratischen Rechtsstaat und die Rückeroberung der ihnen geraubten Gebiete mit ihren Körpern und mit ihren Mbaraká [Guarani, trad. Musikinstrument, Anm.d.Ü.] gekämpft haben.
Es ist jedoch unverständlich, warum der Oberste Gerichtshof (STF) das Gesetz 14.701 fast zwei Jahre lang in Kraft gelassen hat. Es gibt kein rechtliches Argument, das eine solche Verzögerung rechtfertigt. Der Berichterstatter der Klagen, Minister Gilmar Mendes, hätte angesichts der offensichtlichen Verfassungswidrigkeit das Gesetz von Beginn an sofort aussetzen oder für ungültig erklären können. Stattdessen entschied er sich dafür, die Entscheidung zu verzögern und setzte dergestalt eine illegitime und wirkungslose Schiedskammer ein, dies mittels einer unerwarteten Komplizenschaft seitens der Bundesregierung.
Währenddessen wurden die Demarkationen blockiert und die Gewalt gegen die Indigenen Völker nahm gerade in den vom Gesetz am stärksten betroffenen Gebieten zu. Menschen verloren ihr Leben, Kinder wurden bedroht, Gemeinden sahen ihre Häuser zerstört und Beamte wurden wegen der Ausübung ihrer Pflichten eingeschüchtert. Wer wird dafür zur Rechenschaft gezogen? Warum wird ein Gesetz beibehalten, das bekanntermaßen verfassungswidrig ist? Der Staat setzt – autoritär – die Vorgaben der Macht der Wirtschaft durch, und das ist nur eine Seite der Amoralität dieses Prozesses.
Mit der Erklärung der Verfassungswidrigkeit der Stichtagsregelung und der Bekräftigung der Möglichkeit einer Ausweitung der indigenen Gebiete hat der STF einen wichtigen Schritt getan. Bei der Prüfung des Gesetzes 14.701 hat sich das Gericht jedoch auf eine Reihe von Bestimmungen berufen, die darauf abzielen, den Demarkationsprozess neu zu ordnen, dies immer zum Nachteil der Indigenen Völker und zum Vorteil des Kapitals.
In diesen Punkten – von denen einige neu und noch nicht klar definiert sind – waren sich die Minister:innen uneins. Es handelt sich um komplexe Themen, die gegen die Verfassung verstoßen und nicht vorschnell in einem online getroffenen Urteil entschieden werden können. Sie werden wahrscheinlich Gegenstand weiterer Rechtswege sein und müssen noch genauer geprüft werden.
Das Gesetz [14.701/2023, Anm.d.Ü] versuchte beispielsweise, die Demarkationen zu stoppen, indem es die Eingaben von Privatpersonen, Bundesstaaten und Gemeinden bereits in der Identifizierungsphase vorschrieb, eine Maßnahme, die von der Indigenenbundesbehörde FUNAI als undurchführbar angesehen wurde und dazu dienen würde, die Verfahren zu erschweren und zu verzögern. Der Berichterstatter behielt diesen Artikel bei und schloss sich sogar der unangemessenen These des Misstrauens gegenüber der Arbeit der Anthropolog:innen an, musste jedoch am Ende des Verfahrens diesbezüglich zurückrudern.
Um die wirtschaftliche Nutzung indigener Gebiete durch Dritte zu gewährleisten – was verfassungswidrig ist –, akzeptierte der Berichterstatter eine Bestimmung, die Raum für Nutzungsverträge mit Nicht-Indigenen schafft. Das Recht aber auf ausschließliche Nutzung ist nicht verhandelbar, und die mangelnde Einigkeit über dieses Thema im Plenum spiegelt einen schwerwiegenden Rückschritt wider.
Der kritischste Punkt liegt jedoch in der Diskussion über Entschädigungen und das sogenannte „Zurückbehaltungsrecht“. Die Verfassung sieht keine Entschädigung für „terra nua“ [unbebautes Land, Anm.d.Ü.] vor. Im Jahr 2023 eröffnete der Oberste Gerichtshof (STF) in separaten Verfahren die äußerst seltene Möglichkeit mit strengen Kriterien für die Entschädigung von landbezogenen Aufwertungen, die in gutem Glauben erfolgten. Das Gesetz 14.701 sieht jedoch eine umfassende Entschädigung ohne Kriterien vor. Schlimmer noch: Der Berichterstatter hielt es für zulässig, dass der Landbesetzer so lange auf dem Land bleibt, bis er die Zahlung erhält – ein „Zurückbehaltungsrecht“, das Landraub festschreibt und die Demarkation unmöglich machen kann.
Der Staat weigert sich nach wie vor, die ethische und politische Perspektive der Indigenen Völker zu verstehen. Bis 1988 wollte er sie bevormunden und behandelt sie bis heute als Besetzer:innen. Die Rückeroberungen sind unbestreitbare Akte des Aufstands für Wiedergutmachung. Mit dem Versuch, sie in seinem Vorschlag zu kriminalisieren, agierte Minister Gilmar Mendes als Gesetzgeber, nicht als Richter, und zeigte die Macht der Zwangsmaßnahmen, wenn die Justiz versagt.
All diese Elemente, all diese Möglichkeiten eines Rückschritts, die die Indigenen Völker und ihre Verbündeten in Alarmbereitschaft versetzen, fanden im STF keinen Konsens. Ihr Schicksal ist ungewiss: Sie können vom Gerichtshof erneut geprüft oder, was noch schwerwiegender ist, dem Nationalkongress – dem schlimmsten in der Geschichte der Republik – vorgelegt werden, damit dieser per Gesetz entscheidet, „wer leben und wer sterben soll”.
Der Konsens, der sich durchgesetzt hat, ist eindeutig und stellt einen klaren Sieg für die Völker dar: Die Stichtagsregelung ist verfassungswidrig, indigene Gebiete können erweitert werden, und die Rechte der Völker sind Grundrechte. Der Staat schafft weder Rechte noch Territorien, er erkennt sie lediglich an. Sie werden gemeinsam geschaffen, am Rande der offiziellen Geschichte, in heiligen Kämpfen, mit schwieligen Händen und in Erinnerung an diejenigen, die gefallen sind.
Der Indigenenmissionsrat CIMI feiert gemeinsam mit den indigenen Völkern diesen Sieg gegen die Stichtagsregelung. CIMI bleibt jedoch wachsam gegenüber den Rückschritten, die noch im Spiel sind. Wir werden weiterhin entschlossen an der Seite der Völker stehen, damit solche Rückschritte nicht voranschreiten, damit Recht und Gerechtigkeit siegen, damit die Gebiete frei sind und die Völker in Frieden leben können. Wir vertrauen darauf, dass der Oberste Gerichtshof, nachdem er die Grundrechte bekräftigt hat, nicht voreilig verfassungswidrige Wege festigt, die verhindert werden müssen.
Brasília, 19. Dezember 2025
Conselho Indigenista Missionário (CIMI)
// Text/Übersetzung: Christian Russau

